Adventsgespräche – 16. Dezember

Mit Christoph Stresing, Bundesverband Deutsche Startups

Der Advent ist eine willkommene Gelegenheit, inne zu halten, das vergangene Jahr Revue passieren zu lassen und neue Energie für die bevorstehenden Aufgaben zu sammeln. In der Reihe „Adventsgespräche“ kommen Köpfe der deutschen Venture Capital- und Private Equity-Szene zu Wort, ziehen ein Fazit zu 2020 und werfen einen Blick nach vorne auf die kommenden zwölf Monate.

VC Magazin: Zu Beginn der Corona-Pandemie ging bei vielen Start-ups die Sorge um, Venture Capital-Gesellschaften könnten sich mit Investments zurückhalten. Eine Befürchtung, die sich Ihrer Einschätzung nach bestätigt hat?
Stresing: Im Vergleich 2020 zu 2019 stellen wir einen Rückgang von Venture Capital-Investitionen fest: Waren es 2019 noch 6,9 Mrd. USD, werden es 2020 Berechnungen zufolge knapp 5,5 Mrd. USD sein. Insofern ist eine gewisse Zurückhaltung festzustellen. Angesichts des Ausmaßes der Pandemie und ihrer Auswirkungen fällt die Zurückhaltung allerdings geringer aus als etwa im März noch befürchtet. Die erste Jahreshälfte war von Verunsicherung und Fokussierung auf das bestehende Portfolio geprägt, aber erfreulicherweise gab es in der zweiten Jahreshälfte dann einige große Finanzierungsrunden und damit wieder etwas „Normalisierung“.

VC Magazin: Die Politik versprach schnelle und unbürokratische Unterstützung für deutsche Start-ups. Hat sie geliefert?
Stresing: Das Anfang April von Bundesfinanzminister Olaf Scholz und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier angekündigte 2 Mrd. EUR-Hilfspaket für Start-ups unterstreicht die große Bedeutung von Start-ups für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Hunderte von Star-tups haben damit dringend benötigte Finanzspritzen erhalten, die ohne die Hilfen der Bundesregierung nicht möglich gewesen wären. Das ist anzuerkennen. Hier wurde in einer Extremsituation Großes geleistet. Zutreffend ist aber auch, dass insbesondere in der sogenannte Säule zwei die Umsetzung der Hilfsmaßnahmen sehr viel Zeit in Anspruch genommen hat – teilweise hat die Umsetzung bis weit in den Herbst hinein gedauert. Insofern hätten wir uns eine schnellere Umsetzung der Maßnahmen gewünscht. Zu beobachten ist hier eine große Diskrepanz zwischen einzelnen Bundesländern, die über die Landesförderbanken und Intermediäre mit der Abwicklung der Säule zwei betraut sind. Geholfen haben sicher auch die Corona-Soforthilfen, die von 37% der Start-ups, gerade in einer frühen Entwicklungsphase, in Anspruch genommen wurden sowie das Kurzarbeitergeld, von dem rund 20% der Start-ups Gebrauch gemacht haben.

VC Magazin: Wie nehmen Sie die Stimmung innerhalb der hiesigen Start-up-Szene aktuell wahr?
Stresing: Sicher unterscheidet sich die Stimmung sehr stark nach der jeweiligen Branchenzugehörigkeit. Ein einheitliches Bild für alle Start-ups ist daher schwer zu zeichnen. Einige Branchen, wie etwa der Reisebereich, sind im Mark getroffen, andere können mit ihren Geschäftsmodellen von der Situation eher profitieren. Einerseits sind Start-ups sicher flexibler, anpassungsfähiger und dynamischer als die etablierte Wirtschaft und können daher generell schneller reagieren. Andererseits verfügen sie aber über keine Rücklagen oder Reserven und sind daher auch anfälliger bei Krisen. Der zuversichtliche Blick nach vorn, Tatendrang Kreativität und Schaffenskraft, Eigenschaften die Start-ups zu Eigen sind, helfen sicher auch bei der Bewältigung der aktuellen Herausforderungen.

VC Magazin: Mit welchen Gefühlen blicken Sie persönlich auf 2020 zurück?
Stresing: 2020 war ein sehr ereignisreiches Jahr, das völlig anders verlief als gedacht. Wir alle sahen uns durch die Corona-Pandemie und ihren Auswirkungen mit komplett unbekannten Herausforderungen konfrontiert, die alles dominiert haben. Umso erfreulicher ist, dass bei unseren beiden politischen Hauptthemen – dem „Zukunftsfonds“ und Verbesserungen für Mitarbeiterbeteiligungen – wichtige Fortschritte erzielt worden sind. Auch wenn bei beiden Vorhaben noch entscheidende Schritte zu gehen sind, ist hier in den vergangenen Monaten Corona zum Trotz viel erreicht worden. Als Verband selbst freuen wir uns über einen signifikanten Mitgliederzuwachs. Darin sehen wir auch eine Bestätigung unserer Arbeit in 2020.

VC Magazin: Und Ihr Blick nach vorne in Richtung 2021?
Stresing: Wir hoffen, dass sich die Situation insgesamt durch die getroffenen Schutzmaßnahmen und die in Aussicht stehende Impfmöglichkeiten möglichst schnell stabilisiert. Für uns bleiben die Themen Zukunftsfonds und Mitarbeiterbeteiligung auch 2021 ganz oben auf unserer Agenda. Hier ist in den kommenden Monaten noch einiges zu tun. Als Wahljahr kommt 2021 zudem eine ganz besondere Bedeutung zu, weil die Weichen für die nächsten Jahre gestellt werden. Auch im Hinblick auf eine neue Bundesregierung setzen wir darauf, dass die Themen Digitalisierung und Innovation mit hoher Priorität und Nachdruck verfolgt werden. Unsere Erfahrungen gerade in den letzten Monaten haben gezeigt, dass die wichtige Rolle von Startups für die Zukunftsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandortes in Politik und Wirtschaft erkannt ist. Diese Erkenntnis sollte auch die politischen Entscheidungen in 2021 leiten. Insofern blicken wir zuversichtlich ins neue Jahr.

VC Magazin: Herr Stresing, vielen Dank für das Interview.

 

Christoph Stresing ist Geschäftsführer Politik beim Bundesverband Deutsche Startups. Zuvor war er unter anderem für den Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften tätig.