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Insbesondere in den letzten Wochen wurden die Nachrichten über ruhmreiche Eigenkapitalrunden der Vergangenheit durch weniger schöne Headlines von Tausenden Entlassungen abgelöst. Nachdem in den vergangenen Jahren große Kapitalrunden mit hohen Bewertungen verzeichnet werden konnten, hat sich für das erste Quartal bereits ein veränderter Trend gezeigt. Die geopolitischen Ereignisse werden die bisherigen Bedingungen bei der Kapitalbeschaffung verändern und derartig hohe Bewertungen könnten abnehmen. Während die Wachstumsambitionen sonst gern gesehen waren und dadurch die Topline im Augenmerk der Eigenkapitalgeber lag, könnte nun die Liquiditätsreichweite und das optimale Haushalten mit dem vorhandenen Kapital in den Vordergrund rücken.
Diese Veränderung führt den Blickwinkel von Venture Capitalists näher an die Betrachtungsweise von Fremdkapitalgebern heran. Inzwischen gibt es einige Fremdkapitalgeber auf dem deutschen Markt, die sich der Kapitalbeschaffung von Start-ups verschrieben haben, und auch Venture Debt wird innerhalb deutscher Kapitalrunden präsenter.
Worum geht es bei Venture Debt?
Diese Finanzierungsform ist eine Ergänzung zu Eigenkapital und wird häufig in der Ausgestaltung eines Darlehens mit fester Laufzeit, Zins- und Tilgungszahlung angetroffen. Die Vertragsgestaltung ist aufwendig und hinsichtlich Gewinn-Partizipation (Equity Kicker), Optionsrechte (Warrants), Covenants, sonstiger Gebühren, vorzeitiger Rückzahlung und anderer Vertragsbestandteile sehr individuell gestaltet, wodurch die Hinzunahme von speziellen Beratern in der Verhandlung anzuraten ist. Venture Debt wird anders als Venture Capital zurückgezahlt. Im Fokus stehen daher Start-ups, die bereits eine etablierte Geschäftsstrategie, eine Produkt-Markt-Akzeptanz und ein qualitatives Zahlen- und Datenmaterial vorweisen können. Das zusätzliche Kapital kann durch entsprechendes Wirtschaften die nächste Eigenkapitalrunde weiter in die Zukunft schieben und zusätzliche Reserven schaffen.
Verwendung von Venture Debt
Der Einsatz von Venture Debt ist vielseitig. Mit der Verschiebung der anstehenden Kapitalrunde in die Zukunft wird auch die Wahl für den Zeitpunkt der kommenden Kapitalrunde freier und kann an die individuellen Branchen- oder saisonalen Einflüsse des Start-ups ausgerichtet werden. Durch die Verlängerung der Cash-Runway können zudem Meilensteine erreicht, Umsatz- oder Margen gesteigert und die Reichweite ausgeweitet werden. Auch wenn künftig vermehrt kritische Überschriften etwa über Entlassungen zu lesen sein werden, wird der Start-up-Sektor vielfach als zukunftsträchtig und innovationsstark beschrieben und auch weiterhin als Vorreiter für technischen Fortschritt und Problemlöser gesellschaftlicher Belange gesehen. Die deutsche Gründerszene rückt bereits seit Jahren enger zusammen und professionalisiert sich. Innerhalb der Szene gibt es viele Gründer, die auf erfolgreiche Exits zurückblicken können, selbst Fonds auflegen und politisch oder auf sozialen Medien aktiv sind, damit sich strukturelle Rahmenbedingungen für Start-ups in Deutschland weiter verbessern. Gegenseitiges Vernetzen für fachlichen Austausch wird verstärkt gelebt und neue Finanzierungsanbieter für Start-ups treten auf den Markt.
Wie bereiten sich Start-ups auf Venture Debt am besten vor?
Trotz möglicher Veränderungen der Wachstumsambitionen vieler Start-ups werden sie auch künftig weiteres Kapital für das Fortbestehen benötigen. Im Idealfall kann das eine Kombination aus Eigen- und Fremdkapital sein. Bereits im Vorfeld von derartigen Gesprächen können Finanzprozesse strukturiert werden, damit die eigenen Ressourcen optimaler genutzt werden. Die Qualität der Zahlen- und Datenbasis in Form eines aussagekräftigen Reportings und einer plausiblen Ertragsplanung ist ebenso wichtig wie eine detaillierte Cashflow-Planung. Ein gezielter Einsatz von digitalen Tools und die vollständige Implementation dieser kann zusätzliche zeitliche Ressourcen freilegen, Fehleranfälligkeit durch Automatisierung reduzieren und ein modernes sowie skalierfähiges Set-up zeigen. Im Zuge der Gespräche mit Geldgebern sollten Unterlagen wie Pitch Deck, Ertrags- und Liquiditätsplanung, betriebswirtschaftliche Auswertung mit Summen-und Saldenliste, der letzte Jahresabschluss und ein Cap Table auf dem aktuellsten Stand sein und das tatsächliche wirtschaftliche Bild der Gesellschaft widerspiegeln. Die Erfahrung zeigt, dass mit zunehmendem Unternehmensalter die Ansprüche an Detaillierungsgrad und Aussagekraft der Unterlagen steigen und ein frühzeitiges Kennenlernen der künftigen Kapitalgeber vorteilhaft ist. Denn häufig wird eine solche Partnerschaft über mehrere Jahre bestehen und turbulente Zeiten werden zu meistern sein. Wer dann auf eine vertrauensvolle Partnerschaft auf Augenhöhe, Branchen-Know-how sowie Netzwerk des Partners zurückgreifen kann, hat ein gutes Backup für solche Herausforderungen.
Zu den Autoren:
Nathalie Wiegand von Coco Finance begleitet Start-ups und hilft Strukturen, Prozesse und Systeme zu optimieren. Zudem unterstützt sie Venture Capitalists in der Finance Due Diligence. Zuvor arbeitete sie bei einem Venture Debt Provider.
Timo Hoffmann ist Head of Partnerships beim FinTech-Unternehmen Agicap, dessen Liquiditätsmanagement-Software Venture Debt-Transaktionen immer häufiger abbildet und damit die Transparenz für Entscheider erhöht.