Mit tausenden Mitarbeitern und millionenschweren Forschungsprogrammen bringen Großunternehmen regelmäßig Innovationen hervor – doch manche Vision lässt sich besser außerhalb einer großen Organisation realisieren. Um Raum für Mitarbeiter mit solchen Ideen zu schaffen, hat BASF einen eigenen Inkubator ins Leben gerufen.
„Mitarbeitern, die Geschäftsideen rund um die Chemie haben, bieten wir zeitlich begrenzt einen geschützten Raum, um diese weiterzuentwickeln“, sagt Jennifer Kürner, Incubation Operations Manager und verantwortlich für Kommunikation und Marketing bei Chemovator. Bis zu zwölf Gründerteams finden in ihrem Inkubator Platz. Die Teams bewerben sich in internen Pitch Sessions. Nach der Aufnahme verbleiben sie bis zu 24 Monate im Programm. „Dann entscheidet sich, ob das Start-up als eigenständiges Spin-off an den Markt geht oder das Team in die Organisation zurückkehrt“, so Kürner.
Geschützter Raum für Intrapreneure
Der Chemovator startete 2018 in Mannheim, räumlich getrennt vom Ludwigshafener Stammsitz der BASF. Das Kernteam wird ergänzt durch die Entrepreneurs in Residence. Sie bringen Start-up-Know-how und Managementerfahrung in das Programm mit ein, coachen Gründer und wirken als Mentoren. Die eigenständige Brand des Inkubators helfe dabei, für die jeweiligen Teams Mitarbeiter zu finden, die sich normalerweise nicht bei einem Corporate bewerben würden, so Kürner. Bislang wurden 22 Start-ups in das Programm aufgenommen. Mit Boxlab steht bereits eines als Exit auf eigenen Füßen. Im Endspurt befindet sich 1000 Satellites, das dezentrale Co-Working-Spaces in der Rhein-Neckar-Region anbietet. Standorte in Mannheim, Wachenheim und Neustadt sind bereits eröffnet, zusätzliche folgen. Eine weitere Erfolgsgeschichte ist faCellitate. Das Team entwickelt Beschichtungen für Zellkulturen und Verbrauchsmaterialien, welche die Oberflächeneigenschaften verbessern. „Auch faCellitate ist auf dem Weg zur Ausgründung und aktuell im Fundraising“, weiß Kürner.
Innovationslandschaft ergänzen
Der Aufbau eines Inkubators im Konzern bringt Herausforderungen mit sich. „Die BASF hat weltweit über 100.000 Mitarbeiter, und unsere Türen stehen grundsätzlich allen offen“, sagt Kürner. Die relativ kleine Inkubationseinheit muss nachhaltig innerhalb der Organisation bekannt gemacht werden. Der aktuelle Wandel hin zu digitalen Kommunikationsformen ist dabei von Vorteil. Zudem muss die Rolle der Einheit klar definiert sein. „Wir stellen keine Konkurrenz zum Kerngeschäft der Organisation dar, sondern ergänzen die Innovationslandschaft der BASF“, erklärt Kürner. „Wir kümmern uns um die Ideen, die außerhalb des Konzerns besser aufgehoben sind.“
Eine besondere Wurmzucht
Das trifft auch auf das Team von Corbiota zu. Das Produkt ist eher ungewöhnlich: „Wir züchten und vermarkten besondere Regenwürmer, die als Futter für Nutztiere dienen“, so Dr. Arnulf Tröscher, der die Idee und das technische Know-how mitbrachte. Dr. Tröscher arbeitet seit 30 Jahren bei BASF und ist Spezialist für Tiernahrung. „Regenwürmer und Wurmprodukte sind Teil der natürlichen Ernährung vieler Jungtiere, wie zum Beispiel Küken und Ferkel“, fügt Dr. Tröscher hinzu. Doch moderne Tierhaltung trägt einer artgerechten Ernährung der Tiere kaum Rechnung. Durch strenge Hygienemaßnahmen in der Aufzucht und industriell aufbereitetes Futter können sich die Darmflora und das Immunsystem der Tiere nicht richtig entwickeln. Um Krankheiten vorzubeugen, werden allzu häufig Antibiotika verabreicht. Diese belasten die Tiere zusätzlich und können darüber hinaus zu gefährlichen Resistenzen bei Bakterien und bei Menschen führen. Dieser Problematik stehen Verbraucher und Gesetzgeber zunehmend kritisch gegenüber.
Idee, Patent, Verkauf
Hier setzen Dr. Tröscher und sein Team an. Die Würmer stärken die Eubiose, das Gleichgewicht von Mikroorganismen im Darm, und damit das Immunsystem. Dies wiederum reduziert den Bedarf an Antibiotika. Zudem wecken lebendige Würmer die Instinkte der Tiere, fördern den Aktivitätsgrad und erhöhen die Produktivität. „Je gesünder das Tier, desto aktiver ist es“, so Leoni Dalferth, Co-Mitgründerin und verantwortlich für Marketing und Business Development bei Corbiota. Weil die Würmer in bestimmten organischen Substanzen aufwachsen und spezielles Futter bekommen, sind sie – anders als „normale“ Regenwürmer – frei von Krankheitserregern und als Futtermittel zugelassen. Der Zuchtprozess ist patentiert. „Unser Partnerbetrieb züchtet seit Jahrzehnten Würmer und Insekten mit bestimmten Eigenschaften und wird auch künftig für uns produzieren“, sagt Dr. Tröscher. Der Verkauf erfolgt online, direkt an die Kunden.
Markteintritt steht bevor
Der Markt für tierfreundliche Futtermittel ist groß und befindet sich derzeit im Umbruch. Themen wie Tierwohl geraten ebenso wie der Einsatz von Antibiotika zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit. „Unser Produkt ist marktreif, wir sind aktuell in Kontakt mit dem ersten potenziellen Großkunden“, sagt Dalferth. Nun stehen die nächsten Wachstumsschritte an. Dafür muss sich Corbiota vom Konzern lösen. „Bei der Entwicklung des Produkts haben wir massiv von den Ressourcen der BASF profitiert, etwa im Bereich Forschung und Entwicklung, im Qualitätsmanagement, aber auch durch patentrechtliche Unterstützung“, so Fabio Paltenghi, Mitgründer und Geschäftsführer. Paltenghi stieß im Mai zum Team und bringt internationale Gründer- und Start-up-Erfahrung mit. Corbiota soll künftig in drei Dimensionen wachsen: „Wir werden unsere Präsenz international ausbauen, das Angebot auf weitere Nutztierarten ausweiten, und wollen weiterhin im Bereich Forschung und Entwicklung führend sein“, ergänzt Paltenghi. Dafür werden nun strategisch orientierte Investoren gesucht, die den Markteintritt begleiten und gemeinsam mit dem Team das Potenzial heben wollen.
verfasst von Lukas Henseleit