Mitteldeutschland hält viel Wachstumspotenzial bereit

Unternehmensgründung und -finanzierung in Mitteldeutschland – für viele Beobachter noch ein problematisches Feld. Beklagt wird oft ein grundsätzliches Fehlen von institutionellen Investoren und Business Angels, die in anderen Bundesländern zahlreicher vorhanden sind und jungen Unternehmern schneller auf die Sprünge helfen. Dabei sind Innovations- und Wachstumspotenzial in Mitteldeutschland üppig vorhanden, Technologie- und Gründerzentren bündeln verschiedenste Kompetenzen zu einer der reichhaltigsten Clusterlandschaften innerhalb Europas. So ist es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis die mitteldeutschen Bundesländer kräftig aufholen werden.

Geballte Forschung

Die Region Mitteldeutschland hat in den letzten Jahren durch viele interessante Neugründungen und aufstrebende Unternehmen auf sich aufmerksam gemacht: Probiodrug aus Halle, Azzurro Semiconductors aus Magdeburg, die Deutsche Solar GmbH in Freiberg. Tief verwurzelte Branchen sind die Optoelektronik und Mikroelektronik in Thüringen bzw. Sachsen sowie Chemie und Kunststoffe in Sachsen-Anhalt. Ihren Niederschlag finden diese Branchenschwerpunkte in den vielfältigen Technologie- und Gründerzentren, deren Dichte im bundesweiten Vergleich in Mitteldeutschland einmalig ist. Die Wirtschaftsinitiative Mitteldeutschland, getragen von überregionalen Unternehmen sowie von Kammern und Städten der drei Bundesländer, vereint insgesamt zehn Cluster in sich mit dem Ziel, die jeweiligen Technologien besonders nachhaltig entwickeln und vermarkten zu können. Höhepunkte dieser Initiative sind sicherlich das Cluster Biotechnologie und Life Sciences in Jena, das Cluster für Chemie und Kunststoffe in Halle sowie das Cluster Mikroelektronik, Europas größter Industrieverband der Mikroelektronik am größten Halbleiterstandort Dresden. Allein im Biotechnologiebereich gibt es in Mitteldeutschland mittlerweile mehr als 200 Unternehmen, und über 100 Dienstleister, mehr als 50 universitäre und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen runden den Standort ab.

Unternehmertum verankern

Die guten Voraussetzungen werden momentan noch von einem weniger erfreulichen Umstand begleitet: Viele Beobachter beklagen die fehlende Unternehmerkultur in der Region. Laut einer KfW-Statistik waren im Zeitraum 2007 bis 2011 gerade mal 1,12% der Bevölkerung in Sachsen-Anhalt Gründer, in Sachsen und Thüringen waren es 1,28% bzw. 1,3%. Zum Vergleich: Spitzenreiter Berlin fällt mit 2,5% Gründern innerhalb der Bevölkerung auf. SP08 Christian VogelWEBDen Zirkelschluss von zu wenigen Unternehmern bei gleichzeitig zu wenigen Investoren möchte u.a. die CFH Beteiligungsgesellschaft aus Sachsen aufbrechen: „Wir müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Leute Unternehmer werden wollen“, erklärt Geschäftsführer Christian Vogel. Von den Vorteilen der Region ist er überzeugt: „Es gibt in Mitteldeutschland zahlreiche attraktive Technologiecluster, die das Kapital und Know-how einer erfahrenen Beteiligungsgesellschaft gut gebrauchen und zu Unternehmensneugründungen nutzen können.“ Investitionen würden sich lohnen, so Vogel weiter, da die gut ausgebildeten Fachkräfte sonst abwanderten und ihre Chancen und Potenziale bei großen, überregionalen Firmen wahrnehmen. „Die Vorzüge eines sicheren Jobs in der Industrie wiegen die Risiken einer Unternehmensgründung oftmals auf“, ist der Investor überzeugt; um das zu ändern, arbeite die CFH und der u.a. von ihr gemanagte Technologiegründerfonds Sachsen eng mit Gründungsinitiativen vor Ort zusammen und habe in den letzten Jahren mehr als 30 Firmen bei der Gründung unterstützt. „Es könnten aber noch viel mehr sein“, ist Vogel überzeugt.

Andere Finanzierungslage

Einher mit fehlendem oder schwach ausgebildetem „Entrepreneurial Spirit“ geht die relativ dünne Ansiedlung von privatwirtschaftlichen Risikokapitalgebern in der Region. Öffentliche und teilweise öffentliche Beteiligungsgesellschaften spielen die größte Rolle: Die CFH Beteiligungsgesellschaft in Sachsen, die bm-t und DEWB in Thüringen sowie die Mittelständische Beteiligungsgesellschaft in Sachsen-Anhalt, weitere wichtige Player sind außerdem die Beteiligungsgesellschaften der Sparkassen. Als Vehikel der Bundesregierung zur Förderung und Unterstützung der Gründeraktivität hat sich auch der High-Tech Gründerfonds (HTGF) in der Region etabliert, der bis dato 30 Beteiligungen in Mitteldeutschland getätigt hat, davon 22 aktiv und drei erfolgreiche Exits. Wichtiger Finanzierungsquell für Unternehmer der Region sind außerdem immer noch staatliche Fördermittel und Landesbürgschaften.

