Das Gros der Gesellschaft verbindet Gründer mit einer Myriade von Klischees: junge Menschen, in der Regel gerade mit der Uni fertig, die Kapuzenpullis tragen und von einem schicken Café aus arbeiten. Doch nicht selten entstehen Ideen für neue Geschäftsmodelle auch in Konzernen – bei Mitarbeitern, die sich seit Jahren intensiv mit einer bestimmten Materie befassen.
VC Magazin: Wieso sollten Konzerne ein Interesse daran haben, Innovationen auszugründen?
Schneider: Die Gründe dafür, dass Konzerne Accelerator- oder Inkubator-Programme aufsetzen, sind vielschichtig und können von Employer Branding bis hin zu aktiver Mitarbeiterentwicklung reichen. In einer großen Organisation sammeln sich so viel Know-how, Kompetenzen, Ideen und IP an, dass sie gar nicht alle in der R&D-Abteilung verwertet werden können und eventuell auch gar nicht zur Konzernstrategie passen. Gerade die Ideen, die aus dem typischen Muster der Organisation herausfallen, können oft intern nicht weiterentwickelt werden. In solchen Fällen ist ein hauseigener Inkubator eine tolle Möglichkeit, um zu prüfen, ob sich nicht trotzdem ein tragfähiges Geschäft daraus aufbauen lässt. Daraus ergibt sich auch die Chance, aus einer Idee, die konzernintern unter Umständen eine Insellösung wäre, eine Lösung zu bauen, die über Unternehmensgrenzen hinweg eingesetzt wird. Auch können Spin-offs oder Tochterunternehmen in Bereichen, die aktuell nicht zum Kerngeschäft gehören, in Zukunft möglicherweise aber einmal interessant werden, eine Art Türöffner für den Konzern sein.
Siebert: Indem man Innovationen ausgründet, gibt man diesen neuen Einheiten auch die Möglichkeit, deutlich schneller zu agieren, als es im Korsett eines großen Unternehmens möglich ist. Aus der Perspektive der Mitarbeiter ist es unglaublich motivierend, die Chance zu haben, an einer Idee zu arbeiten, von der man überzeugt ist. Wenn die Geschäftsidee nicht fliegen sollte, kommt man mit einem großen Erfahrungsschatz zurück, den man innerhalb des Konzerns wieder einbringen kann.
VC Magazin: Herr Dr. Siebert, wie leicht oder schwer fällt der Sprung aus dem sicheren Umfeld eines Konzerns in die Unwägbarkeiten der Start-up-Welt?
Siebert: Ich denke, der Vorteil eines Inkubators ist die Tatsache, dass er der Transformation vom Mitarbeiter hin zum Unternehmer eine gewisse Zeit einräumt. Dieser Übergang wird außerdem dadurch erleichtert, dass man auf der einen Seite zwar noch von den Vorteilen des Konzerns profitieren, das Projekt aber eigenverantwortlich umsetzen kann. Gerade die Möglichkeit zu haben, am Anfang auf die Infrastruktur, Netzwerke und Expertise eines Konzerns zurückzugreifen, ist meines Erachtens ein unglaublicher Vorteil. Am Ende des zweijährigen Inkubator-Programms hat man dann eine Geschäftsopportunität, die bereits über mehrere Monate am Markt validiert wurde, und in den meisten Fällen schon erste Kunden und Umsätze. Man springt also nicht wie die meisten anderen Gründer ins kalte Wasser und überprüft erst dann, wie tragfähig das Vorhaben ist.
VC Magazin: Frau Schneider – wie identifizieren Sie bei weltweit mehr als 117.000 BASF-Mitarbeitern diejenigen, die eine Idee weiter umsetzen wollen?
Schneider: Das ist eine spannende Frage. In der Regel sind diejenigen, die bei unserem Programm teilnehmen, nicht die jungen „Techies“, wie man sie vielleicht aus der Start-up-Szene in München oder Berlin kennt. Wir arbeiten eher mit erfahrenen B2B-Spezialisten, die überall in der Organisation verteilt sind. Sehr interessant an der Arbeit mit den Intrapreneuren finde ich das Spannungsfeld zwischen Risikoaffinität, die es für eine Gründung braucht, auf der einen Seite und dem Sicherheitsbedürfnis, das zum Beispiel daraus resultiert, dass viele bereits kleine Kinder haben, auf der anderen Seite. Es ist sicher nicht einfach, in unserer großen Organisation über Veranstaltungen und Ähnliches unsere Message zu streuen, aber da die von uns adressierten Mitarbeiter Lust darauf haben, eigene Projekte umzusetzen, erleben wir viel Proaktivität.
VC Magazin: Wo kann ein Inkubator helfen, das richtige Team zusammenzubringen und gegebenenfalls auch fehlende Fähigkeiten zu ergänzen?
Schneider: Ich denke, das ist einer der Punkte, bei dem ein solches Programm seine Stärken ausspielen kann, weil es externe und interne Kompetenzen zusammenbringt. Wenn wir beispielsweise ein Deeptech-Start-up aufbauen und feststellen, dass wir in einem bestimmten Bereich an unsere digitalen Kompetenzgrenzen kommen, können wir von außen Teammitglieder anwerben – und sind dabei nicht an die Geschwindigkeit des Konzerns gebunden, sondern können unsere eigenen Prozesse so gestalten, wie es unseren Ventures am meisten hilft.
VC Magazin: Welche Herausforderungen sind zu meistern, wenn Mitarbeiter zu Unternehmern werden?
