Den deutschen Unternehmen geht es prächtig. Die Wirtschaft wächst – laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung im vierten Quartal 2016 um 0,5% –, die Zahl der Insolvenzen geht weiter zurück – Creditreform weist ein Minus von 3% gegenüber 2015 aus – und die Zinsen für Gewerbekredite sind nach wie vor niedrig. Doch insbesondere beim Thema Darlehen trübt sich die Stimmung bei den Unternehmern ein, wie aus dem Finanzierungsmonitor des Kreditmarktplatzes Creditshelf hervorgeht.
VC Magazin: Welche Rolle spielen Factoring und Leasing aktuell in der Finanzierungsstruktur deutscher Unternehmen?
Secker: Beide Instrumente spielen weiterhin eine wichtige Rolle. Die Veröffentlichungen beider Branchenverbände belegen für das Jahr 2016 jeweils ein klares Wachstum, im Factoring zum Halbjahr von etwa 4%. Diese Zuwächse sind dabei keine Entwicklung, die wir nur hier in Deutschland sondern auch international beobachten. Wenn alternative Finanzierungsformen trotz des ausgezeichneten Zugangs zu klassischen Krediten – bedingt durch das anhaltende Niedrigzinsumfeld – wachsen, ist das ein gutes Zeichen. Das Modell des mittelfristigen unbesicherten Kredits als einzige Form der Unternehmensfinanzierung ist heute quasi nicht mehr vorhanden.
VC Magazin: Ist das Learning aus der Finanzkrise für die Unternehmer also, sich breiter und damit unabhängiger von einzelnen Finanzierungspartnern aufzustellen?
Secker: Die Erfahrungen aus der Finanzkrise scheinen nachhaltig zu sein. Allerdings wirken sie nicht alleine. Ein weiterer Faktor ist aus meiner Sicht auch der sich vollziehende Generationenwandel in den Chefetagen. Eine diversifizierte Betrachtung von Finanzierungsfragen ist heute Teil des Studiums und der Ausbildung, die neue Generation ist weniger mit dem Hausbankprinzip groß geworden. Dadurch sind junge Führungskräfte alternativen Finanzierungsformen gegenüber häufig deutlich aufgeschlossener als ihre Vorgänger. Fintechs sind für sie ganz selbstverständlich Bestandteil der Finanzierung.
VC Magazin: Neben einem gesunden Mix, worauf sollten Unternehmer bei der Strukturierung ihrer Finanzierung achten?
Secker: Ich rate Unternehmen, ihre Finanzierungspartner auch unter den Aspekten Stabilität und Berechenbarkeit auszuwählen. Zwar gibt es aktuell eine Vielzahl an neuen Anbietern und auch Institute, die Mittelstandsinitiativen ausrufen. Die Vergangenheit hat jedoch auch gezeigt, dass die langfristige Ausrichtung dabei häufig in den Hintergrund tritt und entsprechende Angebote oftmals so schnell wieder verschwunden sind, wie sie aufkamen. Kurzfristige Erfolge sollten aus meiner Sicht nicht über den mittel- und längerfristigen stehen.
VC Magazin: Sie hatten das Thema Fintechs angesprochen. Wie nehmen sie die Konkurrenzsituation durch diese neuen Anbieter im Bereich Mittelstandsfinanzierung wahr?
Secker: Die Wettbewerbssituation steht hier meines Erachtens nicht im Vordergrund. Vielmehr sollte uns Marktteilnehmern mehr an Kooperationen gelegen sein, von denen beide Seiten profitieren. Nehmen Sie beispielsweise das Factoring-Segment, in dem es bereits einige Fintechs gibt. Von den rund 30 Factoring-Unternehmen, die im Deutschen Factoring-Verband organisiert sind, erzielt das kleinste ein paar hundert Millionen Euro Umsatz im Jahr, Targo Commercial Finance als größter Anbieter rund 45 Mrd. EUR. Wenn ein Factoring-Anbieter jährlich einen Umsatz von 1 Mrd. EUR erzielen möchte, müssen bei durchschnittlicher Forderungslaufzeit zwischen 100 Mio. EUR und 150 Mio. EUR finanziert werden. Die Finanzierungsrunden für europäische Fintechs in diesem Segment reichen dafür bislang in der Regel nicht aus. Allerdings können die jungen Unternehmen über Kooperationen mit etablierten Anbietern Marktzugang erlangen und den Kunden das Beste aus beiden Welten anbieten.
