Die gute Nachricht zuerst: Die Zahl der Gründerinnen wächst stetig, auch die Kapitalgeberseite wird allmählich weiblicher. Die schlechte Nachricht: Frauen sind im deutschen Start-up-Ökosystem noch immer unterrepräsentiert und haben es weiterhin schwerer, für ihre Geschäftsideen Kapital zu erhalten. Den notwendigen Kulturwandel zu beschleunigen ist das erklärte Ziel der Branche.
Längst sollten Frauen in der deutschen Start-up-Szene keine Seltenheit mehr sein, ob als Beschäftigte, Gründerin, Business Angel oder Investorin. Weibliche Fachkompetenz ist reichlich vorhanden – laut Centrum für Hochschulentwicklung studieren aktuell erstmals mehr Frauen als Männer an deutschen Universitäten, und das auch in Fächern wie Chemie, Biologie und Mathematik. Als Konsens gilt heutzutage, dass gemischte Teams Marktchancen und -risiken besser beurteilen können. Frauengeführten Start-ups attestiert die Strategieberatung Boston Consulting Group sogar höhere Profitabilität: Sie erwirtschaften im Durchschnitt für jeden investierten Dollar 78 Cent Umsatz, Männer hingegen nur 31 Cent. Trotzdem vollzieht sich der Wandel zu einem ausgewogenerem Geschlechterverhältnis nur langsam: Gemäß Deutschem Startup Monitor 2022 betrug der durchschnittliche Frauenanteil unter den Beschäftigten in innovativen Techfirmen zuletzt zwar 36,6%, er lag damit aber unter dem Vorjahreswert (2021: 37,5%) und weiterhin deutlich unter dem Wert der allgemeinen Erwerbsbevölkerung (46,8%, Destatis 2021). Der Anteil der Gründerinnen ist zuletzt noch immer nicht höher als 20,3% (+2,6%). Zwei Drittel der Start-ups werden ausschließlich von Männern gegründet (62,2%). Was also tun?
Austausch mit Vorbildern und Netzwerken verstärken
„Stereotypische Rollenbilder sind tief in unserer Kultur verankert. Hieraus entstehende Hemmnisse müssen wir uns stärker bewusst machen und aufgreifen“, befindet Doris Petersen, die als erste Geschäftsführerin der Wirtschaftsförderungsgesellschaft hannoverimpuls Frauen-förderung als Chefinnensache betrachtet. „Über einen Zeitraum von 30 Monaten hat beispielsweise unser Female Health Incubator insgesamt 13 mindestens genderdiverse Teams bei ihren Geschäftsmodellen rund um die weibliche Gesundheit spezifisch unterstützt – elf davon waren bisher erfolgreich. Auch bei Gründerinnen-Consult gehen wir gezielt darauf ein, dass Frauen anders gründen als Männer: beispielsweise häufiger im Nebenerwerb, stärker evaluierend, durch übergeordnete Ziele motiviert in Bereichen wie Green Economy, Social Entrepreneurship und Gesundheitswesen. Sicher nicht minder erfolgreich – dank der hohen Expertise in den Naturwissenschaften sind Gründerinnen bereits ein elementarer Treiber medizinischer Innovationen.“ Um noch mehr Frauen für diesen Weg zu motivieren, setzt Petersen auf stärkeren Austausch: „Unser Ziel ist, weibliche Vorbilder sichtbarer zu machen und gründungsinteressierte Frauen mit Business Angels- beziehungsweise Investorinnennetzwerken wie zum Beispiel BAND, Fin, Encourage Ventures oder Auxxo zu verbinden. Sie können wichtigen Rückhalt geben.“
Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen
Miriam Jacks versteht sich von Haus aus als Kämpfernatur, die ihrem Instinkt vertraut und Chancen ergreift. Ausgerechnet im ersten Corona-Jahr ist der 38-Jährigen mit ihrer veganen Beauty Brand Jacks beauty line der Durchbruch gelungen: „Nachdem das Storegeschäft pandemiebedingt weggefallen war, musste ich umdenken. Eher notgedrungen habe ich Instagram-Lives gemacht und mich so zur erfolgreichen E-Commerce-Unternehmerin entwickelt.“ Ihr Team ist seither auf 25 Mitarbeiterinnen angewachsen. Der Jahresumsatz 2022 wird mit über 6 Mio. EUR erwartet. „Wir sollten unsere Kinder unabhängig vom Geschlecht von klein auf ermutigen, Großes zu wollen und es laut zu fordern, damit sie als Erwachsene ganz selbstverständlich in Führung gehen und Risiken annehmen können“, ist Jacks Fazit. „Wer Visionen verkaufen will, muss mutig sein.“ Die Zweifachmama ist auch überzeugt, dass Gründungserfolg und Familie sich nicht ausschließen müssen: „Zwar fällt die Unternehmensgründung in Deutschland vom Alter her typischerweise in die Lebensphase der Familienplanung. Wenn man sich aber nicht scheut, rechtzeitig Unterstützung einzufordern, ist Gründung auch als Mutter zu bewältigen!“
