Bildnachweis: © Bundesverband Crowdfunding.
Mit der European Crowdfunding Service Provider (ECSP)-Verordnung treibt die EU die Harmonisierung der europäischen Kapitalmärkte voran – eine gute Nachricht. Dank ihr sollen sich Unternehmen und Start-ups künftig leichter am Kapitalmarkt finanzieren können, weil sie nicht mehr an Ländergrenzen gebunden sind. Welche Chancen bietet die Verordnung darüber hinaus für den Markt digitaler Finanzierungen?
Die Beschränkungen beim Kreditzugang sowie erschwerte Finanzierungsbedingungen für Unternehmen stellen die Wirtschaft vor große Herausforderungen. Schon seit geraumer Zeit werden die Konsequenzen intensiv diskutiert. Doch allein die Debatte hilft nicht. Zwingend erforderlich sind echte Alternativen für Unternehmen. Die gute Nachricht: Finanzierungsmöglichkeiten jenseits von klassischem Kredit bestehen längst. In punkto Unternehmensfinanzierung sind digitale Finanzierungen etwa eine Option mit viel Potenzial.
Verordnung European Crowdfunding Service Provider Regime
Deshalb verabschiedete das Europäische Parlament im Herbst 2020 die Verordnung zum European Crowdfunding Service Provider Regime. Die Verordnung, die sich kurz ECSP nennt und ab 10. November 2021 in Kraft treten wird, soll digitalen Finanzierungsplattformen erlauben, europaweit Wertpapiere und Kredite zu vermitteln. Folglich eröffnet sich für Start-ups und etablierte Unternehmen ein neuer Weg europaweit Kapital einzuwerben. Das war zuvor nicht ohne erhebliche Initialkosten möglich. Auch Kleinanleger profitieren, weil sie digital in Unternehmen in der gesamten EU investieren können. Möglichkeiten, die es bisher nicht gab.
Vereinheitlichung des Rechtsrahmens
Denn die rechtlichen Rahmenbedingungen bei Kapitalmarktfinanzierungen ähneln EU-weit bisher einem bunten Mosaik. Einheitliche Regelungen gab es nicht, was eine grenzüberschreitende Finanzierung für Unternehmen praktisch unmöglich machte. Die ECSP-Verordnung ändert das und ist somit ist ein disruptiver Eingriff in das hoch regulierte Marktgeschehen. Anders gesagt: Durch die Regulierung schafft die EU einen einheitlichen Rechtsrahmen. Sie kommt vor allem kleineren EU-Ländern zugute, weil dort ansässige Unternehmen einen vereinfachten Zugang zum restlichen Binnenmarkt erhalten.
Um die europäische Kapitalmarktunion weiter zu fördern, ist die Vereinheitlichung der Rechtsgrundlagen für digitale Finanzierungen begrüßenswert. Dadurch geht die Harmonisierung der EU auch in diesem Punkt voran, wovon sowohl Privatanleger als auch Start-ups und etablierte Unternehmen profitieren.
Nachholbedarf in Deutschland
Einen Wermutstropfen gibt es dennoch: Um die ECSP-Verordnung in deutsches Recht umzusetzen, will die Bundesregierung das sogenannte Schwarmfinanzierungsbegleitgesetz erlassen, das kürzlich den Bundestag passierte. Aus Sicht der Crowdfunding-Plattformen schießt die Bundesregierung mit ihrer Umsetzung jedoch über das Ziel hinaus. Das lässt sich an drei Aspekten des Gesetzes festmachen:
- Haftungsregelungen drücken auf die Bremse: Emittenten, die eine digitale Finanzierung anstreben, werden mit außergewöhnlich strengen Haftungsanforderungen konfrontiert. So haftet die Geschäftsführung der Emittenten schon bei einfacher Fahrlässigkeit mit ihrem privaten Vermögen, während Aufsichts- und Verwaltungsratsmitglieder bei grober Fahrlässigkeit haften. Bei anderen Finanzierungsformen ist dies nicht der Fall. Würde das gleiche Unternehmen beispielsweise eine Aktienemission über 50 Millionen Euro an der Börse platzieren, haftet nur das Unternehmen. Um den Grundgedanken der ECSP-Verordnung – nämlich den eines erleichterten Kapitalmarktzugangs für Start-ups und Unternehmen – zu ermöglichen, wäre es wünschenswert, wenn die Politik hier zügig nachbessert. Auch vor dem Hintergrund, dass Deutschland das größte Marktpotenzial aufweist und hierzulande das Interesse der Privatanleger an individueller, alternativer Geldanlage zuletzt stark gewachsen ist.