VC Magazin: In welchem Umfang greifen Private Equity-Häuser bei der Finanzierung ihrer Portfoliounternehmen auf Factoring und Leasing-Angebote zurück?
Secker: Die Akzeptanz und das Wissen um diese Finanzierungsmodelle haben bei den Private Equity-Gesellschaften in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Vor sechs, sieben Jahren war der Erklärungsbedarf zu den Finanzierungsinstrumenten Factoring und Leasing oftmals größer. Das hat sich inzwischen sehr gewandelt. Auch vor dem Hintergrund, dass Beteiligungsgesellschaften natürlich den Wunsch haben, einen optimalen Leverage zu erreichen. Tatsächlich ermöglicht eine Finanzierung des Working-Capital-Bedarfs durch Factoring eine wesentlich höhere Liquiditätsausschöpfung gegenüber herkömmlichen Kreditlinien von Banken. So können in der Regel rund 90% des Werts der Forderungen in den Targets zeitnah in Liquidität umgewandelt werden.
VC Magazin: Stichwort „Leveraged Buyouts“: Die Banken agieren hier zuletzt durchaus aggressiv. Wie nehmen Sie die Entwicklung wahr?
Secker: Wir beobachten den Markt aktuell mit einer gewissen Sorge. Die Mentalität im Markt erinnert stellenweise an die Jahre 2006 und 2007: Es gibt kaum etwas, das zu gewagt ist, und gleichzeitig finden sich fast immer Player, die diese Vorhaben finanzieren. Der Hauptgrund ist, dass schlicht zu viel Kapital und nur eine begrenzte Zahl an Kunden im Markt ist.
VC Magazin: Welche Entwicklungen im Bereich Factoring und Leasing erwarten Sie für die kommenden zwölf bis 18 Monate?
Secker: Auch wenn die Marktaussichten im Mittelstand insgesamt erfreulich positiv sind, ist verhaltener Optimismus doch angebracht. Aktuell kämpfen einige Mittelständler in Deutschland um die Aufrechterhaltung ihrer Umsätze. Insbesondere in Industrieunternehmen ist diese Entwicklung zu beobachten – was aus der Erfahrung kein guter Vorbote ist. Auch aus Risikoperspektive sehen wir heute mehr Bewegung als zu Jahresbeginn 2016. Sollte eine Zinswende eintreten, könnten Mittelständler, deren Geschäftsmodelle nicht 100%ig überzeugen vor Herausforderungen stehen. Jetzt davon zu sprechen, dass wir auf eine herausfordernde Zeit zusteuern, wäre sicherlich verfrüht, allerdings ist das Umfeld heute nicht mehr optimistisch positiv zu betrachten wie noch vor einem Jahr. Für das Factoring- und Leasing-Geschäft gehen wir verhalten optimistisch in die nächsten zwölf bis 18 Monate.
VC Magazin: Herr Secker, vielen Dank für das Interview.
Joachim Secker ist CEO von Targo Commercial Finance. Das Unternehmen ging im Sommer 2016 aus dem durch die französische Bankengruppe Crédit Mutuel übernommenen Factoring- und Leasing-Geschäft von GE Capital in Deutschland hervor und bietet mittelständischen Unternehmen Finanzierungen in den Bereichen Factoring und Leasing an. Secker war seit 2008 Chief Executive Officer von GE Capital Germany.