VC Magazin: Wie haben Sie die Anfangstage der Beteiligungskapitalbranche in Deutschland erlebt?
Kirchner: Mitte der 70er Jahre nahm die Deutsche Wagnisfinanzierungsgesellschaft WFG als erster Venture Capital-Investor hierzulande den Betrieb auf. Die Gründer erhielten jedoch eine Call-Option, weshalb die WFG immer auf den schlechten Risiken sitzen blieb. Sie war auch sehr bürokratisch organisiert …
Strascheg: Die WFG 1 gehörte immerhin fast 30 Banken!
Kirchner: Dazu vielleicht noch eine Anekdote: Wir hatten die WFG als Co-Investor in einem Unternehmen und brauchten eine zügige Entscheidung. Wir erhielten aber die Antwort: „Nein, wir können den Herren jetzt nicht stören.“ Als ich fragte „Wo ist er denn, es ist doch mitten am Tag!“, wurde mir entgegnet, er befinde sich auf dem Hochsitz und sei später noch auf einer anderen Jagd. Die WFG 1 war schon eine ganz besondere Institution.
Strascheg: Anfang der 90er Jahre war der Venture Capital-Markt dann völlig ausgetrocknet. Gründer hatten gerade mal drei Möglichkeiten, um an Geld zu kommen: Sie konnten zur TVM gehen, zu Atlas Venture oder zur Technologieholding.
VC Magazin: 1991 kam dann Wellington dazu …
Strascheg (lacht): Das ist so eine Schmäh vom Dienst.
Kirchner: Da hat Rolf Dienst seine sporadischen Investitionen als Business Angel zum Track Record genommen. Das ist aber völlig OK und fair, schließlich stehen auch seine Flops drin. Aber Wellington als Institution entstand erst in den späten 90er Jahren.
VC Magazin: Welche Rolle hat die Matuschka-Gruppe in den Anfangstagen gespielt?
Kirchner: Sie hatte schon eine Vorreiterrolle. Sie war ja ein Vermögensverwalter und wollte, so wie Unternehmer es nach dem Krieg getan haben, für ihre Kunden in Wachstumskapital investieren. Das hat sie – aus Diversifikationsgründen – in Amerika getan und hierfür als lokalen Partner TA Associates gefunden. Denen haben wir aber nicht einfach das Geld gegeben, sondern ich verlangte, zehn Tage vor jedem Closing Unterlagen zu bekommen. Ich wollte damit in einem früheren Stadium zwischen dem amerikanischen Start-up und den deutschen Unternehmern Brücken schlagen. Dieses Window of Technology fand Siemens unglaublich spannend und gab uns daher später 20 Mio. USD für unseren zweiten Fonds. Der erste Fonds, der ab 1. Januar 1980 investierte, war insgesamt nur 15 Mio. USD groß.
VC Magazin: Matuschka war damit so etwas wie die Kaderschmiede der heutigen Venture Capital-Branche, oder?
Kirchner: Dem würde ich widersprechen! Der Kaderschmied sitzt hier zwischen uns.
Strascheg: Matuschka war aber die Wiege. Es ist ja leicht, auf irgendetwas aufzubauen und zu versuchen, es besser oder anders zu machen. Die gute Arbeit von Matuschka und TVM war für die deutsche Venture Capital-Szene unglaublich wichtig.
Kirchner: Wir haben uns Mühe gegeben. Nachdem wir etwa die Hälfte des Geldes aus dem ersten TVM Fonds in Deutschland investiert hatten, war uns allerdings unklar, wie wir für die Investoren jemals eine Rendite erwirtschaften sollten. So haben wir dann beschlossen, die andere Hälfte in den USA zu investieren. Einige Jahre später stellten wir jedoch fest, dass wir in Deutschland auf einer Goldmine saßen. Das war die Zeit von Diagen, heute Qiagen. Falk Strascheg war aber der Erfolgreichste von uns, weil er unternehmerische, schnelle Entscheidungen getroffen hat.
Strascheg: Auf der EVCA-Konferenz in Genf vor wenigen Wochen trug der milliardenschwere amerikanische Dachfonds HarbourVest vor, dass unser Fonds Advanced European Technologies der beste Fonds war, in den HarbourVest jemals investiert hat. Darüber freue ich mich schon.
VC Magazin: Wie hat sich das Aufgaben- und Tätigkeitsfeld eines Venture Capital-Investors über die Zeit gewandelt?
Strascheg: Das Venture Capital-Geschäft ist wesentlich professioneller geworden. Wir haben unsere frühen Fonds mit wenigen Blättern Papier eingeworben. Wenn man heute nicht mindestens einen 20 cm hohen Stapel Papier liefert, hat man überhaupt keine Chance im Fundraising. Auch die heute üblichen Regularien existierten damals nicht, die Verträge mit den Portfoliounternehmen waren generell relativ simpel. So etwas wie eine Liquidationspräferenz gab es in unseren frühen Beteiligungsverträgen nicht.
