Bildnachweis: BayBG Venture Capital, Munevo, Munevo.
Wenn der Körper nicht mehr umsetzen kann, was der Geist gerne bewältigen möchte, dann ist technische Hilfe erforderlich. Das Münchner Start-up Munevo hat eine revolutionäre Technik entwickelt, die eine Rollstuhlsteuerung per Smartglass ermöglicht. Nun soll der Sprung über den großen Teich erfolgen – mithilfe einer Investitionsrunde, die von der BayBG Bayerische Beteiligungsgesellschaft angeführt wurde.
„Es ist immer wieder schön, zu sehen, wenn wir Menschen ganz konkret helfen können“, sagt Claudiu Hidas, einer der Gründer der Munevo GmbH. Er kommt gerade von einer weiteren Reise in die USA zurück und hat dort neuen Kunden bei der Einrichtung der Rollstuhlsteuerung geholfen. Normalerweise ist das nicht mehr sein Job, denn das Unternehmen ist seit der Gründung im Jahr 2018 kräftig gewachsen; beim aktuellen Markteintritt in den USA legt er aber gerne wieder selbst Hand an. Die Wachstumsstory von Munevo kann sich sehen lassen, denn innerhalb von vier Jahren wurden Hunderte Kunden mit der selbstentwickelten Technik versorgt – und das in Europa und seit Neuestem auch in den USA.
Praktische Versuche in Rehabilitationszentrum
Die Idee für eine Rollstuhlsteuerung via Smartglass entstand an der Technischen Universität (TU) München im Zuge einer gemeinsamen Projektarbeit zum Thema Mobilität. Während sich viele Kommilitonen auf Anwendungen rund um das Thema Auto konzentrierten, wollte sich Hidas lieber mit einem anderen Sektor beschäftigen. Der entscheidende Input erfolgte dabei durch einen Mitstudenten, der als Zivildienstleistender umfangreiche Erfahrungen mit Patienten in Rollstühlen gemacht hatte und ihre Probleme kannte. Gerade bei Erkrankungen wie ALS, Multipler Sklerose oder hohen Querschnittslähmungen ist die Steuerung des Gefährts schwierig und die Einrichtung der Systeme sehr kompliziert. So entstand die Idee für eine Steuerung mittels einer Datenbrille (Smartglass) für Menschen, deren Hände nicht mehr dazu in der Lage sind. Die ersten praktischen Versuche wurden zusammen mit der Münchner Stiftung Pfennigparade durchgeführt. So konnte die neue Technik auf Herz und Nieren geprüft werden, bevor dann der Markteintritt erfolgte.
Bisher viel alte Technik
Das Projektteam stellte fest, dass die bisherige Steuerungstechnik seit langer Zeit im Einsatz und besonders die Einrichtung notwendiger Anpassungen sehr kompliziert war. Hier setzte das Munevo-Team mit einer modernen Steuerungstechnologie an, die einfach an alle gängigen Rollstuhlmodelle anzupassen ist und sich leicht updaten lässt. „Die größte Schwierigkeit zu Beginn war die Beschaffung eines geeigneten Rollstuhlmodells, um die ersten Tests durchführen zu können“, erinnert sich Hidas. Doch auch diese Hürde wurde gemeistert, und schließlich konnte nach dem Abschluss der Projektarbeit auch eine klinische Studie am Klinikum rechts der Isar in München erfolgreich durchgeführt werden. Das Ergebnis: die Zulassung als Medizinprodukt und damit eine mögliche Kostenübernahme durch die Krankenkassen in Deutschland. Damit die Entwicklung weiter vorangetrieben werden kann, zog Munevo ins Münchner Technologie Zentrum MTZ um, denn dort sind die Räumlichkeiten ausreichend rollstuhltauglich.
Lösungsorientiertes Steuern
Die Steuerung des Rollstuhls erfolgt bei dem System munevo Drive durch Kopfbewegungen, die in der Smartglass erfasst werden. Die Brille dient zudem als Datendisplay für wichtige Informationen und verfügt über einen Lautsprecher, welcher die Informationen wiedergeben kann. Bei der Entwicklung der Steuerung durch Kopfbewegung mussten auch so triviale Probleme gelöst werden, dass die Software ungewöhnliche Bewegungen – zum Beispiel plötzliches Niesen – nicht als Steuerungssignal erkennt. Die Steuerungssoftware befindet sich in einer Kiste von der Größe einer Zigarettenpackung, die problemlos mit gängigen Rollstuhlmodellen verbunden werden kann. Inzwischen wurde auch noch eine Offline-Sprachsteuerung in das Softwarepaket integriert.
Erster Kontakt zur BayBG im Jahr 2020
Das schnelle Wachstum von Munevo wurde auch möglich durch eine Vielzahl von Preisen und Wettbewerben. Weiterhin hat sich das Unternehmen früh um finanzielle Unterstützung von außen bemüht. Im Jahr 2017 erfolgte die Unterstützung durch ein Exist-Stipendium des Bundesministeriums. In einem zweiten Schritt entschlossen sich einige Business Angels um 2018 und 2020 zu einem Investment. Vor zwei Jahren kam es dann zu einem Kontakt mit der BayBG Bayerische Beteiligungsgesellschaft, die sich zu einer Mezzanine-Finanzierung entschloss. „Bei Munevo hatten wir eine sehr komfortable Ausgangslage, denn es bestand beidseitig schon ein Vertrauensverhältnis. Das hat uns als Venture-Team einen Schnellstart in der Due Diligence ermöglicht“, erinnert sich Dr. Peter Graf, Investmentmanager bei BayBG Venture Capital.
Fundraising durch Angriff auf die Ukraine erschwert
Das Fundraising von Munevo erfolgte im Frühjahr 2022 direkt nach dem Angriff auf die Ukraine in einem schwierigen Marktumfeld. Als Lead Investor musste die BayBG in dieser Phase feststellen, dass Zusagen von ausländischen Co-Investoren kurz vor Signing zurückgezogen wurden. „Dieses frei gewordene Ticket hat dann dankenswerterweise sehr kurzfristig die Bayern Kapital übernommen, sodass wir mit einem stabilen Investorenkonsortium wie geplant im Juli 2022 beim Notar waren“, fährt Graf fort. Die europaweite Markteinführung der Produkte mit Verkäufen im DACH-Raum, in Frankreich, in den Niederlanden sowie in Skandinavien ist laut Graf auf gutem Weg. Dabei helfe auch der eigene Vertrieb in Kombination mit der munevo Academy für Sanitätshäuser als Vertriebspartner. Jetzt gelte es, mit der Finanzierungsrunde den interessanten nordamerikanischen Markt zu erschließen. Gleichzeitig soll die Technologie von Munevo auf andere Anwendungsbereiche erweitert werden, etwa Roboterarme oder Handysteuerung.