Bildnachweis: NBank Capital, IFB Innovationsstarter, Genius VC, MBG Schleswig-Holstein, Baltic Incubate Business Club.
Mit Ausnahme von Hamburg führt das Start-up- und Gründungsgeschehen in
Norddeutschland vor allem im Vergleich zu anderen Hotspots zuweilen noch ein
Schattendasein. Zu Unrecht – denn die Region weiß zu überzeugen, mit ganz eigenen Stärken und auch gegenüber manchem Bundestrend.
In Hamburg lag die Zahl der Neugründungen im Jahr 2022 mit 143 hinter denen der Vorjahre zurück, was vor allem an den Herausforderungen der Personalplanung liegt. 38% der Start-ups sehen demnach in der Personalplanung eine der größten Hürden. So könne die Hansestadt ihre Attraktivität etwa für internationale Fachkräfte noch besser nutzen. Wichtig für das weitere Wachstum sei eine aktive Investmentlandschaft – denn Hamburg verfüge zwar insbesondere im Business Angel-Bereich über Stärken, liege aber bei höheren Finanzierungssummen zurück. Positiv entwickelt habe sich aber die Vernetzung der Stakeholder untereinander. So seien etwa Kooperationen innerhalb der Start-up-Szene sowie zwischen Start-ups und Konzernen entgegen dem Bundestrend gestiegen. Dr. Heiko Milde, Geschäftsführer der IFB Innovationsstarter GmbH, zieht denn auch ein positives Fazit: „Es gibt viele Universitäten und Forschungseinrichtungen; insbesondere aus der TU Hamburg, der Universität Hamburg, HAW Hamburg und Helmut-Schmidt-Universität sowie dem Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) gehen Ausgründungen und Start-ups hervor – genauso wie Mitarbeiter für Start-ups.“ Die Stadt verfüge weiterhin über ein gutes
Ökosystem für Start-ups, neben Netzwerken und Forschungseinrichtungen auch über ein finanzielles und nicht finanzielles Fördersystem. Milde verweist beispielsweise auf diverse Start-up-Veranstaltungen, zu nennen insbesondere StartAperitivo vom Hamburg Investors
Network/IFB Innovationsstarter sowie den Female StartAperitivo als bundesweiter Pitch-Contest für Gründerinnen in zehn verschiedenen Städten mit dem Ziel, mehr Venture Capital für Gründerinnen zu aktivieren. Der IFB Innovationsstarter garantiert eine starke öffentliche Förderung mit den Zuschussprogrammen InnoFounder, Inno-RampUp und InnoFintech (bis 200.000 EUR) und Venture Capital über den Innovationsstarter Fonds Hamburg (bis 1,5 Mio. EUR). „Insbesondere die Zuschussprogramme suchen deutschlandweit ihresgleichen“, unterstreicht Milde.
Konzerne können eine Rolle spielen
Mit einer Zunahme von 43% gegenüber 2019 stieg die Zahl der Startup-Neugründungen 2022 in Niedersachsen auf 126 und lag damit über dem Bundesdurchschnitt (8%). „Seit 2019 wurden rund 500 neue Start-ups gegründet“, sagt Ralf Borchers, Geschäftsführer von
NBank Capital. Das sei ein sichtbarer Erfolg der Landesinitiative startup.niedersachsen mit einem ganzen Maßnahmenbündel und neuen Förderinstrumenten wie dem Niedersächsischen Gründungsstipendium, acht geförderten Hightech-Inkubatoren und den Seed- und Wachstumsfinanzierungen der NBank Capital. Mit 113 Neugründungen seit 2019 ist Hannover die gründungsstärkste Stadt im Land. Aber auch in Braunschweig, Göttingen, Oldenburg und Osnabrück haben sich Ökosysteme mit eigenen Schwerpunkten gebildet. In Göttingen beispielsweise unterstützt die Life Science Factory Neugründungen aus den Bereichen Biotechnologie und Medizintechnik. Entwicklungspotenziale gibt es unter anderem am Universitätsstandort Lüneburg oder in Städten wie Wolfsburg und Salzgitter. Hier mag auch die Strahlkraft von Großkonzernen wie Volkswagen oder gestandener Mittelständler eine Rolle spielen.
Drei neue regionale Wachstumsfonds
Im Bundesland sind mehrere Family Offices aktiv. Außerdem sind im letzten Jahr mit Unterstützung des Landes und der NBank drei neue regionale Wachstumsfonds in Hannover, Osnabrück und Göttingen gestartet. „Die NBank hat sich im Rahmen des First Closings mit bis zu 49% an den Fonds beteiligt, insgesamt haben die Fonds aktuell ein Volumen von rund 60 Mio. EUR“, sagt Borchers. In Niedersachsen überwiegen bei den Start-up-Gründungen digitale Produkte und Geschäftsmodelle. „Dabei nehmen KI-basierte Gründungen spürbar zu; allein im Portfolio der NBank Capital haben wir aktuell sieben Start-ups mit KI-basierten Produkten oder Geschäftsmodellen“, erklärt NBank-Geschäftsführer Stephen Struwe-Ramoth. In Niedersachsen stehen ferner Start-up-Gründungen mit Schwerpunkt auf Energie, Mobilität, smarte Produktion, Agtech, Klimaschutz sowie Life Sciences und Biowissenschaften im besonderen Fokus. Ebenfalls interessant: Mit einem Gründerinnenanteil von 25% liegt das Ökosystem im Land Niedersachsen deutlich über dem Bundesschnitt von 20%.
