Bildnachweis: (c) Pflegewächter.
Pflegebedürftigkeit stellt Betroffene und ihre Angehörigen vor große Herausforderungen. Staatliche Leistungen sollen im Ernstfall die Belastungen lindern – doch häufig erhalten Menschen nicht die Pflegeleistungen, die ihnen zustehen.
„Die Anträge zu stellen und sich mit Behörden auseinanderzusetzen ist kompliziert, zeitaufwendig und belastet alle Beteiligten, insbesondere ältere Menschen“, sagt Moritz Schmidt, Mitgründer und Geschäftsführer beim Hannoveraner Start-up Pflegewächter. Es gebe zwar Informationsangebote, doch kaum Hilfe bei der Umsetzung: „Wir helfen den Leuten dort, wo es bislang keiner tut.“ Über die Website können Nutzer den voraussichtlichen Pflegegrad und die passenden Leistungen ermitteln und direkt bei der Krankenkasse beantragen. „Das Behördendeutsch und komplizierte Formulare haben wir nutzerfreundlich aufbereitet und wir führen strukturiert durch den Antrag“, so Schmidt. Wird dieser abgelehnt, unterstützt Pflegewächter bei der Formulierung des Widerspruchs und gegebenenfalls bei der Rechtsdurchsetzung. Da Pflegewächter die Kosten direkt mit der Krankenkasse abrechnet, sind die Leistungen für die Nutzer kostenlos.
Unternehmensidee aus der eigenen Not heraus
Das Start-up adressiert ein strukturelles Problem. „Um Kosten zu sparen, wollen Krankenkassen möglichst niedrige Pflegegrade vergeben“, so Schmidt, „und gleichzeitig gibt es nur wenige Gutachter, sodass kaum Zeit ist, die einzelnen Fälle sorgfältig zu prüfen, und Fehler entstehen.“ Die Gründungsidee hatte Co-Founder Florian Specht, der sich als Angehöriger unvermittelt mit den Hürden der Antragsstellung konfrontiert sah und Betroffenen helfen wollte. 2019 stellte er die Idee erfolgreich beim Social Innovation Center in Hannover vor. 2020 startete er das Projekt, gefördert durch das BMWi und die EU, auch das Exist-Programm unterstützt, allesamt unter dem Dach der Leibniz Universität Hannover, und entwickelte den Prototyp. 2021 folgte schließlich gemeinsam mit Moritz Schmidt und Noel Scheit die Unternehmensgründung.
NBank Capital als Investor an Bord
Ende des Jahres investierte NBank Capital, eine Tochter der niedersächsischen Landesbank. „Neben dem motivierten Gründerteam haben uns die All-in-one-Lösung und der soziale Nutzen überzeugt“, so Ulrich Lohmann, der als Investmentmanager das Team betreut und mitunter in kaufmännischen Fragen Support beisteuert. Seitdem wurde das Angebot kontinuierlich ausgebaut. Heute arbeiten zehn Personen bei Pflegewächter, in den Rechtsfragen unterstützen zwei Partnerkanzleien. Bislang konnten über 1.000 Menschen nach einem abgelehnten Antrag ihre Rechte durchzusetzen. Die Erfolgsquote betrage kontinuierlich 75%, so Schmidt.
Kooperationspartner setzen auf Pflegewächter
Die Nachfrage dürfte weiter zunehmen. „Die Menschen werden älter, der Pflegebedarf steigt“, sagt Schmidt, „gleichzeitig gehen in den kommenden 14 Jahren 30% der heute arbeitsfähigen Bevölkerung in Rente.“ Das notwendige Pflegepersonal fehle, die Last müssten die Familien tragen. Mittlerweile bauen Kooperationspartner wie die AWO, die Diakonie Niedersachsen und das Deutsche Rote Kreuz auf Pflegewächter. Sie nutzen das Angebot, um in Beratungsgesprächen schneller zu belastbaren Einschätzungen hinsichtlich Pflegegrad und Leistungen zu kommen sowie Leistungen der Pflegeversicherungen durchzusetzen. „Zudem liefern die Partner wertvollen Input, um unsere Services weiterzuentwickeln“, sagt Schmidt. Die Kapazität soll erhöht werden. Aktuell kann Pflegewächter pro Monat 150 bis 200 Fälle vollumfänglich begleiten, mittelfristig sollen es 500 Fälle werden. Zudem wollen Schmidt und sein Team das Angebot inhaltlich ausbauen. Künftig wird Pflegewächter bei weiteren Vorsorgethemen unterstützen, etwa bei der Erstellung von Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen. Hier sieht auch Lohmann großes Potenzial für weiteres, bundesweites Wachstum. „Für uns ist entscheidend, dass wir den Menschen bestmöglich helfen“, so Schmidt. Der Kapitalbedarf ist derzeit gedeckt, eine weitere Finanzierung könnte Mitte 2023 folgen.