VC Magazin: Wie erklären Sie sich die steigenden Börsenkurse der letzten Monate?
Motschmann: Die Marktteilnehmer glauben offensichtlich, dass die Rezession bald vorbei ist. Das ist aber ganz offensichtlich ein Trugschluss. Wir befinden uns am Anfang der Wirtschaftskrise. Hinzu kommt, dass wir gerade eine gewaltige Menge Geld in das System pumpen und damit die nächste Blase produzieren. Auf jedes Kind, das heute in Deutschland auf die Welt kommt, entfallen rechnerisch 25.000 Euro Staatsschulden. Das kann nicht gut gehen. Man verschiebt das Problem damit um ein paar Jahre, und dann trifft es uns wieder.
Brandis: Irgendwann platzt das System. Dann drücken wir den Reset-Button, wodurch sich die Vermögensverhältnisse verschieben werden. Wer Sachwerte hat, ist dann besser aufgestellt, wer viel Bargeld hat, ist schlecht aufgestellt, und wer Schulden hat, profitiert besonders.
VC Magazin: Sachwerte mit hohen Schulden? Das spräche doch für Leveraged Buyouts.
Brandis: Wenn es wirklich dazu kommt, haben Sie recht.
Motschmann: Wobei solche Szenarien kaum planbar sind. Schließlich gibt es für Immobilien auch Zwangshypotheken, so dass niemand zu glauben braucht, dass er eine Hyperinflation oder Währungsreform schadlos übersteht. Der Staat wird schon dafür sorgen, dass auch Besitzer von Sachwerten einen Teil der Verluste tragen.
VC Magazin: Haben Sie Ihre Investitionsstrategie angesichts dieser Erwartungen verändert?
Motschmann: Es wird natürlich härter verhandelt.
Brandis: Wir meiden zudem extrem kapitalintensive Themen. Wir wollen nicht darauf angewiesen sein, in späteren Runden neue Investoren finden zu müssen, um ein Unternehmen zum Ziel zu bringen.
Motschmann: Wir investieren weiterhin im kapitalintensiven Life Science-Bereich. Das genannte Problem umgehen wir damit, dass wir von Anfang an kapitalstarke Partner an unsere Seite holen.
VC Magazin: Abgesehen von den MIG Fonds gibt es in Deutschland keine geschlossenen direkt investierenden Venture Capital-Fonds für Privatanleger, die ein nennenswertes Volumen erreichen. Selbst Feederfonds für langjährig etablierte VC-Manager wie Earlybird und Wellington akquirieren nur einen niedrigen einstelligen Millionenbetrag im Jahr. Wie erklären Sie sich das?
Motschmann: Das hat sicher nichts mit den Unternehmen Earlybird oder Wellington an sich zu tun. Sondern es liegt daran, dass Verkauf ein proaktiver Vorgang ist. Ich muss meine Kunden ansprechen, und das gelingt am besten über einen eigenen Vertrieb. Das heißt, die Stärke des Fundraisings wird gekennzeichnet durch die Stärke des Vertriebes. Zudem haben die Banken viel an Kredibilität verloren. Die Leute, die unser Produkt verkaufen, sind davon überzeugt und identifizieren sich damit.
Brandis: Ich würde noch ergänzen, dass die Stärke des Venture-Investors eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für einen erfolgreichen Produktvertrieb darstellt. Wenn MIG den ganzen Tag nur Unsinn machen würde, könnte auch ein starker Vertrieb auf Dauer nicht erfolgreich sein.
VC Magazin: Venture Capital für Privatanleger ist relativ teuer: Ein geschlossener Fonds schlägt – bei Umlegung der Anfangskosten auf die Laufzeit – mit mindestens 3% p. a. plus Gewinnbeteiligung zu Buche, die Kostenquoten der in Deutschland börsennotierten Venture Capital-Gesellschaften liegen sogar noch höher. Wie lassen sich solche Gebühren rechtfertigen?
Motschmann: Wer vor Risiko warnt und von hohen Kosten spricht, tut sich immer leicht. Unser Produkt stellt eine Beimischung dar, die mit einer höheren Gewinnchance, aber natürlich auch einem höheren Risiko verbunden ist. Die mit den MIG Fonds verbundenen Kosten sind transparent und vertretbar: Denn diese Kosten stehen gerade im Bereich Venture Capital in einem sinnvollen Verhältnis zur möglichen Rendite, weil diese Anlageklasse das Potenzial für eine deutliche Outperformance hat.
