VC Magazin: Sanofi vollzieht derzeit einen Paradigmenwechsel von einem traditionellen Pharmakonzern hin zu einem Gesundheitsunternehmen. Was bedeutet dies für Ihr Unternehmen im Detail?
Prof. Dr. Jochen Maas: Der Konzern fokussiert sich auf sechs strategische Wachstumsplattformen: Schwellenländer, Diabetes, Impfstoffe, Consumer Healthcare, Tiergesundheit und neue Produkte. So setzt Sanofi beispielsweise auf eine medizinische Rundumversorgung von Menschen mit Diabetes – von der Diagnostik über die Therapie bis zur Blutzuckerkontrolle. Zur Applikation der benötigten Arzneimittel werden am Standort Frankfurt eigene Insulin-Pens entwickelt und gefertigt. Hinzu kommen unsere Blutzuckermessgeräte zur Diagnose. In der Forschung haben wir neue Strukturen geschaffen, die unternehmerisches Denken und Handeln fördern. In den F&E-Divisionen Diabetes, Onkologie und Augenerkrankungen sitzen unsere Forscher an einem Tisch mit ihren Kollegen aus Marketing und Produktion. Sie begleiten Substanzen bis zum Markt und darüber hinaus und kümmern sich auch um das Life Cycle Management eines Produkts. Ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch den Wandel zieht, ist die Öffnung nach außen. Anstelle einer geschlossenen Innovation verfolgen wir jetzt eine offene Innovation, mit zahlreichen externen Partnerschaften.
VC Magazin: Könnte man sagen, dass Ihr Hauptaugenmerk künftig auf personalisierter Medizin liegen wird und die Entwicklung von milliardenschweren Blockbuster-Medikamenten in den Hintergrund rückt?
Maas: Das Blockbuster-Modell hat meiner Einschätzung nach weitgehend ausgedient. Natürlich wird auch künftig keine Firma einen potenziellen Blockbuster ablehnen, aber die Tendenz geht eindeutig zu „Minibustern“. Das sind personalisierte Therapieansätze für weitverbreitete Krankheiten, wie wir sie heute schon in der Onkologie anwenden. Diese mehr individualisierten Therapien werden sich zunehmend auch in anderen Indikationsfeldern durchsetzen.
VC Magazin: Ihre F&E-Division Diabetes forscht intensiv an personalisierten Ansätzen für Diabetiker und fungiert in gewisser Hinsicht als Vorreiter auf diesem Gebiet. Wo liegen die Forschungsschwerpunkte und -ziele?
Maas: Bei Sanofi unternehmen wir große Anstrengungen, um die Behandlung des Diabetes stärker zu personalisieren und nicht alle Patienten nach definierten Schemata zu therapieren. Insgesamt ist personalisierte Medizin in der Praxis noch selten anzutreffen, aber auf jeden Fall die Perspektive der Zukunft. Dazu beitragen könnte das gerade gestartete europäische Gemeinschaftsprojekt DIRECT, an dem weitere Pharmafirmen und akademische Forscher beteiligt sind. Sanofi fungiert hier als Koordinator. Ziel ist die Definition verschiedener Subtypen von Typ-2-Diabetes, das Auffinden und Entwickeln von Biomarkern oder Testverfahren für die frühzeitige Diagnose und die Etablierung möglicher personalisierter Therapien. Ein weiteres Beispiel: Wir verfolgen Ansätze zur Regeneration von Beta-Zellen in der Bauchspeicheldrüse. Es wird intensiv geforscht, aber vor dem Jahr 2020 ist sicherlich kein marktreifes Produkt zu platzieren.
VC Magazin: Aktuell ist der iBGStar das wohl innovativste Zubehör- bzw. Messgerät aus Ihrem Hause. Welche Entwicklungsmöglichkeiten sehen Sie zukünftig in diesem Bereich?
Maas: Die innovativen Blutzuckermessgeräte BGStar und iBGStar eröffnen neue Möglichkeiten der Blut¬zuckerselbstkontrolle, indem sie sich flexibel auf individuelle Bedürfnisse und den Lebens¬rhythmus von Diabetespatienten ausrichten lassen. Der iBGStar ist das erste am Markt verfügbare Blutzuckermessgerät, das direkt mit einem iPhone oder iPod touch verbunden werden kann. Keine Frage: Das Marktpotenzial für clevere, technikaffine Lösungen, die den Patienten helfen, ist enorm. Diese Entwicklung ist mehr als ein Trend.
VC Magazin: Ende 2011 hat Sanofi einen Lizenzvertrag mit Scil Technology GmbH abgeschlossen. Was steckt hinter dieser Kooperation?
Maas: Durch dieses Abkommen haben wir unsere Pipeline um ein interessantes Projekt zur Behandlung von Osteoarthrose erweitert. Bei dem Behandlungsansatz handelt es sich um einen biotechnologisch hergestellten Reparaturfaktor, der direkt in das Gelenk gespritzt wird. Er soll dort die Wiederherstellung geschädigten Knorpelgewebes anregen und die Neubildung von Knorpelmatrix fördern.
VC Magazin: Welche Rolle spielen für Sie generell Kooperationen mit innovativen Start-ups?
Maas: Für Sanofi werden solche externen Kooperationen immer wichtiger. Wir warten nicht mehr, bis jemand auf uns zukommt, sondern suchen selbst aktiv nach Kooperationspartnern.
VC Magazin: Wie gestaltet sich im Allgemeinen Ihre Zusammenarbeit mit Venture Capitalisten bzw. inwieweit beobachten Sie deren Portfoliounternehmen aus der personalisierten Medizin?
Maas: Wir haben hierfür eine eigene Abteilung. Sie verfolgt spannende Entwicklungen. Wir nutzen bestimmte Kriterien, um abzuschätzen, ob sich der Kontakt zu einem externen Partner lohnt. Eine weitere wichtige Quelle für Kooperationen sind natürlich persönliche Kontakte. Wir suchen nach Kooperationen in Forschungsgebieten, in denen wir arbeiten. Für unseren Standort Frankfurt sind das Indikationsgebiete aus den Bereichen Diabetes und Aging – zu letzterem gehören Osteoarthritis und Osteoarthrose, aber auch Schlaganfall.
VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Prof. Dr. Maas.
Das Interview führte Lisa Wolff.
Zum Gesprächspartner:
Prof. Dr. Jochen Maas ist Geschäftsführer Forschung & Entwicklung der Sanofi-Aventis Deutschland GmbH (www.sanofi.de). Darüber hinaus ist er Vice President Forschung & Entwicklung von Sanofi in Europa, Mitglied des European Strategic Management Committee sowie Vice President der globalen Forschung und Entwicklung im Bereich Diabetes. Als Professor an der technischen Hochschule Mittelhessen hält er zudem Vorlesungen über Pharmakokinetik und Drug Delivery Systeme.