Schneider: Eine wiederkehrende Erscheinung sehen wir beim Thema Mindset. Die Umstellung vom sicheren Konzernumfeld mit geregelten Arbeitszeiten, geringem Risiko und – abhängig von der Position – relativ geringer Eigenverantwortung hin zu eigenständiger Verantwortlichkeit für sein Thema ist ein Bereich, bei dem wir häufig Schwierigkeiten sehen und dementsprechend auch viel Unterstützung geben. Hier hilft es, wenn man auch den Austausch mit erfahrenen Gründern befördert, da diese viele Probleme bereits erlebt haben.
Siebert: Der Austausch ist auch meines Erachtens ein sehr wichtiger Aspekt: Obwohl wir alle unterschiedliche Bereiche adressieren, wiederholen sich die Themen. So wollen wir beispielsweise alle Kunden akquirieren, müssen vor Investoren pitchen oder vor unseren Boards Rechenschaft ablegen. Durch den engen Austausch mit anderen Teams im Inkubator können alle aus den Erfahrungen der anderen lernen. Gleichzeitig kann man an den Entwicklungen der anderen Ventures erahnen, wann man an welche Punkte der Unternehmensentwicklung kommt.
VC Magazin: Hatten Sie Vorbehalte, mit Unterstützung Ihres Arbeitgebers zu gründen, Herr Dr. Siebert?
Siebert: Nicht in der Hinsicht, dass wir Sorge gehabt hätten, dass die BASF uns in irgendeiner Form in die Umsetzung des Start-ups hineinredet – auch weil wir ein Thema adressieren, das innerhalb des Konzerns kaum bekannt ist. Auch der Umstand, dass wir mit Wettbewerbern der BASF sprechen, ist nichts, was zu Sorgen geführt hätte, weil das etwas ist, das der Chemieindustrie gar nicht fremd ist, da häufig Lieferanten- und Kundenbeziehungen gleichzeitig bestehen. Natürlich kam am Anfang die Frage seitens des Konzerns auf, ob die Idee wirklich als eigenständiges Unternehmen aufgebaut werden soll und welchen Wert das am Ende für die Firma noch hat – Stichwort: Netzwerkeffekt –, aber ich glaube, das ist auch das Recht eines jeden Investors. Kurzum: Operativ redet uns niemand rein, strategisch müssen wir Rechenschaft ablegen.
Schneider: Wie viel Einfluss der Konzern nimmt, kommt auch immer auf das Set-up des Inkubator-Programms an. Wir haben als eigenständige Tochtergesellschaft die Freiheit, unsere Prozesse so aufzusetzen, wie es für uns und unsere Ventures am meisten Sinn stiftet.
VC Magazin: Werden beim Austausch mit potenziellen Intrapreneuren gewisse Bedenken besonders häufig vorgetragen, Frau Schneider?
Schneider: Ich würde nicht von Bedenken sprechen – vielmehr sind es Fragen dazu, wie ein Inkubationsprozess abläuft, welche Folgen die Teilnahme daran für die aktuelle Stelle hat, ob man die Möglichkeit hat, in die alte Position zurückzukehren, et cetera. Dass diese Punkte aufkommen, ist ganz natürlich, weil das persönliche und finanzielle Risiko, das man eingeht, ein ganz anderes ist als im Angestelltenverhältnis. Viele finden erst im Lauf der zweijährigen Reise heraus, ob sie wirklich gründen möchten. Auch werden wir damit konfrontiert, ob denn aus Konzernmitarbeitern überhaupt Gründer werden können. Dabei übersehen viele die Vorteile, die Intrapreneure mitbringen: Stamina bei interner Politik, Netzwerke und Kontakte entlang der gesamten Supply Chain, tiefes Prozesswissen und die jahrelange Industrieexpertise. Dieses Wissen führt dazu, tief liegende Problemstellungen in der Industrie überhaupt erst entdecken zu können. Lösungen für diese Probleme haben ein viel höheres finanzielles Hebel- und Skalierungspotenzial.
Siebert: Ein weiterer wichtiger Punkt ist die interne Fehlerkultur. Wenn ein Projekt fliegt, ist natürlich alles gut – aber was passiert, wenn eine Idee nicht funktioniert? Bedeutet dies das Karriereende oder wird es positiv aufgenommen, weil man es versucht hat, eigenständig Dinge umgesetzt hat, und Scheitern bei Start-ups schlicht und ergreifend nichts Ungewöhnliches ist? Letzteres passiert übrigens bei Projekten, die innerhalb eines Konzerns umgesetzt werden, noch häufiger als bei Start-ups.
VC Magazin: Frau Schneider, Herr Dr. Siebert, vielen Dank für das Gespräch.
Lisa Schneider ist Portfoliomanagerin der Chemovator GmbH, des Geschäftsinkubators der BASF. Hierzu zählen die Entwicklung des Dealflows, die Betreuung der Portfoliounternehmen und das Management diverser Stakeholder-Gruppen, von potenziellen Venture Teams bis hin zu Investoren. Sie war Mitgründerin eines Start-ups im Bereich Social Welfare Technology, das in dem Universitätsinkubator entwickelt wurde. Dr. Max Siebert ist Co-Founder von Replique.IO, einem Spin-off von BASF SE, das es Herstellern ermöglicht, ihre Kunden ohne Produktions- und Lagerkosten mit Ersatzteilen zu beliefern. Zuvor war er in unterschiedlichen Positionen bei BASF tätig.