Traditionelle Management-Tools bringen ihre Anwender oft in eine reaktive Position, in dem sie die Welt zu vereinfacht darstellen. Die Spieltheorie zeigt komplexe Interaktionen auf und macht Entscheider zu aktiven Gestaltern von Unternehmensprozessen.
Spieltheorie ist einer der großen Trends der vergangenen Jahre. Kaum ein Tag vergeht in Zeiten des Handelskonflikts China – USA und der Brexit-Verhandlungen, an dem nicht eine der großen Tages- oder Wochenzeitungen die Strategien und Erfolgsaussichten der jeweiligen Akteure spieltheoretisch beleuchtet. Aber auch in vielen Großunternehmen haben die Strategiestäbe und Fachabteilungen Spieltheorie als Managementtool für sich entdeckt. Danach setzen rund ein Drittel der großen Unternehmen und Konzerne spieltheoretische Konzepte im Arbeitsalltag ein. Allerdings begegnet auch kleinen und mittelgroßen Unternehmen die Methodik immer häufiger. Denn im B2B-Bereich sind ihre eigenen Kunden ja oftmals genau jene Großkonzerne, welche mehr und mehr auf spieltheoretische Verhandlungskonzepte setzen.
Interaktionen in Theorie und Praxis
Vorweg: „Spieltheorie“ ist ein denkbar undankbarer Name – gerade für den Mittelstand. Ein Name, der Assoziationen mit dem Begriff „spielen“ hervorruft, führt oftmals zu Abwehrreflexen bei Unternehmenslenkern, geht es doch im Geschäftsalltag um hochstrategische Entscheidungen und echtes Geld, und nicht etwa Spielgeld. Zudem klingt „Theorie“ nicht besonders anwendungsorientiert und direkt nutzbar für Unternehmen, die im Gegensatz zu Großkonzernen keine riesigen Strategie- oder Methodenabteilungen haben. Ein passenderer Name wäre die „Wissenschaft der strategischen Interaktion“. Das heißt, die Spieltheorie setzt überall dort an, wo unterschiedliche Personen oder Organisationen miteinander agieren. Sie ist die Modellierung und Analyse von Interaktionen (Spielen) zwischen verschiedenen Parteien (Spielern), die jeweils ihre ganz eigenen Interessen verfolgen. Wie kann nun Spieltheorie helfen, wenn es um konkrete und so oft dringend benötigte Handlungsempfehlungen geht?
Das Spiel aktiv gestalten und für sich entscheiden
Zum einen hilft die Spieltheorie dabei, die Regeln einer Interaktion, zum Beispiel Ausschreibungsregeln oder Verhandlungsprozesse der Gegenseite besser, zu verstehen und sich innerhalb dieses gesetzten Rahmens bestmöglich zu verhalten. So kann man individuelle Strategien entwickeln, um das „Spiel“ zum eigenen Vorteil für sich zu entscheiden. Dazu gehören ganz einfache Fragen, wie „wann mache ich welches Angebot und welche Konzessionen?“, aber auch Fragen, ob und in welchen Märkten ein Unternehmen überhaupt anbieten soll. Ein zweiter Teilbereich der Spieltheorie ist noch mächtiger: Er kommt dann zum Tragen, wenn Parteien die Möglichkeit haben, Interaktionen mit anderen Partien aktiv zu gestalten und so zu strukturieren, dass das Verhalten und die Aktionen der Gegenspieler zum eigenen Vorteil beeinflusst werden. So liegt es in aller Regel völlig im Ermessen eines Unternehmens, wie Verhandlungsprozesse zum Beispiel mit Zulieferern strukturiert werden, oder mit wem ein Unternehmen wann, in welcher Reihenfolge und nach welchem Prozess über den Verkauf von Unternehmensanteilen oder die Nutzung von Patenten verhandelt. Und hier liegt der große Hebel der Spieltheorie: Er heißt „Mechanismusdesign“ – also die Gestaltung der Regeln der Interaktion beziehungsweise des „Spiels“.
Kleine Stellschrauben, große Wirkung
Dass schon kleine Stellschrauben großen Einfluss auf den Ausgang einer Interaktion haben können, zeigt zum Beispiel die Analyse der Brexit-Verhandlung, in der die EU aus spiel- und verhandlungstheoretischer Sicht fast alles richtig gemacht hat. Es war ein brillanter Schachzug der EU, die Scheidungsvereinbarung nicht auf Ebene von Angela Merkel und Emmanuel Macron zu verhandeln, sondern ein „Delegationsspiel“ mit Michel Barnier aufzusetzen. Dieser hatte von Anfang an ein ganz eng definiertes Mandat, an dem sich die Briten bis heute die Zähne ausbeißen. Der Zwischenstand ist allgemein bekannt. Dieses Beispiel zeigt aber auch, dass die Spieltheorie genau dort ansetzen muss, wo das Management noch Alternativen und Optionen hat, das Spiel zu beeinflussen. Wenn Standort- oder Technologieentscheidungen bereits getroffen sind oder der Name des zu wählenden Joint Venture Partners oder Lieferanten bereits vom Vorstand festgelegt ist, dann sind die strategischen Optionen und das Ergebnis einer Verhandlung ganz automatisch limitiert. Unternehmen spielen dann selbstverschuldet ein Spiel, in dem sie gar nicht gut sein können.
Die Komplexität der Welt begreifen
Wenn die Stellschrauben erst einmal identifiziert wurden, dann ist die Umsetzung im Mittelstand oft sogar einfacher als in Großunternehmen. Das Management in mittelständischen Unternehmen ist näher am Tagesgeschäft und ohne langwierige Prozesse in der Lage, unternehmerische Entscheidungen in der Implementierung zu treffen. Auch deswegen ist es in Konstellationen, die nach David gegen Goliath aussehen, oftmals nicht eine Frage der Größe, sondern eine Frage danach, wer strategisch klüger und vorausschauender agiert.
Dr. Sebastian Moritz ist Vorstandsmitglied bei TWS Partners. Er promovierte nach seinem Studium der angewandten Spieltheorie in Deutschland und Kanada im Bereich Supply Chain Management zum Thema Lieferantenwahl unter Risiko. Als Experte für strategischen Einkauf, angewandte Industrieökonomik sowie Market Design begleitet Moritz strategische Verhandlungen und leitet Großprojekte bei europäischen Unternehmen zur Transformation von Einkaufsorganisationen und deren Prozessen.