Junge Unternehmen aus dem Sektor der Finanztechnologien – kurz Fintech – stehen bereits seit einiger Zeit bei Gründern und Investoren hoch im Kurs. Die Aussichten, eine Industrie zu revolutionieren, deren kundenseitig letzte große Innovation die Einführung des Onlinebanking war, weckt riesige Wachstumsfantasien. Gleichzeitig könnte der Fintech-Standort Deutschland durch die Entscheidung Großbritanniens, die EU zu verlassen, zusätzlich an Bedeutung gewinnen.
VC Magazin: Wie steht es um die regulatorischen Rahmenbedingungen für Fintech in Deutschland?
Henkel: Wer Finanzdienstleistungen in Deutschland anbietet oder gar Bankgeschäfte betreibt, bedarf einer entsprechenden Erlaubnis der BaFin. Die Frage, ob es sich um eine erlaubnispflichtige Finanzdienstleistung handelt oder nicht, muss im Einzelfall anhand des Geschäftsmodells des Fintech-Unternehmens geprüft werden. Eine Erlaubnispflicht kann sich zum Beispiel aus dem Kreditwesengesetz (KWG), dem Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz (ZAG) oder dem Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) ergeben. In Deutschland besteht ein sogenanntes regulatorisches Level Playing Field. Heißt: Gleiche Finanzdienstleistungen und gleiche Risiken fallen unter die gleiche Aufsicht und Regulierung, egal ob die Dienstleistung von einem „jungen“ Fintech-Unternehmen oder einem seit Jahren am Markt etablierten Finanzdienstleister erbracht wird. Fintechs genießen in Deutschland daher keinen besonderen „Welpenschutz“. Wenn ein Fintech-Unternehmen aufsichtsrechtlich „reguliert“ ist, untersteht es der Aufsicht durch die BaFin. Es gelten dann etwa besondere Anforderungen an die Eigenkapitalausstattung oder die Qualifikation der Geschäftsleiter.
VC Magazin: Wie reagiert die Branche auf die Regulierungen?
Henkel: Die aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen sind für Fintechs ein wichtiger Standortfaktor. Der fehlende „Welpenschutz“ für Fintechs in Deutschland wird durchaus kritisch bewertet. Die Ansiedlung bestimmter Fintechs im Ausland zur Vermeidung von regulatorischen Hürden und Kosten ist eine Folge hiervon. Allerdings ist der Wegzug dann keine echte Lösung, wenn die Dienstleistung final doch auf dem deutschen Markt angeboten werden soll – auch die grenzüberschreitende Erbringung einer Dienstleistung vom Ausland nach Deutschland kann erlaubnispflichtig sein. Die Bundesregierung und die BaFin haben die wachsende Bedeutung von Fintechs für den Wirtschafts- und Finanzstandort Deutschland jedoch erkannt und bemühen sich um eine gezieltere Förderung – etwa durch Formate wie das #FinCamp des Bundesfinanzministeriums oder das Portal „Unternehmensgründer & Fintechs“ der BaFin.
VC Magazin: Ab wann bedarf es einer BaFin-Lizenz?
Henkel: Gründer sollten frühzeitig Rat einholen, ob ihr Geschäftsmodell eine Erlaubnis benötigt. Das Anbieten von Zahlungsdiensten und alternativen Bezahlverfahren ist beispielsweise erlaubnispflichtig. Eine Erlaubnis kann auch erforderlich sein, wenn die Dienstleistung des Fintech in automatisierter Finanzportfolioverwaltung – sogenanntes Robo-Advice – besteht, es sei denn, es handelt sich um lediglich einmalige Anlageempfehlungen, und die Anlageentscheidung verbleibt beim Kunden. Ähnlich ist auch das Crowdfunding differenziert zu sehen: Die reine Kreditvermittlung ist erlaubnisfrei, Formen des Crowdinvesting oder Crowdlending können hingegen eine Erlaubnis der BaFin erfordern. Wenn das Geschäftsmodell des Fintech als erlaubnispflichtig angesehen wird muss die erforderliche aufsichtsrechtliche Erlaubnis beantragt werden. Vor Erteilung der Erlaubnis darf die Geschäftstätigkeit nicht aufgenommen werden. Falls doch, begeht der Geschäftsleiter eine strafbare Handlung. Auch seine „Zuverlässigkeit“ im Sinne des Aufsichtsrechts ist dann gefährdet. Dies kann die Erteilung einer künftigen Erlaubnis durch die BaFin erschweren oder ganz verhindern. Außerdem können Konkurrenten oder Kunden Ansprüche auf Unterlassung oder Schadensersatz geltend machen.
