Bildnachweis: Silicon Valley Bank.
Das Jahr 2019 war erfolgreich für deutsche Start-ups: Die Gesamtsumme an Private Equity und Venture Capital, die in den deutschen Technologie- und Innovationssektor investiert wurde, wird zum Ende des Jahres eine Rekordhöhe von über 4,5 Mrd. EUR erreichen. Darunter finden sich deutlich mehr Mega-Deals als im Jahr zuvor. Das Kapital ist also nach wie vor da, dennoch zeichnen sich einige Veränderungen beim Thema Finanzierung ab. Ein Blick auf einige wichtige Entwicklungen aus 2019 und Trends für 2020 aus Sicht der Silicon Valley Bank.
Die globalen Konjunkturaussichten haben sich nach Meinung vieler Experten in den letzten Monaten deutlich eingetrübt. Diese Auffassung teilen auch die Marktexperten der Silicon Valley Bank in ihrer aktuellen Ausgabe des regelmäßig erscheinenden „State of the Markets“-Dossiers. Gleichzeitig zeigen sich die privaten Märkte nach wie vor dynamisch, was sich beispielsweise in den Rekordsummen widerspiegelt, die in Start-ups investiert werden. Dabei steigt das Interesse ausländischer Investoren an Europa und vor allem Deutschland stetig weiter an. So erhielten Start-ups im ersten Halbjahr 2019 Finanzierungen im Gesamtwert von 16,9 Mrd. EUR (Start-up Barometer 2019 von Ernst & Young), satte 62% mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Der bevorstehende Brexit scheint dabei kein Problem zu sein: Fast 40% des Kapitals davon, nämlich 6,7 Mrd. EUR, flossen an britische Jungunternehmen. Knapp hinter Frankreich landet Deutschland hier auf dem dritten Platz. Das Investitionsvolumen in deutsche Start-ups stieg um 7% auf 2,7 Mrd. EUR.
Viel Geld für einzelne deutsche Start-ups
Besonders erfreulich sind einige Mega-Deals für deutsche Unternehmen. So konnte beispielsweise das Berliner Start-up GetYourGuide mit seiner Plattform für weltweite Reiseaktivitäten knapp 440 Mio. EUR einwerben. Unter der Führung des vom japanischen Technologiekonzern Softbank aufgelegten Softbank Vision Fund investierten mehrere neue und auch die bestehenden Geldgeber frisches Kapital, damit das Unternehmen Angebot und Präsenz ausweiten kann. Damit werden der Tourismus-Branche erneut Wachstumschancen bescheinigt, nachdem bereits im letzten Jahr die Reiseverbindungen-Suchmaschine Omio (gegründet als GoEuro und Anfang 2019 umbenannt) eine Finanzierungsrunde über mehr als 135 Mio. EUR abschloss. Über weitere großzügige Finanzspritzen können sich auch die beiden Mobilitäts-Dienstleister Tier Mobility und FlixMobility freuen. Erstere behaupten sich erfolgreich im hart umkämpften Elektroroller-Markt als Sharing-Dienstleister und neuerdings als Verkäufer der Scooter. Tier Mobility erhielt vor wenigen Wochen in einer Series B-Finanzierungsrunde etwa 55 Mio. EUR von Investoren, um die Expansion in Europa weiter voran zu treiben. Auch die amerikanischen Konkurrenten Bird und Lime schlossen kürzlich Investitionsverträge über mehrere 100 Mio. USD ab. Und das obwohl die Micro-Mobility-Branche auch zu kämpfen hat: So mehrte sich zuletzt die Kritik an der Sicherheit und Integrierbarkeit im Stadtverkehr. Erst im November verkündete die Bosch-Tochter Coup ihr Sharing-Geschäft mit E-Scootern einzustellen – aus wirtschaftlichen Gründen. Beim Rolleranbieter Circ soll es demnächst Entlassungen geben. FlixMobility aus München, bekannt vor allem wegen der auffälligen Flixbusse, ist hingegen weiterhin gut aufgestellt: Mit einem Mega-Investment von 500 Mio. EUR gelang dem 2011 gegründeten Unternehmen in diesem Sommer die bis dato größte Finanzierungsrunde für ein deutsches Start-up.
