VC Magazin: Vor welchen besonderen Herausforderungen steht der europäische Markt für Beteiligungskapital im Jahr 2012 angesichts des gesamtwirtschaftlichen bzw. politischen Umfelds?
Güllmann: Ich gehe davon aus, dass der Euro weiterhin Bestand haben wird. In erster Linie handelt es sich zunächst um eine Staatsschuldenkrise, die sich in der Folge zu einer Krise der gemeinsamen europäischen Währung entwickelt hat und institutionelle Investoren wie Banken und Versicherungen berührt. Hinzu kommen regulatorische Vorschriften wie Basel III und Solvency II, welche zusätzlich die Bereitschaft hemmen, Gelder in die Assetklasse Private Equity fließen zu lassen. Eine der größten Herausforderungen wird daher das Fundraising sein. Insbesondere betrifft das den Venture Capital-Markt, aber auch der Buyout-Sektor wird mit Problemen zu kämpfen haben.
VC Magazin: In den letzten zwei Jahren konnten nur wenige Early Stage-Fonds ihr Fundraising erfolgreich abschließen. Welchen Anteil tragen sie selbst daran?
Güllmann: Grundsätzlich haben neue Teams oder jene mit neuen Strategien ihre Probleme im Fundraising. Das gilt erst recht für Manager ohne Track Record. Aber, und das ist das Alarmierende, es müssen sich auch erfolgreiche Teams viel mehr anstrengen. Vielleicht müssen sich Venture Capital-Fonds auf ein verändertes Anlegerverhalten einstellen und ihr Geschäftsmodell – bei 20 Investments gibt es gut zehn Flops und nur zwei Highflyer – ein Stück weit hinterfragen.
VC Magazin: Welche Auswirkungen wird die EU-Regulierung auf die Venture Capital-Branche haben?
Güllmann: Die AIFM-Direktive ist der Versuch, einen europaweit einheitlichen Rechtsrahmen zu schaffen. Sie betrifft aber direkt nur große Fonds und weniger die in der Regel kleinen Venture Capital-Fonds. In der Praxis hat das deshalb nur geringe Auswirkungen auf die ganz frühe Phase: Seed-Investments finden immer nur in einem regional begrenzten Rahmen statt, da die Fonds ihre Portfoliounternehmen stets intensiv betreuen. Auch öffentliche Investoren sind an ihre regionale Ausrichtung gebunden.
VC Magazin: Kurz vor Weihnachten hat die Europäische Kommission den „Aktionsplan zur Verbesserung des Finanzierungszugangs für KMU“ veröffentlicht. Welche Aspekte sind darin von besonderer Relevanz für die Branche?
Güllmann: Ich begrüße es sehr, dass die EU die Versorgung von jungen Unternehmen mit Risikokapital als eines der großen Themen der nächsten Jahre definiert hat. Was das konkret heißt, bleibt abzuwarten. Der bisher vorliegende Vorschlag für ein europaweit einheitliches Venture Capital-Regime ist zumindest ermutigend. Ich hoffe aber, dass es dann auch für die Finanzierung von Fonds leichter wird. Insgesamt ist das eine positive Initiative, die hoffentlich ab 2013 – wenn mit ersten Umsetzungen zu rechnen ist – ihre mikroökonomische Wirkung entfaltet.
VC Magazin: In welchem Verhältnis stehen hierzulande der Bedarf an Venture Capital für die frühe Phase und die tatsächliche Verfügbarkeit?
Güllmann: In Deutschland gibt es ein großes und leider zunehmendes Delta zwischen dem benötigten und dem verfügbaren Risikokapital. Eine große Anzahl von jungen Unternehmen sucht Risikokapital, aber es gibt in der Seed-Phase kaum noch private Investoren, die über Mittel verfügen. Derzeit sind hier fast ausschließlich öffentliche Investoren aktiv, die den Bedarf noch ganz gut abdecken können. Leider müssen wir feststellen, dass sich mittlerweile auch für Anschlussfinanzierungen dieses Delta vergrößert. Wir haben hierzulande einen eklatanten Mangel an Venture Capital!
VC Magazin: Wo steht die Bundesrepublik damit im europäischen Vergleich?
Güllmann: Deutschland möchte die wirtschaftliche Lokomotive der EU sein, aber im EU-Vergleich liegt Deutschland beim Verhältnis der VC-Investitionen zum BIP im hinteren Bereich der Rangliste. Die skandinavischen Länder, Großbritannien oder Frankreich erreichen zum Teil doppelt so hohe Werte (Schweden 0,068%, Norwegen 0,055%, Finnland 0,055%, UK 0,042%, Frankreich 0,038%, Deutschland 0,027%).
VC Magazin: Können öffentliche Seed-Investoren es verantworten, ein Start-up anzuschieben, wenn die Kapitalknappheit bei Anschlussfinanzierungen das vorzeitige Unternehmensende trotz solider Geschäftsentwicklung bedeuten kann?
Güllmann: Nur weil man Angst vor dem Tod hat, soll man gar nicht erst den ersten Atemzug tun? Das kann nun wirklich nicht die Logik sein. Gerade unter volkswirtschaftlichen Aspekten halten wir es für verantwortungsbewusst, als Geburtshelfer für junge Unternehmen zu dienen. Um Wachstum zu generieren, braucht Deutschland junge, technologieorientierte Unternehmen. Ein kleiner Teil der Start-ups erreicht zwar in einem relativ kurzen Zeitraum den Break-even, aber das Gros benötigt längere Unterstützung. Daher haben wir als NRW.Bank, aber auch andere Häuser wie die KfW, das Venture Capital-Engagement ausgebaut. Wir fühlen uns als Frühphaseninvestor auch verantwortlich für das Überleben der Unternehmen.
VC Magazin: Sie haben sich vor wenigen Tagen mit ihren Vorstandskollegen des deutschen Branchenverbandes BVK zur ersten Klausurtagung 2012 getroffen. Was haben Sie dabei als die wesentlichen Ziele für dieses Jahr definiert?
Güllmann: Wir werden einen Schwerpunkt auf die Pressearbeit legen und diese durch verschiedene neue Formate ausbauen. Die Kommunikation gegenüber der Politik möchten wir verstärken, da aktuell die Umsetzung der AIFM-Richtlinie in nationales Recht läuft und sich der BVK an diesem Prozess auch 2012 weiter intensiv beteiligen wird. Wichtig ist uns hierbei, ein Verständnis im öffentlichen Raum zu schaffen, dass Beteiligungskapital in Deutschland Teil der Lösung und nicht Teil des Problems für technologischen Fortschritt und Wachstum ist. Grüne Technologien, aber auch viele mittelständische Unternehmen wären ohne Beteiligungskapital in Deutschland nicht denkbar. Vor dem Hintergrund der wenig erfreulichen Situation auf dem deutschen Fundraising-Markt wird der Verband darüber hinaus auch künftig seine Mitglieder aktiv bei der Einwerbung von Kapital unterstützen.
VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Güllmann.
Das Interview führte Torsten Paßmann.
Zum Gesprächspartner
Dr. Peter Güllmann leitet seit 2006 den Bereich Beteiligungen der NRW.Bank (www.nrwbank.de). Sein Team investiert mit mehreren Vehikeln in sämtliche Unternehmensphasen – von Gründungs- über Wachstums- bis hin zu Nachfolgefinanzierungen von Mittelständlern. Im Mai 2011 wurde er für den Fachbereich Venture Capital in den Vorstand des Bundesverbands Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften (www.bvkap.de) gewählt.