- Nachbesserungsbedarf bei GmbH-Anteilen: Die ECSP-Verordnung zielt ausdrücklich darauf ab Crowdfunding für Unternehmen, insbesondere für Start-ups, einfacher europaweit nutzbar zu machen. Dazu ist notwendig, dass auch GmbH-Anteile im Schwarmfinanzierungsbegleitgesetz aufgenommen werden. Nur so können gerade junge deutsche Unternehmen die Vorteile der europäischen Regulierung bestmöglich für sich nutzen. Ein Irrtum wäre in diesem Zusammenhang zu denken, dass die verabschiedete Verordnung zum Ziel hat, bestehende Regulierungen gänzlich abzuschaffen. Vielmehr vereinheitlicht sich der Verbraucherschutz in ganz Europa und wird mit hohen Standards für prospektfreie Emissionen gefestigt.
- Mehr Tempo bei Lizenzvergabe: Sollten sich Plattformen in Deutschland dazu entscheiden, eine ECSP-Lizenz bei der BaFin zu beantragen, wäre es wünschenswert, wenn die Aufsichtsbehörden sich am Lizenzierungsverfahren der anderen EU-Ländern orientieren. Denn in den anderen Staaten ist die Vergabe bereits angelaufen. Daran sollte sich Deutschland ein Beispiel nehmen. Die Mitgliedsstaaten der EU müssen gemeinsam handeln.
Die ECSP-Verordnung bietet das Potenzial digitale Finanzierungsinstrumente noch stärker im Bewusstsein von Unternehmen und Start-ups zu verankern. Über Landesgrenzen hinweg haben sie die Möglichkeit, einen wesentlich größeren Kreis an Privatanlegern anzusprechen, was Sichtbarkeit und neue, vielversprechende Anwendungsfälle schaffen wird.
Chancen der ECSP-Verordnung nutzen
Gleichzeitig werden traditionelle Kapitalgeber wie Banken einem neuen Wettbewerb ausgesetzt und konkurrieren mit Schwarmfinanzierungs-Plattformen um Kunden. Für die kapitalsuchenden Unternehmen und Emittenten ist diese Entwicklung positiv, denn sie bedeutet mehr Auswahlmöglichkeiten. Sie sind nicht mehr auf eine Finanzierungsquelle alleine angewiesen. Vielmehr suchen sie sich in Europa die Investoren, die an ihr Vorhaben glauben und sie unterstützen möchten.
Im Sinne der angestrebten Harmonisierung der Kapitalmärkte und um einen fairen Wettbewerb zu schaffen, sollten Politik und BaFin ihre Sicht auf die europäische Crowdfunding-Verordnung überdenken und zu einem raschen Handeln übergeben. Es wäre bedauernswert, wenn Deutschland bestehende Chancen und Möglichkeiten nicht umfänglich nutzen könnte. Denn um eine Harmonisierung Realität werden zu lassen, müssen alle EU-Mitgliedsstaaten an einem Strang ziehen.
Zum Autor:
Jamal El Mallouki ist Gründer von CrowdDesk, einem Spezialisten für die Digitalisierung von Finanzprodukten. Mit der Softwarelösung können Kunden online eigenständig Kapital einwerben, vermitteln und Transaktionen sicher abwickeln. Neben LeihDeinerStadtGeld.de gründete er mit Johannes Laub auch LeihDeinerUmweltGeld.de, einen der ersten Anbieter für Schwarmfinanzierungen im Bereich der erneuerbaren Energien. Aufgrund seiner Expertise ist Jamal seit 2015 Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Crowdfunding e.V., wo er die Interessen der digitalen Finanzierungsbranche bundesweit und international vertritt.