Herausforderungen für 2020
Die vom Bundesverband Deutsche Startups e.V. jährlich herausgegebene Studie „Deutscher Startup Monitor“ teilt die gute Stimmung am Finanzierungsmarkt zumindest teilweise. Trotz drohender Rezession bescheinigt der Report den Start-ups gute Laune. Die Befragungen von knapp 2.000 deutschen Start-up-Unternehmern ergaben ein grundsätzlich positives Bild: Die meisten verfolgen ambitionierte Wachstumspläne und wollen Arbeitsplätze schaffen. Aber: 38% der Befragten gaben an, dass die Kapitalbeschaffung eine große Hürde sei. Dabei ist interessant, dass über 80% der Unternehmer bei der Finanzierung auf eigene Ersparnisse setzen (müssen), nur 23% arbeiten mit Business Angels zusammen und nur 15% profitieren von Venture Capital.
Kapital finden
Auch wir von der Silicon Valley Bank sehen hier in Deutschland noch Nachholbedarf. Die derzeitigen Entwicklungen sind jedoch auf diesem Weg durchaus positiv zu bewerten. Die insgesamt wachsenden Investitionssummen und die steigende Anzahl an Mega-Deals bestätigen, dass nicht nur in- sondern auch ausländische Investoren Deutschland im Blick haben. Und das zu Recht, haben doch inzwischen mehrere deutsche Jungunternehmen bewiesen, dass sie international mithalten können. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass Investoren zunehmend hohe Unternehmensbewertungen hinterfragen. Aktuelle Beispiele, wie etwa das Hin und Her bei WeWork mit überraschenden Wechseln an der Spitze und abgesagtem Börsengang, mahnen zur Vorsicht. Auch wenn das Kapital und die Investitionsbereitschaft da sind, reichen mittelmäßige Businesspläne nicht. Denn gerade wenn es in Richtung Börsengang geht, rücken die Profitabilität und die Effizienz der Unternehmen stärker in den Vordergrund. Nachdem Spotify und Slack erfolgreich direkt und ohne Kapitalerhöhung im Rahmen eines klassischen Börsengangs an die Börse gingen, könnte sich dieser Trend des Direct Listings im nächsten Jahr festsetzen. Nichtsdestotrotz muss sich der IPO-Markt in Deutschland in den kommenden Monaten und Jahren für hiesige Start-ups erst einmal bewähren.
Talente überzeugen
Neben dem Geld sind es vor allem die qualifizierten Arbeitskräfte, die wie schon in den letzten Jahren, über den Erfolg vieler Start-ups bestimmen werden – und zwar vom fehlenden Entwickler bis hin zur offenen CFO-Position. Die Konkurrenz ist groß, denn auch traditionelle Unternehmen suchen händeringend digital-affine Denker und können oft mit besserer Work-Life-Balance und mehr Sicherheit punkten. Hier zahlen sich vor allem Berlins Image, günstige Lebenshaltungskosten und die geografische Lage aus: Viele Ingenieure und Software Developer aus Osteuropa ziehen nicht mehr nach London, sondern nach Berlin. Dem deutschen Technologie-Ökosystem hilft das enorm, und zwar langfristig.
Oscar Jazdowski ist Co-Head der deutschen Niederlassung der Silicon Valley Bank. Die Bank hat im vergangenen Jahr ein Büro in Frankfurt eröffnet und unterstützt seitdem auch hierzulande etablierte Technologieunternehmen und deren Investoren mit dem Ziel, Innovationen zu fördern. Jazdowski verfügt über mehr als 30 Jahre Erfahrung in der Finanzierung von Tech-Unternehmen iSilicon den verschiedensten Wachstumsphasen – angefangen bei jungen, Venture Capital-gestützten Start-ups bis hin zu großen multinationalen Unternehmen.