Ein gigantischer Exit – das ist der Traum und Motiv für Gründer und Investoren von Start-ups. Alles, was diesen Traum gefährden könnte, sorgt daher sofort für Aufruhr. So stößt das im Januar vorgestellte Vorhaben der Bundesregierung, eine Übernahme von Start-ups demnächst durch die Kartellbehörden prüfen zu lassen – wenig überraschend – auf wenig Begeisterung.
Was ist geplant?
Die Bundesregierung schreibt in ihrem Jahreswirtschaftsbericht 2016, dass Start-ups häufig noch nicht die fusionskontrollrechtlichen Umsatzschwellen erreichen und dass die Fusionskontrolle deshalb auf Fälle ausgeweitet werden sollte, in denen der Transaktionswert einer Übernahme besonders hoch ist. Noch ist nicht klar, bei welcher Höhe der Transaktionswert angesetzt werden soll. Die Monopolkommission hat 500 Mio. EUR vorgeschlagen. In Deutschland muss ein Zusammenschlussvorhaben nach derzeitiger Rechtslage – unabhängig vom Sitz der beteiligten Unternehmen – beim Bundeskartellamt angemeldet werden, wenn die Zusammenschlussbeteiligten (d.h. insbesondere der Erwerber und das Zielunternehmen) bestimmte Umsatzschwellen erreichen: Dabei kommt es sowohl auf den weltweiten Umsatz an (insgesamt 500 Mio. EUR) als auch auf den in Deutschland erzielten Umsatz (5 Mio. EUR bzw. 25 Mio. EUR).
Das „WhatsApp“-Gesetz
Die Bundesregierung stellt nun fest, dass diese Schwellen bei der Übernahme von Start-ups nicht erfasst werden, ihre Geschäftsideen aber eine große wirtschaftliche Bedeutung haben und „zu einer gesamtwirtschaftlich unerwünschten Marktbeherrschung“ führen können. Gerade „disruptive“ Internet-Start-ups haben häufig zahlreiche User, aber verhältnismäßig geringe Umsätze bei gleichzeitig sehr hohen Bewertungen. So konnte die Übernahme von WhatsApp durch Facebook wegen der geringen Umsätze von WhatsApp in Deutschland nicht durch das Bundeskartellamt geprüft werden. Allerdings waren die Voraussetzungen für eine Prüfung durch die Europäische Kommission erfüllt, sodass das Vorhaben nicht vollständig der Prüfung durch die europäischen Kartellbehörden entzogen war. Das Vorhaben der Bundesregierung wird stark kritisiert. Es sei eine neue Hürde, die den Gründern und Investoren das Leben schwerer machen kann. Es mutet in der Tat schon fast skurril an, dass im gleichen Jahreswirtschaftsbericht über laufende Bemühungen berichtet wird, die Rahmenbedingungen für Wagniskapital und Start-ups in Deutschland zu verbessern. Aus Sicht der Start-up-Szene ist das daher allemal ein falsches Signal. Andererseits ist die Frage zu stellen, wie groß tatsächlich die praktische Beeinträchtigung sein wird. Schauen wir dafür einmal über den Tellerrand.
Und in den USA?
In anderen Ländern, wie z.B. in den USA, ist ein solches zusätzliches Aufgreifkriterium nicht ungewöhnlich. Eine ähnliche Diskussion wurde auch bereits auf europäischer Ebene angestoßen. Zudem handelt es sich nach gegenwärtigem Stand nur um eine Erweiterung der Aufgreifkriterien. Das Ergebnis der inhaltlichen Prüfung durch das Bundeskartellamt hängt von der jeweiligen wettbewerblichen Situation ab: Unabhängig davon, ob es sich um ein Start-up oder ein etabliertes Unternehmen handelt, kann ein Zusammenschluss nur untersagt werden, wenn er wirksamen Wettbewerb erheblich behindern würde, insbesondere wenn zu erwarten ist, dass er eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt. In dynamischen Märkten mit vielen Marktteilnehmern und niedrigen Eintrittsschranken dürften in vielen Fällen keine Bedenken gegen eine zügige Freigabe des Zusammenschlusses durch das Bundeskartellamt bestehen. Bei Start-ups mit hoch innovativen Produkten, die von einem etablierten Unternehmen mit ähnlichen Produkten erworben werden, oder bei Märkten, in denen es auf Netzwerkeffekte an-kommt, könnte dies aber anders zu bewerten sein. Da die Unternehmen eine fusionskontrollpflichtige Transaktion vor der Freigabe durch das Bundeskartellamt nicht vollziehen dürfen, kann die Erweiterung der Aufgreifkriterien auch den Zeitplan der Transaktion verlängern. Wenn ein Zusammenschluss aber keinen wettbewerblichen Bedenken begegnet, hat das Bundeskartellamt ohnehin nur einen Monat Zeit für seine Prüfung.
Fazit
Aktuell ist noch offen, ob die geplante Ausweitung der Fusionskontrolle in der Praxis wirklich eine wesentliche Einschränkung für eine Vielzahl an Exits sein wird. Entscheidend wird vor allem sein, ob der Gesetzgeber klare Regeln für die Bestimmung des Transaktionswerts festlegt, damit die Frage der Anmeldepflicht schnell geklärt werden kann. Außerdem sollte das neue Aufgreifkriterium nur dann zur Anwendung kommen, wenn der Zusammenschluss einen eindeutigen Bezug zum deutschen Markt hat. Aber: Zwingende Gründe, so eine Regelung jetzt auf deutscher Ebene einzuführen, gibt es eigentlich nicht. Wenn es die Bundesregierung wirklich ernst damit meint, die Bedingungen für Start-ups in Deutschland verbessern zu wollen, sollten jetzt nicht solche Vorhaben verfolgt werden, sondern die Förderung der Start-up-Kultur in Deutschland ernsthaft angegriffen werden. Es gibt genug andere regulatorische Hindernisse, die erst einmal beseitigt werden könnten.
Madeleine Zipperle (li.) ist Rechtsanwältin bei der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek in Köln. Sie hegt eine große Leidenschaft für die Unterstützung junger Gründer. So hat sie schon viele Start-ups von der Wiege nicht zur Bahre, sondern zum erfolgreichen Exit begleitet. Daneben steht alles rund um das Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht im Zentrum ihrer Arbeit. Beatrice Stange ist Rechtsanwältin bei Heuking Kühn Lüer Wojtek und berät regelmäßig sowohl mögliche Zielunternehmen als auch mögliche Investoren bei der Frage, ob ein geplanter Zusammenschluss bei den Kartellbehörden anzumelden ist. Ihre Beratung umfasst neben solchen fusionskontrollrechtlichen Themen auch andere kartellrechtliche Fragen, die sich in der täglichen Arbeit eines Unternehmens stellen, wie z.B. die Grenzen zulässiger Kooperationen.