Mit -270 °C gegen die Klimakrise

IQM: Zukunftstechnologie Quantencomputer

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Bildnachweis: IQM.

Temperaturen in der Nähe des absoluten Nullpunkts, winzigste Teilchen, die sich ungern beobachten oder gar steuern lassen, fragile Prozesse, die zur Sicherheit etliche Male wiederholt werden müssen, und ein noch weitgehend unerforschtes Anwendungsgebiet – das klingt nicht nach einem guten Investment. Die MIG Capital AG hat trotzdem zugeschlagen, und das bereits zum wiederholten Mal.

Das deutsch-finnische Start-up IQM hat im Sommer eine der bislang größten Finanzierungsrunden im Bereich des Quantencomputings abgeschlossen. Bei der Series A2-
Runde wurden insgesamt 128 Mio. EUR eingesammelt. Das 2018 gegründete Unternehmen ist damit in die weltweite Top-Liga aufgestiegen – laut Insidern könnte die Bewertung bei rund 0,5 Mrd. USD liegen. Die Macher hinter MIG Capital scheinen wieder einmal den richtigen Riecher gehabt zu haben. Das Team der Münchner Beteiligungsgesellschaft war schon an großen Erfolgsunternehmen wie BioNTech und Siltectra beteiligt.

Team arbeitet brilliant

„Wir freuen uns über die Entwicklung bei IQM. Das Team arbeitet brillant, und wir konnten bereits zwei Anlagen an Kunden verkaufen“, erklärt Dr. Sören Hein, Partner der MIG Capital AG. MIG war wesentlich an den mittlerweile drei Finanzierungsrunden von IQM beteiligt. Die Strategie, mit kundenspezifischen Lösungen bereits einen Markteintritt zu ermöglichen, hat sich nach seiner Einschätzung voll ausgezahlt. IQM setzt – ähnlich wie IBM – auf die Technologie mit sogenannten supraleitenden Schaltkreisen. Voraussetzung dafür sind ein Vakuum und Temperaturen von -273 °C. Nicht besonders einladend.

Kommerzielle Anwendungen in Sicht

Die Firma bekommt diese schwierigen Bedingungen, die störrischen Elementarteilchen und die Steuerung der Prozesse zusehends besser in den Griff, sodass kommerzielle Anwendungen stabil laufen können. In zwei Jahren soll der erste IQM-Rechner dann im Leibniz-Rechenzentrum der Bayerischen Akademie der Wissenschaft integriert werden. Möglich wird das unter anderem durch Fördergelder des Bundesforschungsministeriums. Bereits seit einiger Zeit laufen auch Gespräche mit Automobilfirmen und Chemiekonzernen über eine gemeinsame Anwendung der Technologie. Und bei jedem dieser Projekte lernt das knapp 200-köpfige Team des Quantencomputer-Start-ups wieder dazu, um die Systeme immer stabiler laufen lassen zu können.

Unendlich viele Zustände

Während klassische Computer nur die Zustände „Null“ und „Eins“ kennen, kann ein einziges Quantenbit (Qubit) unendlich viele Zustände dazwischen einnehmen. Das Problem ist nur, dass man von außen nicht genau beobachten kann, in welchem es sich nun befindet, denn allein durch die Beobachtung kann sich dieser Zustand ändern – und damit der Wert einer
Berechnung. Das klingt nach einem unlösbaren Problem, aber durch eine Zusammenschaltung mehrerer Qubits lassen sich diese Fehler wieder korrigieren. Systeme von IQM arbeiten aktuell mit circa 20 Qubits. Doch wozu dieser Aufwand für die große Rechenpower? Quantencomputer ermöglichen aufgrund ihrer unglaublich hohen Rechengeschwindigkeit beispielsweise hochkomplexe Simulationen, die mit herkömmlichen Computern wahrscheinlich nie zu bewältigen wären. Ein Beispiel ist die Medikamentenentwicklung: Ein Quantencomputer könnte künstliche Moleküle und ihre Wirkung auf den menschlichen Organismus simulieren. Aufgrund der Komplexität der Simulation wären normale Rechner schlicht überfordert.

Unterstützung gegen den Klimawandel

Bei MIG sieht man eine weitere – sehr wichtige – Anwendung bei der Bewältigung von Problemen durch den Klimawandel. „Mit Quantencomputern wird es möglich, bestimmte Lösungen zu modellieren, was mit herkömmlichen Computern unmöglich wäre“, so Hein weiter. Nach einer Einschätzung der Unternehmensberatung McKinsey könnten durch mittels Quantencomputern entwickelte Klimatechnologie die CO2-Emissionen bis 2035 um sieben Milliarden Tonnen – also 20% – pro Jahr reduziert werden. Dazu passt laut Hein dann auch sehr gut, dass mit dem World Fund der größte europäische Climatetech-Wagniskapitalgeber nun zum Kreis der Investoren bei IQM gehört. Insgesamt sei es zudem wichtig, dass eine solche entscheidende Zukunftstechnologie auch in Europa entwickelt wird, um nicht von den großen Tech-Playern in den USA und China abhängig zu werden.

Weitere Investments geplant

MIG wird sich nicht auf den Lorbeeren der bisherigen Investments ausruhen – das wäre im quirligen Venture Capital-Geschäft auch schwer möglich. „Wir sehen starke Entwicklungspotenziale bei der weiteren Kombination von Deeptech und Life Sciences. Letztendlich ist dies auch das Modell von BioNTech, denn hier wurde die Medikamentenentwicklung mit Methoden der KI beschleunigt. Digitalisierung und Pharma
wachsen immer stärker zusammen – es ist ein Konvergenzthema, und hier wollen wir uns beteiligen“, so Hein weiter. Als aktuelles Beispiel nennt er Temedica – ein Münchner Digital Health-Start-up, das Patienten mit komplexen chronischen Erkrankungen moderne digitale Patientenbegleiter zur Seite stellt, die mit personalisierten Empfehlungen helfen. MIG Capital hat bisher über 650 Mio. EUR in rund 50 Unternehmen investiert. Die Ausschüttungen seit Gründung des ersten MIG Fonds belaufen sich auf rund 1,1 Mrd. EUR. Aktuell besteht das MIG-Beteiligungsportfolio aus 30 Unternehmen, die 2021 von den MIG Fonds und ihren Co-Investoren Mittel mit einem Gesamtvolumen von rund 275 Mio. EUR erhielten (Vorjahr: 170 Mio. EUR).