Häufige Unwissenheit

Auch hinsichtlich der alternativen Finanzierungsformen ist Aufklärungsarbeit gefragt. Für einen Großteil der Unternehmer ist der Bankkredit noch die selbstverständlichste Finanzierungsform, dicht gefolgt von Eigenkapital, das aus privaten Mitteln bestritten wird. Michael BahrMichael Bahr, Head of Research der Unternehmensberatung Blue Corporate Finance mit Standort in Leipzig, kennt die traditionell am stärksten nachgefragten Finanzierungsmodelle der Region: „Hier herrscht eine ausgeprägte Self-Made-Mentalität. Unternehmensgründer und Selbstständige schieben die Kapitalsuche lange Zeit hinaus und versuchen, aus dem eigenen Cashflow zu wachsen. Viele Unternehmer sind auch eher beratungsscheu“, berichtet er. Eine teilweise Schuld spricht Bahr hier jedoch auch der Private Equity-Szene selbst zu, die sich noch weiter professionalisieren und bessere Aufklärungsarbeit leisten müsse. Außerdem sieht er hier ein deutschlandweites Problem: „Investoren sind zu wenig risikobereit – das führt dazu, dass Erfolgsgeschichten wie Datameer, ursprünglich gegründet in Halle, hierzulande nicht realisiert werden können.“ Der 2009 gegründete Anbieter einer Datenmanagement-Software versuchte seine ersten Schritte auf dem deutschen Markt, siedelte dann aber aufgrund fehlenden Interesses hiesiger Investoren ins Silicon Valley über. Dort erfolgten die beiden Finanzierungsrunden; an der zweiten waren u.a. Kleiner Perkins Caufield & Buyers mit über 9,25 Mio. USD beteiligt (s. Fallstudie S. 26). Ein Aufstieg dieser Art wäre in Mitteldeutschland, gar in Deutschland so nie möglich gewesen, ist Bahr überzeugt.

Qualität statt Quantität

Eben dadurch, dass sich bundesweit oder international tätige Beteiligungsgesellschaften am mitteldeutschen Markt lediglich besser umschauen müssten, sieht Bahr auch keine zwingende Notwendigkeit, mehr Investoren direkt vor Ort anzusiedeln. „Die meisten Investoren sind deutschland- und europaweit unterwegs, und auch mitteldeutsche Firmen akquirieren Kapital, wenn auch nicht aus der Region, so doch aus Düsseldorf oder aus Hamburg“, so Bahr. Außerdem gebe es mittlerweile eine zunehmend junge Generation von Unternehmern, die sich vor alternativen Formen der Finanzierung nicht mehr scheue und für die es ganz normal sei, bundesweit auf Investorensuche zu gehen. Ähnlich sieht es auch Vogel um die Investorendichte in Mitteldeutschland bestellt: „Die Aussage, in Mitteldeutschland gebe es zu wenig Kapital, kann ich überhaupt nicht bestätigen. Aus unserer Sicht sind für Mittelständler, die eine Nachfolge regeln wollen oder für Start-ups mit innovationsträchtiger Technologie aktuell genügend Mittel vorhanden“, so der Investor. Die Voraussetzungen für Spitzentechnologie und Innovationspotenzial seien dabei in jedem Fall gegeben. „Im Prinzip ist hier alles vorhanden“, meint auch Bahr; „reichlich Spitzentechnologie, die Lebenshaltungs- und Unternehmenskosten sind gering und es gibt viele motivierte, innovationsfreudige Menschen.“ Im Prinzip gelte für Investoren nun, das weitere Wachstum von Firmen der Region mit offenen Augen zu beobachten.

Spezialisierung auf Branchen

Die DEWB aus Jena tut dies für eine regional stark verankerte Branche. Sie versteht sich als Kapitalgeber für Photonik und Sensorik sowie angrenzende Bereiche, z.B. optische Technologien und Sensorik in der Automatisierungs- und Produktionstechnik. SP08 Bertram KöhlerWEBIn Jena ist die DEWB eingebunden in das Umfeld des Clusters Optonet der Wirtschaftsinitiative Mitteldeutschland, ein international vernetztes Industrie- und Wissenschaftscluster der Optoelektronik. Der Standortvorteil ist Kernstück der Arbeit der Beteiligungsgesellschaft: „Mit unserem Investitionsschwerpunkt in den optischen Technologien bietet die Region industriell und wissenschaftlich eine exzellente Basis und Unterstützung im gesamten Beteiligungsprozess“, erzählt Bertram Köhler, Vorstand der DEWB. Der Investitionsfokus der DEWB ist jedoch keineswegs auf die mitteldeutschen Bundesländern beschränkt; dies liegt laut Köhler vor allem daran, dass es innerhalb dieser Regionen noch zu wenige Investitionschancen gebe. Verglichen mit den Private Equity-Investitionen in anderen Bundesländern bewegen sich Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen seit Jahren im unteren Drittel. Umso wichtiger schätzt Köhler die Standortförderung der Politik und Gründungsinitiativen zur Ansiedlung von Unternehmen ein; das Wachstumspotenzial der ansässigen Firmen müsse eben noch gesteigert werden. „Eine große – man kann fast sagen eine unersetzbare – Rolle spielen dabei die öffentlichen und teilweise öffentlichen Beteiligungsgesellschaften“, so Köhler weiter.

