Family Offices hungrig auf Start-ups

Fundraising-Jahr bringt Überraschung im Venture Capital-Segment

Fundraising-Jahr bringt Überraschung im Venture Capital-Segment:: Hubert Birner, Johannes von Borries, Martin Weber (v.l.n.r.)
Fundraising-Jahr bringt Überraschung im Venture Capital-Segment:: Hubert Birner, Johannes von Borries, Martin Weber (v.l.n.r.)

Man könnte vom Corona-Effekt sprechen, wenn man nach der Krise auf die Fonds blicken wird, die sich aktuell trotz Pandemieverunsicherung mit prall gefüllten Geldbeuteln ans Investieren machen können. Point Nine Capital, Cavalry Ventures, ECBF European Circular Bioeconomy Fund und EOS Venture Partners sind nur einige Namen auf der Liste der Venture Capital-Gesellschaften, die im letzten Jahr erfolgreiches Fundraising betrieben haben — und fast alle liegen deutlich über ihren Erwartungen. Dass, verglichen mit dem Private Equity-Segment, vor allem Start-up-Finanzierer auf anlegefreudige Investoren trafen, dürfte mit der COVID-Krise zusammenhängen, die der Digitalisierung einen deutlichen Schub gibt und den Fokus auch auf Biotechnologien lenkt.

HV Capital als Krisengewinner

Zu den Gewinnern zählt auch HV Capital. Die früher unter Holtzbrinck Ventures firmierte Wagniskapitalgesellschaft hat trotz Pandemiejahr mit 535 Mio. EUR sogar 75% mehr eingeworben als beim vorigen Fonds im Jahr 2018. „Was über die Jahre gewachsen ist, kann Corona nicht in Monaten zerstören“, sagt Martin Weber, General Partner bei HV Capital. Er sieht die langjährige, sehr gute Marktpräsenz, die offene Zusammenarbeit mit den Investoren sowie den Track Record als maßgebliche Faktoren für den Erfolg. „Es verlief aber anstrengender als im Januar gedacht“, gesteht Weber ein. „Von Februar bis April mussten wir uns neu sortieren, die Portfolioallokationen anschauen. Anfangs herrschte viel Zurückhaltung und manche Investoren waren so gebeutelt, dass sie erstmal eine Pause gemacht haben. Andere hingegen nutzten die Chance, um in innovative Technologien zu investieren. Wir haben dadurch viele neue Partner gewonnen“, freut sich der Venture Capitalist.

Pandemie-Ende animiert die Investoren

Neue Gesichter im Investorenportfolio hat auch Johannes von Borries, Managing Partner bei UVC Unternehmertum Venture Capital, gesehen. Mit 108 Mio. Euro im ersten Closing hat die Gesellschaft im August 2020 bereits 70% der anvisierten Summe von 150 Mio. EUR eingeworben. „Wir hatten unser First Closing im ersten Quartal geplant, dann kam Corona und das hat uns schon Sorgen bereitet. Wir haben befürchtet, dass die Finanztöpfe sich schließen würden“, erinnert sich von Borries und ergänzt: „Aber wir haben eine starke Basis bei den Family Offices und diese sind nicht auf die Bremse getreten.“ Als unabhängig und antizyklisch agierende Investoren seien Family Offices laut von Borries genau jetzt offen für Anlagen – im Gegensatz zu Versicherern, Assetmanagern und Fund of Funds. Diese sind vom Markt mehr beeinflusst, haben aktuell ihr eigenes Geschäft beziehungsweise Fundraising im Blick und sind deswegen beim Investieren zurückhaltender. „Corona ist aber eine rein externe Krise, die wieder vorbeigehen wird und durch den Impfstoff das Ende in Sicht hält die Stimmung im Markt hoch. Das ist äußerst wichtig und ein ganz anderer Ausgangspunkt als zum Beispiel bei der letzten Finanzkrise.“

Gründer als Investoren mit an Bord

Einen Pluspunkt bei der Investorensuche hat UVC auch durch die früher geförderten Gründer aus dem eigenen Portfolio. Denn sie sind beim aktuellen Fonds als Investoren mit an Bord — eine Besonderheit, wie von Borries weiß. „Das ist ein Zeichen für unsere solide Arbeit. Jetzt investieren die erfolgreichen Start-ups des ersten Fonds in unseren dritten“, freut er sich. Mit 20 Jahren Erfahrung im Markt und der Partnerschaft mit UnternehmerTUM, Europas größtem Innovations- und Gründungszentrum an der Technischen Universität München, profitiert UVC zudem von mehr als 150 Corporates und Mittelständlern im Netzwerk, die einerseits investieren, aber auch gleichzeitig potenzielle Kunden für die Jungunternehmen sind. Das begeistert wiederum die von UVC angesprochenen Limited Partner. „Mit diesem Netzwerk bieten wir unseren Start-ups einen wesentlichen Mehrwert neben dem reinen Investment. Das lockt auch die Family Offices an. Dadurch wissen sie, dass wir ein attraktiver Partner für die Jungunternehmen sind. Diesen Vorteil kann keine andere Venture Capital-Gesellschaft in gleichem Maße bieten.“