Kirchner: Wir haben uns damals als Fondsmanager noch verkaufen und einem Gründer erklären müssen, dass es sinnvoller sein kann, 50% an einer Gesellschaft mit einem Wert von 50 Mio. DM zu haben als 100% an einer Gesellschaft mit einem Wert von 10 Mio. DM. Auch der Unterschied zwischen Cashflow und Gewinn- und Verlustrechnung war nicht jedem klar.
Strascheg: Bis 1996, 1997 war es auch noch ungewöhnlich, wenn jemand einen ordentlichen Businessplan abgeliefert hat. Durch die zahlreichen Businessplan-Wettbewerbe hat sich das erfreulicherweise grundlegend geändert.
VC Magazin: Viele Unternehmer schaffen es nicht, sich im richtigen Moment von ihrem Lebenswerk zu trennen. Mit dem Verkauf der Technologieholding an 3i im Jahr 2000 bzw. dem Verkauf der VCM Capital Management an Sal. Oppenheim in den Jahren 2007 und 2008 haben Sie gutes Timing bewiesen. Ist der Wille zum Exit eine Grundeinstellung, die ein erfolgreicher Private Equity-Investor braucht, die aber vielen Marktteilnehmern fehlt?
Strascheg: Wenn man sich die Investmentmanager in den Venture Capital-Fonds anschaut, glaube ich schon, dass sie Exit-orientiert sind. Insbesondere wenn Börsengänge möglich sind, habe ich manchmal sogar den Eindruck, dass sie zu früh realisieren wollen.
Kirchner: Der begabte Gründer-Unternehmer spricht heute das Thema Exit von selber an. Das hat sich total verändert. Exit-Orientierung ist aber auch eine Lernfrage. Ich habe zwei tolle Gelegenheiten zum Ausstieg verpasst, wo ich persönlich gigantisch gut vorne lag: bei MediGene und bei Sequenom. Beide haben meine strategischen Ratschläge gut angenommen, und ich war froh, einen Teil zum Milliardenerfolg beizutragen, und wollte dabei bleiben. Wenn man zwischendurch sein Geld verfünfzig- oder verhundertfacht und später wieder beim Zwei- bis Dreifachen liegt, ist das aber natürlich ärgerlich. Bei den Überlegungen in Bezug auf VCM war aber nicht das Ziel, den Exit zu schaffen. Wir haben tatsächlich die Konsolidierung der Branche im Auge gehabt und wollten ursprünglich nicht alle unsere Anteile verkaufen.
Strascheg: Es hat aber auch nicht wehgetan, oder?
Kirchner: Nein, es hat überhaupt nicht wehgetan. Das Timing war sehr glücklich. Ich habe dabei übrigens oft an Dich gedacht …
VC Magazin: Über welche verpasste oder abgelehnte Investitionsgelegenheit haben Sie sich besonders geärgert?
Kirchner: In meinem Fall war das der Impfstoffentwickler Intercell aus dem schönen Wien. Da hätte ich parallel zu TVM investieren können. Aber wie das so ist, hatte ich davor ein paar Tiefschläge erlebt und daher bei dem kostspieligen und langwierigen Thema der Medikamentenentwicklung gepasst.
Strascheg: Besonders geärgert hat mich, dass ich an der Firma SCM Microsystems dran war, sogar schon den tbg-Antrag ausgefüllt hatte, und dann aber TVM den Deal gemacht hat. Das hat mir damals gestunken.
VC Magazin: Sie dürften so ziemlich jeden Venture Capital-Fonds kennen, der in den letzten Jahrzehnten im deutschsprachigen Raum aufgelegt wurde. Welche Fonds oder Managementteams sind Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben?
Kirchner: Die Technologieholding hat mich beeindruckt, weil dort etwas gemacht wurde, was ich immer noch für sinnvoll halte. Nämlich einer relativ großen Zahl von Unternehmen relativ wenig Geld zu geben und zu sehen, was diese damit machen. Dieses System hat Rolf Dienst mit seinem Fonds Wellington I kopiert – ob bewusst oder unbewusst.
VC Magazin: Das Modell „Wenig Geld für relativ viele Unternehmen“ erinnert mich an den High-Tech Gründerfonds. Ist das eine sinnvolle staatliche Initiative?
Kirchner: Mit dem High-Tech Gründerfonds habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht. Auch wenn der Vertrag, den der HTGF immer als Blaupause mitbringt, natürlich sehr günstig für ihn ist, weil jedes Darlehen immer wieder in Eigenkapital gewandelt werden kann. Bestimmte Dinge kann man aber durchaus wegverhandeln.