Lebenselixier Gründerzentren

Mit ihrer gezielten Förderung und Unterstützung bieten Technologie- und Gründerzentren das ideale Umfeld für schnelles Wachstum der Unternehmen. Von deren Bedeutung gerade für den Standort Mitteldeutschland ist auch Dr. Bertram Dressel, Vorsitzender des ADT Bundesverbandes Deutscher Innovations- und Technologiezentren, überzeugt. „Die Technologie- und Gründerzentren haben sich in Mitteldeutschland zu einem schlagkräftigen Netz mit erfahrenen Fachleuten entwickelt, die SP08 Bettina VoßbergWEBin den letzten mehr als 20 Jahren eine große Zahl von Unternehmensgründungen namentlich im Technologiebereich unterstützt haben“, so der Branchenfachmann. Allein in Sachsen seien mehr als 2.000 Gründungen erfolgreich unterstützt worden, die Überlebensquote von mehr als 90% dieser Gründungen mache die Arbeit der Zentren durchaus deutlich, so Dressel weiter. Ebenfalls für Sachsen sprechen Bettina Voßberg von der Hightech Startbahn (HTSB) an der TU Dresden, einem Gründungs- und Inkubatorprojekt der Universität und Dr. Karsten Rönner vom Startbahn Venture Fonds, der aus dem Projekt ausgegründet wurde. Das HTSB Projekt wird seit 2010 am Vodafone Stiftungslehrstuhl Mobile Nachrichtensysteme von Prof. Dr. Dr. Gerhard Fettweis mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung durchgeführt. Das HTSB Netzwerk verbindet Gründer, Gründungsinteressierte, Unternehmer und unterstützende Partner. Der HTSB Inkubator berät in allen Phasen der Unternehmensgründung und Entwicklung. Der Startbahn Venture Fonds beteiligt sich mit Eigenkapital an wachstumsorientierten Technologie-Unternehmen. „Ziel der Initiative ist, in Sachsen eine Gründerökonomie zu entwickeln, die sich aus häufigen und wiederholten Unternehmensgründungen selbst finanziert“, erläutert Voßberg. „Dazu bieten wir eine Plattform, die alle Elemente zur Steigerung der Gründungsaktivität und des Gründungserfolges vereint“, erzählt sie weiter.

Success Stories beflügeln

Die Einbettung in den Gründer- und Forschungsstandort der TU Dresden ist für Rönner und Voßberg dabei ideal: „Wir setzen mit unserer Arbeit in einer Region an, die bereits zahlreiche erfolgreiche Gründungen hervorgebracht hat und weiterhin hohe Gründungsaktivität aufweist. Sachsen ist ein Zentrum der Hightech-Forschung mit Ergebnissen von Weltrang“, berichtet Rönner. Mit dieser Einschätzung befinden sich die beiden Mentoren in bester Gesellschaft. RönnerAls besondere Success Stories seiner Beteiligungen der Region führt beispielsweise der HTGF die Unternehmen Heliatek, Hapila und HiperScan an. Als Spin-off des Instituts für Angewandte Photophysik der TU Dresden sticht vor allem Heliatek heraus; dessen Leiter Prof. Dr. Karl Leo zeichnet auch verantwortlich für die Ausgründung der Novaled, die sich im November letzten Jahres eine Minderheitsbeteiligung der Samsung Venture Investment Corporation sichern konnte. Im Februar dieses Jahres beantragte der Hersteller von Leuchtdioden die Zulassung für ein IPO in den USA und steht vor einem der wenigen, lang ersehnten Börsengänge eines deutschen Unternehmens.

Fazit:

Durch jahrelangen Strukturaufbau und gezielte staatliche Förderung haben sich die Länder Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt zu einer der innovationsstärksten Regionen Deutschlands entwickelt. Durch gezielte Maßnahmen vor Ort wird eine Gründerkultur etabliert, die überregionalen Investoren auf der Suche nach Beteiligungsmöglichkeiten willkommen sein dürfte. Die Unternehmer, die ihre Ziele klar vor Augen haben und ihren Gründungswunsch klar formulieren, nehmen Matching- und Förderangebote bereitwillig an und haben alte Hemmschwellen gegenüber alternativen Finanzierungsformen überwunden. Die Region ist also auf dem besten Weg.