VC Magazin: Welche Vor- und welche Nachteile entstehen durch die BaFin für deutsche Fintech-Unternehmen im internationalen Vergleich?
Henkel: Die regulatorischen Rahmenbedingungen für Fintechs sind international noch unterschiedlich. So präsentiert sich zum Beispiel die Aufsichtsbehörde im Vereinigten Königreich, die Financial Conduct Authority (FCA), sehr flexibel und hat damit ein in Fintech-Kreisen als vorteilhaft empfundenes Marktumfeld geschaffen. Die FCA unterstützt Unternehmen mit zahlreichen Initiativen bei der Einführung von neuen Produkten und innovativen Ideen am Markt. Ein Beispiel hierfür ist unter anderem eine Art regulatorische „Sandbox“: Hierfür können sich Fintechs bewerben und dann in einem „sicheren Umfeld“ ihre Produkte für einen gewissen Zeitraum am Markt testen, ohne dabei vom ersten Tag an umfassend sämtliche regulatorischen Vorschriften einhalten zu müssen. Außerhalb Europas wurden ähnliche Fördervorhaben für Fintechs etwa in der Schweiz und in Singapur eingeführt. In Deutschland wird der Handlungsbedarf zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit mit Blick auf Fintechs verstärkt wahrgenommen. Die Bundesregierung und die BaFin halten jedoch bewusst am Konzept des Level Playing Field fest. Das Sandbox-Modell kann für Verbraucher und Fintechs nämlich durchaus auch Nachteile mit sich bringen. Denn es steht grundsätzlich nur solchen Fintechs zur Verfügung, deren Anträge hierauf positiv beschieden wurden. Dies kann zu einer Markt- und Wettbewerbsverzerrung führen. Das Sandbox-Modell hat auch nicht zur Folge, dass bestimmte an sich erlaubnispflichtige Geschäftstätigkeiten langfristig ohne jegliche Kontrolle und/oder das Erfordernis einer Erlaubnis durch die Aufsichtsbehörden betrieben werden können. Nach Ablauf des „Welpenschutzes“ droht dem ein oder anderen Fintech ein böses Erwachen, sobald die regulatorischen Anforderungen dann in Gänze und mit voller Kostenlast zu erfüllen sind.
VC Magazin: Gilt die BaFin auch für ausländische Fintechs, die in Deutschland aktiv sind? Wie lassen sich die Anforderungen der BaFin regulatorisch mit internationalen Rahmenbedingungen vereinbaren?
Henkel: Grundsätzlich bedarf jedes Unternehmen, welches in Deutschland ein aufsichtsrechtlich erlaubnispflichtiges Geschäft ausüben möchte, der entsprechenden Erlaubnis der BaFin. Dies gilt mit Ausnahmen, wie etwa dem sogenannten Europäischen Pass, daher auch für ausländische Fintechs. Mit Blick auf das Vereinigte Königreich und den Fintech-Standort London bleibt abzuwarten, wie die Unternehmen auf den Brexit reagieren werden. Dabei besteht jedoch die realistische Möglichkeit, dass einzelne Fintechs ihren Firmensitz von London in andere europäische Städte verlegen werden, um weiterhin vom Europäischen Passporting profitieren zu können.
VC Magazin: Vielen Dank für das Interview, Herr Henkel.
Frank Henkel ist Partner im M&A/Corporate-Team von Norton Rose Fulbright in München. Er berät schwerpunktmäßig Finanzinvestoren und strategische Investoren bei nationalen und grenzüberschreitenden Unternehmenskäufen/-verkäufen sowie Reorganisationen im Banken- und Finanzdienstleistungssektor. Zuletzt beriet er die AnaCap Financial Partners beim Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung an der Heidelberger Payment GmbH, einem führenden deutschen Zahlungsinstitut für Online-Paymentverfahren.