Luft nach oben
Die chinesische Industrie kann in vielen Bereichen ihr Produktivitätsniveau noch deutlich ausbauen. Während in Deutschland das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf bei ca. 33.000 EUR liegt, beträgt es in China lediglich ca. 4.100 EUR. Der Produktivitätsunterschied erstreckt sich über alle Branchen, jedoch in unterschiedlichen Ausprägungen. So ist z.B. die Produktion pro Arbeitnehmer in den Branchen Chemie, Pharma oder Bau im Vergleich zu Deutschland um den Faktor zehn bis 15 geringer. Aber selbst in Branchen, in denen China bereits weiter fortgeschritten ist, sind die Differenzen eklatant, z.B. in der Produktion von Konsumgütern – hier erreicht die Produktivität pro Arbeitnehmer nur etwa ein Sechstel derer deutscher Arbeitnehmer. Im Lebensmittelbereich ist sie halb so hoch. Zudem ist Deutschland in vielen Industrien Weltmarktführer, was nicht zuletzt dem technologischen Vorsprung geschuldet ist. Ein Vergleich der Patentanmeldungen von chinesischen und deutschen Firmen zeigt, dass Deutschland in vielen strategisch wichtigen Industrien weiterhin führend ist. So lagen z.B. die Patentanmeldungen im Industriesektor in den Jahren 2000 bis 2009 in Deutschland doppelt so hoch – im Bereich Transport sogar um den Faktor zehn höher.
Vorteile auf beiden Seiten
Chinesische Direktinvestitionen im Ausland haben sich seit dem Jahr 2007 von ca. 95 Mrd. USD auf knapp 370 Mrd. USD im Jahr 2011 fast vervierfacht. Insgesamt konnten seit 2010 ca. 30 Akquisitionen durch chinesische Unternehmen oder Fonds in der DACH-Region gezählt werden – alle davon in Industrien, die im Fünfjahresplan speziell gefördert werden. Für chinesische Investoren liegen die Vorteile einer Beteiligung an deutschen Unternehmen auf der Hand: Sie bekommen Zugang zu westlicher Technologie und Produktionskompetenz, einer westlichen Kundenbasis und einer westlichen Marke, die eventuell sogar global genutzt werden kann. Aber auch für deutsche Unternehmen ist eine Beteiligung aus Fernost mit klaren Vorteilen verbunden: Sie können von einem finanzkräftigen Investor profitieren, der ein langfristiges, strategisches Interesse an dem weiteren Erfolg des Unternehmens hat. Zudem streben viele eine Expansion des deutschen Unternehmens im chinesischen Markt an.
Geneigte Koinvestoren
Aus der Sicht europäischer Finanzinvestoren müssen chinesische Investoren deshalb nicht primär als Konkurrenten gesehen werden. Es gibt bereits einige Beispiele, in denen europäische und chinesische Investoren ihre Stärken gebündelt haben. Beispiele hierfür sind die gemeinsame Beteiligung von Eurazeo, IDG-Accel China Capital und Cathay Capital an Moncler, die Minderheitsbeteiligungen von Fosun und A Capital an Club Med, die Beteiligung von Weichai Power an Kion, die Minderheitsbeteiligung von A Capital und Sparkle Roll an Bang & Olufsen oder die Beteiligung von Fosun an Folli Follie.
Attraktiver Exit-Kanal
Neben der Möglichkeit gemeinsamer Investitionen mit chinesischen Investoren ist durch das Interesse der Chinesen an Deutschland und Europa auch die Möglichkeit attraktiver Exits für deutsche und europäische Beteiligungsgesellschaften gegeben. Insbesondere in den für China wichtigen Industrien ist das Engagement bereits groß. Beispielhaft kann hier der Autotürhersteller Kiekert genannt werden, der an den chinesischen Automobilzulieferer Hebei Lingyun Industrial Group verkauft wurde. Weitere Beispiele sind der Verkauf von KSM Castings von Cognetas an Citic, der Verkauf von Preh durch die Deutsche Beteiligungs AG an Joyson Holding, der Verkauf von Fischer Advanced Composite Components durch ACC Kooperationen und Beteiligungen an Xi’an Aircraft Industry oder der Verkauf von DyStar Textilfarben durch Platinum Equity an die Zhejian Longheng Group.
Ausblick
Auf der Basis von aktuellen persönlichen Gesprächen mit führenden Vertretern von Investmentfonds und Industrieholdings in Shanghai, Peking und Hongkong sowie der Analyse von Sekundärinformationen gehen wir davon aus, dass die bisher getätigten Transaktionen nur der Anfang sind und Private Equity-Fonds und die M&A Community davon profitieren können, ihr Netzwerk in China auszubauen. Für hiesige Beteiligungsfonds könnten sich interessante Gelegenheiten sowohl auf der Buy Side (durch chinesische Konsortialpartner) als auch auf der Sell Side (durch neue Exit-Optionen) bieten. In direkte Konkurrenz zu hiesigen Fonds – etwa bei Transaktionen mit rein deutschem oder europäischem Fokus und keinem realen Bezug zu China – wollen chinesische Fonds zudem eher nicht treten, dafür fehle lokale Expertise, Netzwerk und Verständnis für lokale Erfolgsfaktoren, so der Tenor aus China.
Zu den Autoren:
Karin von Kienlin ist Partnerin und Deutschland-Chefin der Strategieberatung L.E.K. Consulting, . Die Beratung beschäftigt mehr als 1.000 Mitarbeiter in 20 Büros weltweit, in Deutschland liegt der Fokus u.a. auf Financial Services, Industrie, Energie und Gesundheitswesen.