Bildnachweis: © Hitachi Ventures.
Wolfgang Seibold ist seit mehr als 20 Jahren im Venture Capital-Geschäft tätig, hat die Folgen der Dotcom-Blase ebenso miterlebt wie die Finanzkrise. Mit Hitachi Ventures setzt er seit drei Jahren CVC-seitig Zeichen im Start-up-Ökosystem.
VC Magazin: Sie kennen den Venture Capital-Markt bereits seit Langem. Wie bewerten Sie das aktuelle Preisniveau, und welche Herausforderungen bedeuten die aktuellen Krisen für die Start-ups?
Seibold: Es lohnt sich, jeden Sektor im Einzelnen anzuschauen. Aktuell sind einige Sektoren durchaus sehr gefragt, während Investoren in anderen Bereichen eine gewisse Zögerlichkeit an den Tag legen. Großes Interesse sehe ich bei Start-ups im Environmental- und Agritechumfeld und nach wie vor auch bei einigen digitalen Themen wie künstliche Intelligenz und Machine Learning oder Cloud-Technologien. Hier herrscht eine rege Nachfrage insbesondere nach frühphasigen Runden. Wir suchen aktuell auch nach innovativen Web3- und Cloud Services-Unternehmen. In anderen Bereichen wie zum Beispiel in der Biotechnologie sind die Kapitalmärkte so stark eingebrochen, dass wir auch bei Wagniskapitalinvestoren eine größere Verunsicherung sehen. Hier sind die großen Runden eher seltener geworden, und es findet eine Konzentration auf wenige, sehr aussichtsreiche Firmen statt, ein „Flight for Quality“, wie wir ihn auch in früheren Krisenphasen erlebt haben.
VC Magazin: Haben Biotech und Medtech dann vor allem von und während der Pandemie profitiert?
Seibold: Sicher hat die Branche anfangs von der Pandemie profitiert, da sich in dieser Phase digitale Anamnese- und Patientendialoganwendungen rasch durchsetzen konnten und die Pioniere der MRNA-Forschung bei der Impfstoffentwicklung die erfolgreichsten waren. Über diesen kurzfristigen durch Corona getriebenen Bedarf hinaus hat die Branche das Potenzial dieser neuartigen Verfahren und Technologien auch für viele andere Therapien erkannt. Aus meiner Sicht befinden wir uns am Anfang einer großen Innovationswelle quer durch die gesamte Gesundheitsbranche – ich denke, man kann hier durchaus von einem neuen Megatrend sprechen. Daher sehe ich die aktuelle Bewegung auch eher als vorübergehende Marktkorrektur.
VC Magazin: Welchen Einfluss wird die Krise auf die Bewertungen aus Ihrer Sicht haben?
Seibold: In den letzten Jahren mussten wir oft Fantasiebewertungen erleben. Diese sind in den letzten Monaten teilweise deutlich korrigiert worden. Aktuell wird sehr auf die Nachhaltigkeit von Unternehmensbewertungen geachtet. Mache Investoren müssen vielleicht noch akzeptieren, dass der Wert ihrer Beteiligungen sich nicht jedes Jahr vervielfachen kann. Viele im letzten Jahr als Unicorn gehandelten Firmen werden sich jetzt fragen müssen, ob sie wirklich noch welche sind. Dennoch haben auch jetzt gut performende Unternehmen keine Schwierigkeiten, Kapital zu mobilisieren.
VC Magazin: Demnach ist vor allem mit Downrounds zu rechnen?
Seibold: Nicht unbedingt. Sicher wurden in den letzten Jahren einige Unternehmen zu teuer finanziert, und eine Korrektur ergibt Sinn – aber es ist immer noch reichlich Kapital im Markt, und die Investoren versuchen, in die besten Start-ups einzusteigen. Für solche lassen sich auch hohe Bewertungen verteidigen. Wir beobachten allerdings auch, dass eine Vielzahl von Unternehmen sich schwerer tut, in der gewünschten Geschwindigkeit und im gewünschten Umfang neue Runden einzusammeln – das motiviert, auch mal kritisch über die eigene Bewertung nachzudenken. Solche Zyklen gab es schon immer, und sie bieten auch Chancen.
VC Magazin: Nach der letzten Krise haben einige CVCs ihre Aktivitäten eingestellt. Erwarten Sie das in nächster Zeit mit der heraufziehenden Finanzkrise erneut?
Seibold: Die Art, CVC zu machen, hat sich geändert. Vor der letzten Krise haben viele CVCs vor allem renditegetrieben investiert. Mittlerweile sehen viele Firmen in ihren Venture Capital-Beteiligungen auch ein strategisches Instrument, beispielsweise um schneller an Innovationen zu kommen und Wachstumstrends, die sie früher durch interne Entwicklungsaktivitäten adressiert hätten, durch Kollaborationen mit innovativen Start-ups zu bespielen. Dieser neue strategische CVC-Ansatz hat sich weitgehend durchgesetzt. Daher sehe ich aktuell nicht unbedingt den Druck seitens der Unternehmensleitungen, ihre CVC-Aktivitäten zu korrigieren, da sie auch in Krisen Produktentwicklungen weiterbringen und sich für die Zukunft aufstellen müssen. Ich rechne bei CVC daher nicht mit einem Einbruch, wie er nach der Finanzkrise stattfand.