Kurze Wege zur Landespolitik
„Kleiner, aber fein“ mag das Motto in Mecklenburg-Vorpommern sein. Laut Analyse des startupdetectors 2022 verhielt sich das Bundesland bei den Neugründungen (Total: 20; +11%) und Erst- und Folgefinanzierungsrunden (Total: 19; +6%) stabil beziehungsweise sogar leicht positiv und damit gegen den bundesweiten Trend. „In jüngster Vergangenheit hat sich das regionale Start-up-Ökosystem positiv entwickelt und weiter professionalisiert“, unterstreicht Uwe Bräuer, Geschäftsführer der Genius Venture Capital GmbH. Zwei neue Acceleratoren-Programme (Accelerate:MV, Founders Bay Accelerator) sowie die Start-up-Initiative „Gründungswerft“ unterstützen das aktuelle und künftige Gründungsgeschehen, ebenso wie der Company Builder Herofounders. Daneben existiert ein Netzwerk für Entrepreneure und Unterstützungszentren an den Universitäten wie das ZfE Rostock, Digitale Innovationszentren sowie Technologiezentren wie Schwerin/Wismar oder Witeno in Greifswald. „Die Vorteile der regionalen Start-up-Szene liegen zum einen in den kurzen Wegen zur Landespolitik und zum anderen in der guten Vernetzung der Start-ups untereinander. Hier versucht man, sich schnell und pragmatisch bei verschiedenen Themen zu unterstützen“, so Bräuer. Eine Aussage, die Sebastian Megow, zweiter Vorsitzender des Baltic Incubate Business Club, unterstützt: „Wichtige Termine sind kurzfristig zu haben.“
15 Studiengänge zu KI
Zwar gibt es im Frühphasenbereich etablierte Player wie Genius VC, die seit 25 Jahren technologie- und wissensbasierte Gründungen in der Frühphase begleitet, sowie die Mittelständische Beteiligungsgesellschaft MV mbH. Auch weitere Finanzierer für die Frühphase sind in den letzten Jahren hinzugekommen, wie die Roka 1825 GmbH oder die ESB Invest Vorpommern GmbH, beides Beteiligungsgesellschaften der regionalen Sparkassen. „Aber es existiert noch keine große aktive Business Angel-Szene“, sagt Bräuer. Der erste Schritt auf dem Weg zur Professionalisierung mit Baltic Incubate Business Club MV in Rostock sei gemacht. Für Finanzierungsbedarfe von Start-ups ab Series A/B fehlt es jedoch noch an regionalen Angeboten; hier müsse noch komplett auf das Netzwerk der Frühphaseninvestoren beziehungsweise die Fundraising-Aktivitäten der Start-ups gesetzt werden. „Es gibt hier keinen gewachsenen Mittelstand“, schränkt auch Megow ein. Es fehle an Unternehmern, die ihrerseits in Neugründungen investierten. Es würde sich allerdings lohnen. „An den Hochschulen in Mecklenburg-Vorpommern existieren schon heute 15 Studiengänge, in denen etwa künstliche Intelligenz eine wesentliche Rolle spielt“, unterstreicht Megow. Potenzial für Ausgründungen sei also vorhanden – und gerade in und nach Zeiten der Pandemie hätten viele Menschen die Vorteile eines Flächenlandes im Gegensatz zu den Großstädten erkannt. „Nach Corona haben ländliche Räume wieder an Attraktivität gewonnen. Wer sich für Gründen und Unternehmensaufbau in schöner Umgebung interessiert, der ist in Mecklenburg-Vorpommern genau richtig.“
Entrepreneurship an den Hochschulen
Auch in Schleswig-Holstein spielt Entrepreneurship an den Hochschulen eine große Rolle. „Wir erleben eine sehr lebendige Szene mit Neugründungen und begleitenden Akteuren“, erklärt Holger Zervas, Sprecher der Geschäftsführung der MBG Schleswig-Holstein. So sind im Verein StartUp SH insgesamt 28 Partner vereint, darunter Hochschulen, hochschulnahe Einrichtungen, Wirtschaftsförderungen und Wirtschaft, um die Gründungskultur im Bundesland voranzutreiben. Es gibt Gründungswettbewerbe und Initiativen, die die Vernetzung untereinander fördern. Das Co-Working-Angebot hat sich in den letzten Jahren deutlich ausgeweitet. „Der Vorteil liegt in den kurzen Wegen“, erläutert Zervas. „Entscheidungswege sind kurz, die Vernetzung ist hoch, ohne dabei kleinteilig zu sein.“ Ein besonderes Knowhow liegt in Spezialbereichen, etwa in den maritimen Industrien oder in KI-relevanten Bereichen. Aber auch Neugründungen in den Bereichen erneuerbare Energien, Mikrosysteme, Biotechnologie oder Medizintechnik sind in Schleswig-Holstein beheimatet. Gründungspotenzial speist sich auch aus den Fraunhofer-Instituten in Lübeck und Itzehoe oder dem Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. „Auch die Lebensqualität und die Kaufkraft im Bundesland weiß gegenüber anderen Hotspots zu überzeugen“, weiß Zervas. „Ortsunabhängiges Arbeiten in angenehmer Umgebung geht auch bei uns.“ Ähnlich wie in anderen norddeutschen Bundesländern steigt die Bedeutung von Business Angels auch in Schleswig-Holstein. Überregionale Investoren agieren allerdings eher selektiv. „Wir sind nicht Berlin oder München, und das wird auch so bleiben“, fasst Zervas zusammen. Zwar investieren vereinzelt auch ausländische Unternehmen in heimische Start-ups – als ganze Gruppe werden Investoren von jenseits der Grenze bis dato jedoch nicht wahrgenommen.