Der Mangel an Frühphasenfinanzierungen lässt viele Start-ups nach neuen Finanzierungsformen suchen. Da es abzuwarten bleibt, ob die von der Bundesregierung und den Ländern eigentlich beabsichtigten Eigenkapital- oder eigenkapitalähnlichen Finanzierungen aus den Hilfsfonds tatsächlich langfristig als direkte Beteiligungen geführt werden sollen, hat die Corona-Krise – die gerade auch für Start-ups existenzgefährdend ist – nun unverhofft die Finanzierung von Start-ups über Instrumente gestärkt, die eher rückzahlbaren Darlehen entsprechen als klassischem Eigenkapital. Zu dieser Kategorie zählen auch Venture Debt-Finanzierungen, bei denen es sich um Kredite handelt, die zumeist von speziellen Venture Debt-Fonds ausgereicht werden, die Anteilsverhältnisse nicht verwässern, dafür aber erhöhte Anforderungen an das Start-up selbst und dessen wirtschaftliche Situation stellen.
Soweit ersichtlich, bietet derzeit Davidson Capital als einziger in Deutschland ansässiger Investor Venture Debt an. Im Übrigen werden die wenigen Venture Debt-Investments in Deutschland von amerikanischen und britischen Banken/Investoren gesteuert (zum Beispiel Silicon Valley Bank und Kreos), und zwar direkt von deren Sitz aus.
Begriffserklärung
Darlehen in Form von Venture Debt werden typischerweise an Later Stage-Start-ups ausgereicht, haben eine Laufzeit von bis zu drei Jahren und sind mit einem Zinssatz von bis zu 15% versehen. Die Auszahlung der Darlehen wird häufig an das Erreichen bestimmter Meilensteine geknüpft. Die Rückzahlung erfolgt entweder ratierlich (gegebenenfalls mit einer kurzen tilgungsfreien Zeit) oder endfällig. Eine vorzeitige Rückzahlung wird teilweise ermöglicht, wobei diese regelmäßig erst nach Ablauf einer bestimmten Frist und gegen Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung erlaubt wird. Venture Debt weist damit strukturelle Ähnlichkeiten sowohl zu üblichen Bankkrediten als auch zu Wandeldarlehen auf. Bankkredite kommen für Start-ups in der Regel schon wegen des mangelnden Kreditratings nicht infrage. Wirtschaftlich muss das Start-up aber dennoch in der Lage sein, den Kapitaldienst leisten zu können. Das Ausfallrisiko lassen sich die Investoren bei Venture Debt mit einem angemessenen Zins vergüten.
Abgrenzung zum Wandeldarlehen
Je nach Ausgestaltung der Venture Debts werden wie bei den gängigen Wandeldarlehen ebenfalls in begrenztem Umfang Bezugsrechte auf zukünftige Unternehmensanteile gewährt. In der Zielsetzung unterscheiden sich beide Finanzierungen jedoch erheblich. Wandeldarlehen werden noch vor der Seed-Runde genutzt oder zur Überbrückung des Kapitalbedarfs durch Bestandsinvestoren bis zu einer weiteren Frühphasenrunde. Ziel ist primär, keine Bewertung festzulegen, die nicht durch externe Investoren validiert wurde. Die Rückzahlung eines Wandeldarlehens stellt daher (konzeptionell) die Ausnahme dar. Anders Venture Debt: Der Equity Kicker in Form von Bezugsrechten (sogenannte Warrants) oder virtuellen Beteiligungen steht nicht im Mittelpunkt. Venture Debts sind darauf ausgelegt, vollständig und verzinst zurückgewährt zu werden. Equity Kicker tragen lediglich zur Erhöhung der Rendite des Venture Debt-Investors bei. Aus dieser unterschiedlichen Perspektive – Wandeldarlehen als Vorbereitung einer weiteren Eigenkapitalbeteiligung, Venture Debt als Ersatz eines Bankdarlehens – resultiert, dass die Zinssätze für Venture Debt mit 8% bis 15% per annum deutlich höher sind als für Wandeldarlehen: Denn im Falle eines erfolgreichen Exits profitiert der Venture Debt-Investor deutlich weniger als der Venture Capital-Geber. Da aus der Perspektive eines erfolgreichen Exits die den Gründern entstehenden Kosten für Eigenkapital deutlich höher sind als diese Fremdkapitalkosten, können sich Venture Debt-Finanzierungen durchaus wirtschaftlich lohnen.
