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Der deutsche Venture Capital-Markt hat im Jahr 2021 ein bisher ungesehenes Wachstum hingelegt. Laut EY Startup Barometer stieg die Anzahl der Venture Capital-Finanzierungsrunden im Vergleich zu 2020 um 56%, das Volumen nahm gegenüber dem Vorjahr sogar um 229% zu – über 17 Mrd. EUR investierten Kapitalgeber in deutsche Start-ups.
Die logische Folge steigender Rundenanzahlen und noch stärker steigender Volumina: Die Finanzierungsrunden wurden und werden größer und mit Ihnen steigen auch die Bewertungen. Ein Blick auf die wertvollsten Start-ups Deutschlands bestätigt dies: Von den 25 Unicorns in Deutschland schafften EY zufolge im vergangenen Jahr 19 junge Unternehmen den Sprung über die „magische“ Bewertungsgrenze von 1 Mrd. EUR.
Deutsche Investoren weichen auf frühe Runden aus
Nicht nur in späteren Runden wird zu höheren Bewertungen investiert – auch in frühen Runden sind große Volumina und hohe Bewertungen bereits an der Tagesordnung. Neben der Seed-Runde – der ersten Finanzierungsrunde, in der klassischerweise erste institutionelle Investoren einsteigen und der teilweise eine Angel-Runde vorausging – sieht man heutzutage immer öfter Pre-Seed-Runden, in denen institutionelle Anleger bereits siebenstellige Summen investieren. Für deutsche Investoren, die ihrerseits zwar auch immer größere Summen in den Fonds einwerben und hiermit größere Tickets stemmen, aber im internationalen Vergleich noch eher zu den kleineren Investoren zählen, bleibt dabei immer häufiger nur das Ausweichen auf frühere Runden oder die Rolle als Co-Investor. In späteren Runden lassen sich vermehrt internationale Investoren ausmachen, teilweise auch Private Equity-Investoren, Staatsfonds und andere Schwergewichte. Besonders US-amerikanische Investoren schätzen dabei die im Vergleich zu den USA niedrigeren Preise auf dem deutschen Wagnismarkt. Im German Venture Capital Barometer für das vierte Quartal 2021 sahen die Befragten die hohen Einstiegsbewertungen mit Abstand als größten Stimmungskiller im Markt.
Kein Einbruch in Sicht
Neben dem US-amerikanischen Interesse hat auch das niedrige Zinsniveau zu einer ausgezeichneten Kapitalausstattung und damit zum Boom der Risikokapitalbranche in Deutschland geführt – dieser Boom könnte womöglich einen gewissen Dämpfer erfahren. Während die Fed in den USA bereits die Zinswende eingeleitet zu haben scheint, ist die EZB zwar noch zurückhaltender, aber auch für Europa bahnt sich womöglich ein Wechsel der Zinspolitik an. Dies könnte nach der Rekordjagd im letzten Jahr zumindest zu einer Beruhigung im Markt führen. Auch im Wagnismarkt trüben die Aussichten auf ein höheres Zinsniveau die Aussicht ein wenig. Dennoch ist ein Einbruch des Markts nicht zu erwarten, da die Geldgeber noch immer auf vollen Geldtöpfen sitzen, die in junge Unternehmen investiert werden wollen. Allein seit Jahresbeginn gab es mehrere hoch dotierte neu aufgelegte Venture Capital-Fonds.
Ukraine-Angriff beeinflusst Börsengänge
Daneben bleibt abzuwarten, welchen Einfluss der russische Angriff auf die Ukraine und die damit verbundene Talfahrt der Börsen haben werden. Insbesondere für IPOs als Exit-Kanäle oder die zuletzt populär gewordenen Börsengänge über SPACs dürfte ein solches Marktumfeld nicht zuträglich sein. Der Einfluss auf den Markt wird vor allem von der Dauer der Situation und von den gegenseitigen Sanktionen abhängen. Ein besonders außergewöhnlich starkes Engagement russischer Investoren auf dem deutschen Venture Capital-Markt war bisher nicht zu verzeichnen, sodass durch die Sanktionen jedenfalls keine signifikante Schmälerung der Kapitalausstattung zu erwarten ist.
Neue Unicorns am Markt
Nachdem in den ersten beiden Monaten des Jahres keine Finanzierungsrunde publik geworden war, durch die ein weiteres junges Unternehmen den Schritt zum Unicorn geschafft hat, gab es bis Mitte März nun doch die ersten beiden Unicorns des Jahres. Zusätzlich waren bereits einige große Finanzierungsrunden zu verzeichnen. Wie groß die Auswirkungen der Börsengeschehnisse auf den deutschen Wagnismarkt sein werden, bleibt abzuwarten, stellte sich doch der Börsengang für viele deutsche Start-ups bisher als steiniger Exit-Weg dar. Der Trade-Sale-Markt war für deutsche Start-ups vor diesem Hintergrund „zum Glück“ der bisher häufiger gewählte Exit-Kanal.
Sinkende Bewertungen zu erwarten
Stärker wird das angespannte Börsenumfeld wohl den deutschen Private Equity-Markt treffen, dessen Geschäftsklima zum Jahresende 2021 angezogen hatte. Ob sich Private Equity-Investoren angesichts dieser Aussichten wieder mehr auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und weniger im Later Stage Venture Capital-Bereich investieren oder sich umso mehr in Wagnisdeals engagieren, bleibt abzuwarten. Für ein stärkeres Venture Capital-Engagement von Private Equity-Investoren spricht, dass auch diese Geldgeber sich über hohe Einstiegsbewertungen „beschweren“. Zu beachten ist aber, dass bei sinkenden Börsenkursen im Private Equity-Umfeld auch wieder mit sinkenden Bewertungen zu rechnen ist.
Ausblick
Zum Ende des vergangenen Jahres und damit vor dem Kriegsausbruch in der Ukraine stagnierte der Geschäftsklimaindex im Wagnismarkt. Zu beachten ist aber, dass sich diese Stagnation auf einem Rekordniveau ereignet. Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation ist allerdings unsicher, ob dieses hohe Niveau weiter gehalten werden kann. Noch sind die Aussichten für Venture Capital-Finanzierungen jedenfalls für 2022 gut. Hoffen wir auf das Beste, vor allem auf Frieden in der Ukraine.
Über den Autor:
Nicolas Gabrysch ist Partner bei Osborne Clarke in Köln und begleitet seit über 15 Jahren Venture Capital-Finanzierungen für Investoren und Unternehmen.