Biotech als Krisengewinner beschert Fundraising-Erfolge

Ebenfalls erfolgreich im Fundraising war TVM Capital Life Science. Der Biotechnologie-Finanzierer hat mit 478 Mio. USD den bisher größten Fonds der Firmengeschichte eingeworben, wie Ende Oktober 2020 bekannt gegeben wurde. Managing Partner Dr. Hubert Birner sieht dafür zwei Gründe: Zum einen sei die Biotechnologieindustrie erwachsen geworden. Die Branche ist nicht mehr so spekulativ, es gibt größere Märkte, mehr Börsengänge und das spielt Fonds wie TVM mit langem Track Record in die Karten. Und durch Corona bekommt Biotech nun mehr Aufmerksamkeit von Investoren, die bisher als Generalisten unterwegs waren. „Das hat uns trotz Lockdown noch viele Zusagen beschert und damit ein super Fundraising-Jahr mit Rekordzahlen an Fondsfinanziers – nicht nur für TVM. Und für die Family Offices ist die Biotech-Hürde durch Corona endlich gebrochen“, zeigt sich der Fondsmanager zufrieden. Die Krise bringt, laut Birner, viele wichtige Erkenntnisse mit sich, die den Markt nachhaltig beeinflussen werden. „Zum Beispiel ist das Thema Arzneimittelbeschränkung derzeit eher vom Tisch. Außerdem wird die Produktion von Medikamenten aus China zurückgeholt und wieder stärker in Europa angesiedelt werden. Das animiert auch die Investoren, die zunehmend die Chancen erkennen“, blickt Birner voraus.

Interkontinental persönlicher Kontakt weiter wichtig

TVM war seit Ende 2018 auf Kapitalsuche. Das half letztlich auch beim Erreichen des gesetzten Closing-Ziels. „Wir hatten vor den ersten Closings vorm Lockdown bereits gut 350 Mio. EUR eingesammelt“, erinnert sich Birner. Vom frühen Start konnte TVM letztlich profitieren weil viele Erstgespräche noch persönlich stattfinden konnten. „Das war ein Vorteil bei den Investoren aus den USA, die dieses Mal mehr Kapital bereitgestellt haben. Der persönliche Erstkontakt vor Ort half uns später. Viele, die bei den ersten Meetings noch keine Entscheidung getroffen hatten, haben dann trotz Corona investiert.“ Die für US-Amerikaner noch immer hohe Bedeutung des persönlichen Kennenlernens hat hingegen die Kapitalsuche für UVC während der Krise erschwert: „Interkontinental Kapital nur über Videokonferenz einzuwerben, ist nicht leicht. Das hat viele US-Investoren abgeschreckt. In Deutschland hingegen funktionieren die Videocalls sehr gut und werden sicher auch nach der Krise weiter bleiben.“

Fazit

Beim Blick in die Zukunft erwartet HV Capital-Mann Weber durch die Pandemie signifikante Veränderungen in der Digitalisierung: „Es gibt eine Strukturbereinigung bei physischen Geschäften und mehr Offenheit, sich der Digitalisierung anzunehmen. Wenn die Lage berechenbarer wird, glaube ich, dass mehr Kapital in den Tech-Sektor und in Private Markets fließen wird. Die Voraussetzungen stehen gut für erfolgreiche Dekaden.“ Das bestätigt auch Investor von Borries, der für das Wagniskapitalsegment weiter rosige Zeiten prognostiziert: „Der Appetit auf Venture Capital wird steigen, denn der Appetit auf Start-ups mit innovativen Technologien steigt. Das lockt auch große institutionelle Investoren wie zum Beispiel Fund of Funds oder Pensionsfonds an.“ Mehr Kapital im Markt könne zudem, da sind sich die Investoren einig, bei der Anschlussfinanzierung im Later Stage-Bereich die lang ersehnte Entspannung bringen. Und Birner sieht noch einen dritten, positiven Aspekt, den Corona verändert hat: „Alle haben gemerkt, dass Videocalls effizient sind und das wird unsere Arbeit langfristig beeinflussen. Früher gab es drei bis vier persönliche Meetings, jetzt sind es oft nur noch ein bis zwei Treffen. Meine Dienstreisen in die USA, wo ich 16 bis 17 Mal pro Jahr unterwegs war, werden sich vielleicht halbieren und das ist doch sehr charmant.“