Brandis: Die Kostendiskussion suggeriert, dass sich die Venture Capital-Manager die Taschen vollstopfen. Das ist beileibe nicht so. Eine Venture Capital-Gesellschaft mit einem Fondsvolumen im unteren dreistelligen Millionenbereich braucht einfach 2% p. a. für ihr operatives Geschäft. Wer dazu noch einen kleinteiligen Vertrieb wie die MIG Fonds unterhält, landet bei drei bis vier Prozent Kosten pro Jahr.
VC Magazin: Seit der Einführung der steuerlichen Absetzbarkeit von Investitionen in sogenannte FCPI-Fonds im Jahr 1997 haben Privatanleger in Frankreich mehrere Mrd. Euro für Beteiligungen an innovativen Unternehmen bereitgestellt. Hierzulande hat sich durch die Einführung der Abgeltungsteuer die steuerliche Behandlung von langfristigen Eigenkapitalinvestments jüngst verschlechtert. Zudem entfallen Verlustvorträge bei signifikanten Veränderungen im Gesellschafterkreis, was insbesondere für Biotechnologieunternehmen schmerzhaft ist. Beunruhigt Sie diese Entwicklung?
Motschmann: Sie spiegelt das wider, was in allen Bereichen festzustellen ist: ein sehr konterkarierendes Verhalten der Politik zu einem gesellschaftlich äußerst wichtigen Thema, namentlich der Förderung neuer, heranwachsender mittelständischer Unternehmen. In der Vergangenheit haben teilweise Banken jungen Unternehmen Kapital zur Verfügung gestellt, was sie in Zukunft deutlich restriktiver machen werden. Wenn wir über Systemrelevanz sprechen, dann sollten wir daran denken, dass Gründer in diesem Lande die Chance bekommen, etwas aufzubauen.
Brandis: Venture Capital leidet in Deutschland an Problemen erster, zweiter und dritter Ordnung: Problem 1 ist der mangelnde Zugang zu Geld. Problem 2 ist, dass es zu wenige qualifizierte Venture Capital-Gesellschaften in Deutschland gibt. Das Fünffache an Kapital könnten die bestehenden Fondsmanager gar nicht verwalten. Punkt 3 ist die Frage, ob man unsere Anlageklasse nicht in irgendeiner Form steuerlich günstiger stellen sollte.
VC Magazin: Wäre das sinnvoll?
Brandis: Derzeit wird Venture Capital auf drei Ebenen besteuert: beim Unternehmen, beim Finanzinvestor und beim Anleger. In Frankreich zahlt nur der Anleger Steuern. Wenn ich sehe, dass die Hälfte der Welthandelsflotte von deutschen Privatinvestoren finanziert wird, weil die Tonnagesteuer so niedrig ist, dann erscheint mir die Förderung von Unternehmensgründungen durch eine kleine Pauschalsteuer volkswirtschaftlich wesentlich sinnvoller. Die Schiffe werden ja nicht einmal mehr in Deutschland, sondern längst in China, Vietnam und Korea gebaut.
VC Magazin: Man könnte entgegnen, dass Deutschland stärker auf direktes staatliches Engagement zur Innovationsförderung setzt. Schließlich erreicht Deutschland beim Kriterium „öffentliche Förderinfrastruktur“ des Global Entrepreneurship Monitors seit Jahren einen der Spitzenplätze. Reicht das nicht?
Brandis: Die Förderinfrastruktur für Forschungsausgaben ist sensationell. Für die Hightech-Initiative der Bundesregierung werden meines Wissens sechs Mrd. Euro für fünf bis acht Jahre in die Hand genommen. Hierdurch werden aber erstrangig Forschungsvorhaben gefördert. So kommt es, dass Deutschland auf der Technologieseite weltweit zu den führenden Ländern gehört. Die Kommerzialisierung findet aber woanders statt.
Motschmann: Wir müssen es schaffen, dieses in Instituten geförderte, exzeptionelle Wissen und technologische Verständnis in Produkte zu übersetzen. Dafür sind Investoren notwendig, die bereit sind, das Entwicklungsrisiko zu tragen und die Erfindungen in ein unternehmerisches Format zu überführen.
Brandis: Die ganze Wertschöpfungskette von der neuen Technologie bis hin zum etablierten Unternehmen braucht Geld. Wenn ich alles auf die erste Phase der Technologieentwicklung setze, dann ist die zwar super – hinten kommt aber nichts an. Weil wir die Translation von Forschungswissen in fertige Unternehmen nicht schaffen. Hierfür fehlt das Kommerzialisierungskapital.
VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Andreas Uhde.
Zu den Gesprächspartnern
Dr. Hendrik Brandis ist Mitgründer und geschäftsführender Gesellschafter von Earlybird Venture Capital. Michael Motschmann ist Vorstand der MIG Fonds AG. Die beiden Gesellschaften gehören zu den fünf größten Risikokapitalmanagern in Deutschland.