VC Magazin: Hitachi hat den Venture-Arm Hitachi Ventures vor drei Jahren ins Leben gerufen, Sie sind fast von Beginn an mit an Bord. Welche Ziele hat sich Hitachi dabei gesetzt?
Seibold: Hitachi Ventures wurde insbesondere aus einer strategischen Überlegung heraus geschaffen. Wir investieren in die wesentlichen Wachstumsfelder für den Hitachi-Konzern und beteiligen uns an jungen Unternehmen insbesondere dann, wenn wir konkrete Ansätze für eine strategische Zusammenarbeit sehen, ob bei Go-to-Market oder im Product Development. Angesichts der sich beschleunigenden Innovationszyklen ist es Hitachi wichtig, auf die Entwicklungen in der Start-up-Szene zu achten und mit den vielversprechendsten Unternehmen zu kollaborieren, um nicht disruptet zu werden. Auch bei strategisch gut passenden Start-ups achten wir auf ein sehr gutes Risiko-Ertrags-Profil.
VC Magazin: Wie ist Ihr Portfolio aufgestellt?
Seibold: Wir haben seit Ende 2019 insgesamt in 18 Start-ups investiert, in den Bereichen Environmental Technologies – insbesondere in Unternehmen, die zur Reduzierung des CO2-Footprints beitragen – sowie Healthcare. Hier haben wir uns an Start-ups aus den Feldern Precision Medicine, Bioinformatik und Diagnostik beteiligt. Zudem sind wir im IT-Umfeld bei Cloud-Infrastruktur und Cloud Services engagiert, insbesondere mit Blick auf die digitale Transformation. Zu einem kleineren Anteil haben wir auch in Agritech- und Robotik-Start-ups investiert. Geografisch engagieren wir uns im Wesentlichen in Nordeuropa, den USA und Israel, haben aber auch bereits einmal der APAC-Region investiert.
VC Magazin: Als CVC setzt Hitachi Ventures bei jedem Investment auf eine Win-win-win-Situation. Was ist darunter zu verstehen?
Seibold: Mit unseren Investments wollen wir Kollaborationen zwischen Start-ups und dem Hitachi-Konzern unterstützen und schauen daher bei den Investments immer auf Anknüpfungspunkte. Wir wollen so einerseits Wert für die Start-ups schaffen, die über Hitachi schneller in ihre Märkte oder an die großen Kunden kommen, und andererseits entsteht für Hitachi ein Mehrwert, beispielsweise durch neue technologische Lösungen oder durch Angebotskomplettierung und Ausbau der eigenen Marktposition. Wenn wir dadurch schließlich auch noch einen finanziellen Gewinn generieren, haben wir ein Win auf drei Ebenen geschaffen.
VC Magazin: Wie gestalten sich Ihre Investments?
Seibold: Wir sind als unabhängiger Venture Capital-Fonds mit dem 100%igen Eigentümer Hitachi Limited aufgestellt. Dabei agieren wir jedoch wie viele unabhängige Venture Capital-Fonds. Wir investieren gerne in Syndikaten mit anderen Co-Investoren. Dabei können wir als Lead oder Co-Lead, aber auch als Co-Investor agieren. Wichtig ist uns, dass wir eine echte und enge Zusammenarbeit mit den Unternehmen und Gründerteams hinbekommen – daher engagieren wir uns auch gerne im Board. Wir legen Wert darauf, den Mehrwert, den wir generieren wollen, auch umzusetzen zu können.
VC Magazin: Wie fällt Ihr Blick in die Zukunft aus?
Seibold: Wir befinden uns aktuell in einer besonderen Umbruchsphase – der Drang, sich aus der Abhängigkeit von Erdgas, Kohle und Rohöl zu befreien, unterbrochene Lieferketten, der zunehmende Fachkräftemangel und die alternde Gesellschaft. Aus allen Ecken sehen wir einen lauten Ruf nach großen Innovationen. Jede Wirtschaftskrise hat auch große, neue Unternehmen hervorgebracht. Ich glaube, dass wir auch dieses Mal wieder die Geburt neuer Champions sehen werden. Mir ist deshalb nicht bange, gemeinsam mit den innovativen jungen Unternehmen aus der Krise eine Chance zu machen und Neues aufzubauen.
VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch.
Über den Interviewpartner:
Wolfgang Seibold ist Partner und CFO bei Hitachi Ventures. Er investiert seit über 20 Jahren in Hightech Startups in Europa, Israel und USA.