Zahl weiblicher Business Angels erhöhen
Wichtiger Partner in der frühen Phase kann ein Business Angel sein, der mit Erfahrung und Kapital zur Seite steht. Nicht zuletzt dank des 2013 eingeführten staatlichen Invest-Zuschusses für Wagniskapital hat sich der Markt für Privatinvestoren deutlich belebt: So hat sich die Gesamtsumme des durch sie bereitgestellten Kapitals laut ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung zwischen 2013 und 2020 fast vervierfacht, und zwar auf knapp 2,5 Mrd. EUR. Auch ist die Zahl der Angel-Investoren in diesem Zeitraum von 7.500 auf mehr als 10.000 gewachsen. „Um erfolgreich als Angel tätig zu sein, sind unternehmerische Erfahrungen sinnvolle Voraussetzung. Unsere Branche wird entsprechend weiblicher, seit die Zahl von Frauen in Führungspositionen der Wirtschaft wächst. Erfreulich ist auch, dass immer mehr erfolgreiche ehemalige Gründerinnen nach ihrem Exit als Angelinas aktiv werden“, erklärt Dr. Ute Günther, einer der beiden Vorstände des Business Angels Netzwerk Deutschland e.V. (BAND). Mit der BAND-Initiative „Women Angels Mission ‘25“ treibt der Verein sein Ziel voran, den gegenwärtigen Anteil weiblicher Business Angels von 15% auf 25% zu erhöhen: „Eine größere Zahl von Investorinnen erhöht auch die Wahrscheinlichkeit für Gründerinnen, die Finanzierung ihres Start-ups und spezifische Kompetenz bei einem weiblichen Angel zu finden. Im Verhältnis Angel/Gründer ist gegenseitiges Vertrauen unbedingt erforderlich. Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, dass sich dieses Vertrauen in manchen Fällen im Verhältnis Frau/Frau leichter aufbauen lässt. Das mag wiederum beflügeln, über die Gründung eines Start-ups nachzudenken.“
Strukturelle Benachteiligung gezielt vermeiden
„Für weibliche Start-ups ist der Zugang zu Venture Capital noch immer schwierig. Ihnen wird ganz allgemein weniger zugetraut als Männern“, berichtet Marie-Helene Ametsreiter, General Partner beim Frühphaseninvestor Speedinvest. „Unsere in Europa noch junge Anlageklasse ist aus einem eng verwobenen, homogenen Netzwerk hervorgegangen, das sich weiterentwickelt hat. Die erfolgreichen Start-up-Gründer des letzten Jahrzehnts – noch vorwiegend Männer! – treten heute als Investoren auf und investieren häufig in Muster, die für sie funktioniert haben. Solche in sich geschlossenen Systeme gilt es aufzubrechen!“ Zu diesem Zweck setzt Speedinvest auf Partnerinnen in den eigenen Reihen und die klare Anweisung, mindestens 30% des Kapitals in gemischte Gründerteams zu investieren. Ametsreiter: „Per erstem Halbjahr 2022 ist hier bereits die 25%-Marke erreicht.“ Auch dem viel beklagten „Gender Bias“ begegnet die Firma gezielt: „Unsere Anlageteams werden speziell geschult, um das Bewusstsein für systematische Benachteiligung zu schärfen. Während der Due Diligence benutzen wir standardisierte Fragelisten, um Männern und Frauen durchweg gleiche Chancen zu geben. Zudem sind bei jedem Termin immer auch Frauen anwesend, da es für Gründerinnen angenehmer sein kann, als vor rein männlichen Teams zu präsentieren.“ Von Fonds, die ausschließlich in weibliche Start-ups investieren, hielt Ametsreiter zunächst wenig: „Frausein ist per se kein Anlagekriterium. Zudem wäre es kontraproduktiv für das Anliegen, Frauen stärker in der Start-up-Szene zu verankern, wenn solche Fonds schlechter abschnitten. Inzwischen sehe ich aber genderspezifische Fonds wie Auxxo oder January Ventures, die auf dem Weg sind, sensationelle Ergebnisse zu erzielen – das ist vielversprechend!“