Gründer und Investoren aus der ganzen Welt zieht es allesamt an denselben Ort: Berlin. Die deutsche Hauptstadt ist zum Start-up-Hotspot avanciert und zählt europaweit mit London und Paris zu den Top Three der Places to be für Gründer. Das Ökosystem hat sich in den letzten zehn Jahren stark verändert. Das ermöglicht den Jungunternehmen viel Gutes, führt aber auch zu steigenden Mietpreisen für Büroflächen – und inmitten des Wandels bringt die Corona-Pandemie noch ganz andere Herausforderungen für die Szene mit sich.
Was die Spree-Metropole in der Corona-Krise deutlich trifft, ist die Vorsicht der Investoren, wie das „Startup Barometer“ der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY zeigt. Denn: Wenngleich Berlin weiter die Liste anführt, haben die dortigen Start-ups im ersten Halbjahr 2020 mit 1,1 Mio. EUR deutlich weniger Kapital eingesammelt als im Vorjahreszeitraum mit noch 2,1 Mio. EUR. Trotz allem ging damit mehr als jeder zweite hierzulande investierte Euro in die Hauptstadt. Mit 149 Deals bis Juni 2020 belegte Berlin laut Barometer auch in der Zahl der Finanzierungsrunden den ersten Platz in Deutschland – und erreichte damit so viele wie Bayern, NRW, Hamburg und Baden-Württemberg zusammen. „Die Venture Capital-Geber waren primär damit beschäftigt, ihr Portfolio zu stabilisieren. Das Volumen ging zwar zurück, weil die ganz großen Transaktionen fehlen, aber die Zahl der finanzierten Start-ups ist nicht zurückgegangen, sondern eher gestiegen“, bewertet Marco Zeller, Geschäftsführer der IBB Ventures, die Auswirkungen der Pandemie. Der Venture Capital-Arm des Landesförderinstituts Investitionsbank Berlin (IBB) unterstützt zahlreiche Gründerinnen und Gründer in der Corona-Krise.
Staatliche Unterstützung in der Krise
Um die wirtschaftlichen Folgen abzufedern, bietet der Stadtstaat ein eigenes Modell mit drei Finanzierungswegen. 140 Mio. EUR stehen dafür bereit; das Risiko übernehmen das Land Berlin und der Bund. Pro Start-up werden mit der sogenannten Säule II der Corona-Hilfen maximal 800.000 EUR vergeben. Wer reif für Venture Capital, aber durch die Krise an einer Finanzierung gescheitert ist, kann über die IBB Ventures eine stille Beteiligung mit Wandlungsmöglichkeit einholen. Start-ups, bei denen private Investoren mindestens 30% einer Finanzierungsrunde übernehmen, können hingegen bis zu 70% von IBB Ventures als offene Beteiligung erhalten. Bis Jahresende wird der Venture Capital-Geber so 30 zusätzliche Investments eingehen können. „Das ist für uns richtig viel, in Anbetracht der Auswirkungen der Krise jedoch nicht ausreichend. Daher können sich in Berlin weitere seriöse Finanzpartner, sogenannte Intermediäre, akkreditieren lassen, um ebenfalls Mittel von der IBB zur Finanzierung von Start-ups zu bekommen“, sagt Zeller. Die dafür eigens gegründete IBB Capital hat bereits 20 Partner gefunden; bis Jahresende soll sich die Zahl verdoppeln. Und in einer dritten Fördervariante können sich Start-ups zudem direkt über die IBB mit einem Mezzanine-Produkt helfen lassen. So soll insgesamt eine breite Unterstützung der Berliner Start-ups ermöglicht werden.
Entwicklungen mit Licht und Schatten
Für Zeller ist Berlin einer der spannendsten Standorte in Europa – daran ändert auch Corona nichts. „Hier treffen eine große Kulturszene, ein einzigartiges Gründernetzwerk und internationale Fachkräfte aufeinander.“ Mit ihrem neuen Namen IBB Ventures hat die einstige IBB Bet deshalb eine Dachmarke für Wagniskapital mit internationaler Strahlkraft geschaffen. „Das passt auch besser zur Hauptstadt und ihren Start-ups, die sehr global ausgerichtet sind und in denen großteils die Arbeitssprache Englisch ist“, so Zeller weiter. Aus Sicht des Wagniskapitalinvestors hat sich Berlin mittlerweile etabliert: „Mehr Existenzgründungen in der Stadt haben zu mehr Nachfrage nach Büroflächen und entsprechend steigenden Preisen geführt. Auch die Absolventen der Universitäten, die bei den Start-ups anfangen, sind nicht mehr so günstig zu haben wie früher. Das Gute daran ist, dass die Leute sich hier dauerhaft niederlassen – das ist eine positive Entwicklung hin zu mehr Wohlstand“, sieht Zeller die Mietpreisdiskussion gelassen. Die Pandemie hat zudem der Digitalisierung einen starken Schub verschafft: Es herrscht eine deutlich größere Bereitschaft für Homeoffice seitens der Arbeitgeber. „Das wird den Druck auf die Büroflächen mindern, wenn auch nicht komplett entspannen“, vermutet Zeller. Er erkennt bei den aktuell rund 80 Start-ups, die IBB Ventures im Portfolio hat, auch einen neuen Trend: weg von starren Arbeitsplätzen, hin zu Begegnungsstätten in den Büros. Hier habe vor allem die in Berlin stark vertretene Techbranche einen Vorteil, weil sie von jedem Ort aus realisierbar sei.
New Normal: Remote und Face to Face
Diese Einschätzung teilt auch das Berliner Brillen-Start-up Mister Spex. Deren Mitarbeiter sind seit März im Remote-Modus und möchten diesen auch künftig beibehalten. „Durch Corona haben wir alle gemerkt, dass es Themen und Projekte gibt, die sich sehr gut von zu Hause steuern lassen – und dass es an anderer Stelle weiterhin wichtig ist, sich persönlich Face to Face auszutauschen. Langfristig glauben wir daher, dass ein attraktiver Büroarbeitsplatz weiterhin von Bedeutung sein wird, nicht nur, um soziale Beziehungen aufrechtzuerhalten und die Unternehmenskultur zu pflegen, sondern beispielsweise auch für die Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern. Allerdings verändern sich die Ansprüche. Büros der Zukunft werden wahrscheinlich anders gestaltet sein“, sagt Geschäftsführer Dirk Graber.
Fazit
Inwieweit Corona die Entwicklungen in Berlin weiter beeinflusst, wird sich zeigen. Aber in einem Punkt sind sich alle sicher: Das internationale Flair, der attraktive Lebensraum der Großstadt und die noch immer günstigen Lebenshaltungskosten werden Berlins Position als großen Player auf dem Start-up-Spielfeld auch weiterhin festigen.