Strascheg: Der High-Tech Gründerfonds macht auch hervorragendes Marketing, was vor allem den beiden Geschäftsführern zu verdanken ist.
VC Magazin: Was zeichnet einen guten Fondsmanager aus?
Kirchner: Die Erfolgswahrscheinlichkeit im Bereich Venture Capital ist deutlich größer, wenn jemand ein erfahrener Unternehmer ist, als wenn jemand von der Kreditseite einer Bank kommt. Gestern habe ich Michael Motschmann kennen gelernt, der für die MIG Fonds investiert. Er hat 40.000 Anleger und kümmert sich überhaupt nicht um die Kapitalakquise. Er konzentriert sich auf die Analyse und die Betreuung von Unternehmen. Früher haben wir solche Leute nie ernst genommen, die auf dem kleinen Kapitalmarkt Geld einsammeln. Aber er arbeitet sehr geschickt mit strategischen Fachexperten und hat damit und mit seinem Portfolio, so wie ich das einschätze, das Zeug, in die Nähe der Performance zu kommen, die Ihr mit der Technologieholding erreicht habt.
Strascheg: Neuhaus Partners gefallen mir noch sehr gut. Durch ihre Fondsgröße sind sie dazu verdammt, die Leute nicht mit Geld zu erschlagen.
Kirchner: Ein Wellington I war auch herzerfrischend zupackend – aber natürlich auch durch die Blase gesegnet. Heute sehe ich Earlybird als besonders stabil an. Wen wir zu lange außer Acht gelassen haben, waren fokussierte Solarfonds wie Ventizz. Die waren mit zwei, drei Deals enorm erfolgreich.
VC Magazin: Und welcher Fonds hätte besser niemals aufgelegt werden sollen?
Strascheg: Vor einigen Jahren gab es da einen Fonds namens Euro Ventures mit einer Mutter in Brüssel und Satelliten in Deutschland und anderen Ländern. Ich habe es selbst nicht überprüft, aber laut meines Kompagnons, Herrn Dr. Köhler, soll das der einzige Venture Capital-Fonds sein, bei dem die Investoren nicht nur alles verloren haben, sondern auch noch nachschießen mussten, weil die rechtliche Konstruktion entsprechend ausgelegt war.
Kirchner: In diesen Fonds waren glücklicherweise überwiegend Banken und Unternehmen und keine Privatleute oder Versicherungen investiert, so dass sich der soziale Schaden in Grenzen hielt.
Strascheg: Ein anderer Fonds, der nie hätte aufgelegt werden sollen, war GUB – eine ganz windige Angelegenheit.
VC Magazin: Was wünschen Sie der deutschen Private Equity-Branche für die nächsten 20 Jahre?
Strascheg: Eine steuerlich und rechtlich stabile Basis, die für die Industrie förderlich ist. Wir haben immer wieder unter schlecht vorbereiteten Gesetzesänderungen gelitten.
Kirchner: Da setze ich gern noch eins drauf: Wenn ein kleiner Bruchteil von dem, was im Denkmalschutz und für die Reeder in Hamburg getan wird, bei uns ankäme, wäre das sinnvoll. Wir wissen ja, dass die Deutschen gern Steuern sparen. Im Venture Capital-Bereich wäre das Geld wirklich produktiv angelegt. Ansonsten hoffe ich, dass mehr Unternehmer als Business Angels tätig werden.
VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch!
Andreas Uhde
Torsten Paßmann
Zu den Gesprächspartnern
Dr. Hellmut Kirchner ist Senior Advisor bei Sal. Oppenheim Private Equity Partners. Zuvor war er Geschäftsführer des von ihm aufgebauten Dachfondsmanagers VCM Capital Management und Mitgründer der heutigen TVM Capital. Falk Strascheg ist Geschäftsführer der Beteiligungsgesellschaft Extorel und Mitgründer der Technologieholding. Mit jeweils mehreren Dutzend Unternehmensbeteiligungen gehören sie zudem zu den aktivsten Business Angels in Deutschland.
Wohltätige Projekte
Dr. Hellmut Kirchner und Falk Strascheg engagieren sich in zahlreichen wohltätigen Projekten: Falk Strascheg u. a. im Rahmen der Renate und Falk Strascheg Stiftung in der Bildungs- und Innovationsförderung und als Investor in den sozial orientierten Venture Capital-Fonds BonVenture; Dr. Hellmut Kirchner u. a. als Förderer und Beirat der Myanmar Stiftung und in der Konzeption von touristisch genutzten Schiffen in Myanmar, deren Erträge Projekten im Land zugute kommen. Diese Initiativen freuen sich über Ihre Unterstützung.
Weitere Informationen unter www.myanmar-bavarian.com, www.myanmar-stiftung.de, www.bonventure.de oder per E-Mail: strascheg-stiftung (at) extorel.de.