Anwendungsbereich
Schon um die (laufende) Rückzahlung des Venture Debt zu sichern, kommt es nur für solche Start-ups in Betracht, die ein tragfähiges Geschäftsmodell haben und zusätzliches Kapital nicht aufgrund struktureller Probleme des Start-ups benötigen. Andererseits kann gerade diese (laufende) Rückzahlung den Cashflow des Unternehmens belasten und so die Entwicklung des Start-ups behindern. Hinzukommt, dass Fremdkapital in der Frühphase prinzipiell das Insolvenzrisiko erhöht. Venture Debt eignet sich damit insbesondere, um den Zeitraum zwischen zwei Finanzierungsrunden zu verlängern und dadurch entweder die Rückzahlung aus dem Cashflow leisten zu können oder aber die Bewertung des Start-ups durch das Erreichen von Meilensteinen deutlich anzuheben, sodass das Venture Debt im Rahmen einer Folgerunde abgelöst werden kann. Um Venture Debt möglichst schnell gewähren zu können, führen entsprechende Investoren in der Regel keine eigene eingehende Due Diligence durch, sondern verlassen sich darauf, dass die bereits investierten (in der Regel namhaften) Venture Capital-Investoren eine solche durchgeführt und sichergestellt haben, dass das Geschäftsmodell des betreffenden Start-ups tragfähig und skalierbar ist, und weiterhin einen positiven Einfluss auf die Gründer nehmen. Auch dies unterscheidet Venture Debt von Wandeldarlehen.
Ausgestaltung
Die Dokumentation von Venture Debt ist komplexer als bei bekannten Wandeldarlehen – nicht zuletzt, weil die Verträge dem angloamerikanischen Recht entspringen und damit vielen nicht so leicht eingängig sind. Im Kern handelt es sich zunächst um einen Darlehensvertrag mit entsprechenden Laufzeiten, Zinsen und Rückzahlungsverpflichtungen. Als Gegengewicht für die eher oberflächliche Due Diligence enthalten Venture Debt-Verträge weitreichende Zusicherungen (Representations and Warranties) und Covenants, die den Gründern bestimmte Verhaltenspflichten auferlegen. Covenants umfassen in der Regel neben umfangreichen Reporting-Pflichten auch Kataloge von Handlungen, die der Zustimmung des Investors bedürfen oder bei Nichteinhaltung ein Kündigungsrecht des Investors begründen. Inhaltlich sollten Gründer darauf achten, dass diese Pflichten nicht weiter gehen als die mit Bestandsinvestoren vereinbarten Informationspflichten und Zustimmungsvorbehalte. Zumindest ist dies regelmäßig ein tragbares Argument gegenüber den Venture Debt-Investoren, um eine einheitliche Corporate Governance zu ermöglichen. Auch Venture Kicker, also Bonuszahlungen für den Fall des Erreichens bestimmter Zielgrößen, können Teil des Finanzierungsvertrags sein. Hier besteht ebenfalls Raum für Verhandlungen. Um in Vorbereitung auf künftige Finanzierungsrunden die Verschuldungsrate regulieren zu können, sollten dringend flexible Kündigungsmöglichkeiten in den Vertrag aufgenommen werden.
Sicherheitenverträge und Warrants
Neben den eigentlichen Finanzierungsvertrag gehören zu dem Venture Debt-Vertragswerk umfangreiche Sicherheitenverträge, durch die sämtliche Assets des Start-ups – darunter insbesondere IP und Forderungen – (in der Regel erstrangig) besichert werden. Diese Sicherheitenverträge können je nach Aufstellung des Start-ups verschiedenen Rechtsordnungen unterfallen, was eine kundige Rechtsberatung nahezu unumgänglich macht. Schließlich gehört zum Vertragswerk regelmäßig auch ein Equity Kicker in Form von Bezugsrechten (Warrants) oder virtueller Geschäftsanteile. Als Bewertungsgrundlage dient hier regelmäßig die letzte Finanzierungsrunde.
Fazit
Nicht als Alternative, aber als Ergänzung zu Venture Capital-Finanzierungen können Venture Debt-Finanzierungen in bestimmten Situationen sinnvoll sein. Gerade weil es sich dabei um eine sehr flexible Finanzierungsform mit zahlreichen Stellschrauben handelt, die auf das jeweilige Start-up abgestimmt werden müssen, sollte das Vertragswerk intensiv geprüft und nachverhandelt werden.
Dr. Steffen Fritzsche ist Rechtsanwalt und Partner bei Gruendelpartner und berät seit über zehn Jahren Start-ups, institutionelle Investoren und Corporate Ventures umfassend zu Venture Capital und Unternehmensverkäufen. Dr. Franziska Ockert ist Rechtsanwältin im Leipziger Büro von Gruendelpartner. Sie ist auf Venture Capital spezialisiert und berät Mandanten zudem in Fragen des Handels- und Gesellschaftsrechts.