Bildnachweis: Christian Kielmann.
Disruptiv, digital und megainnovativ treten Start-ups an, Märkte zu revolutionieren, neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln – und schließlich etablierten Unternehmen den Rang abzulaufen. Soweit das Klischee, von dem die erste Hälfte sogar stimmt. Doch dass sie traditionellen Marktteilnehmern – ob groß oder klein – Umsatzanteile streitig machen, ist kein Automatismus und passt auch nicht zur Realität.
Denn beide Gruppen kommen ohne die andere nicht aus. Und so setzen sie seit Jahren auf verschiedene Formen der Kooperation und des Austauschs: Start-ups sind meist schneller, technologiegetrieben, kreativer, bringen neue technische Lösungen, aber auch neue Ansätze des Arbeitslebens mit und sprechen Zielgruppen ganz anders an. Die Etablierten wiederum haben die Erfahrung, Struktur, einen Kundenstamm, Vertriebswege, Netzwerke – und erfüllen je nach Branche die wichtigen regulativen Voraussetzungen.
Etablierte ermöglichen Start-ups
Natürlich treten Start-ups in Wettbewerb mit Großunternehmen und – vor allem in Berlin relevant – Mittelständlern und Kleinunternehmen. Doch nicht weniger wichtig sind Kooperation und Wissenstransfer zwischen Newcomern und Etablierten. Welche Form die Kollaboration annimmt, hängt nicht zuletzt von den finanziellen Möglichkeiten letzterer ab. Konzerne und große Mittelständler, eröffnen – egal wo sie in Deutschland sitzen – ihre Hubs gern in Berlin; etwa das Lufthansa Innovation Hub, die DB mindbox der Deutschen Bahn und die SAP Labs Berlin. Mittelständler und Kleinunternehmen mit weniger breiten finanziellen Schultern finden im Berliner Ökosystem wiederum ein riesiges Netzwerk, in das sie sich für den Know-how-Transfer und Wissensaustausch mit Start-ups einklinken können.
Startup-affinen KMUs bieten sich an der Spree unzählige Plattformen. An den Berliner Zukunftsorten wie Adlershof, Berlin-Buch oder dem EUREF-Campus finden sie hoch-entwickelte Transfer- und Kooperationsnetzwerke, die wiederum eng eingebunden sind in die Cluster der Wirtschaftsförderung des Landes. Die Vielfalt an Partnern, Netzwerken und Kooperationsmöglichkeiten ist europaweit einmalig. Berlins Universitäten, Hochschulen für angewandte Wissenschaften, Privathochschulen und außeruniversitären Forschungs-einrichtungen stehen in engem Austausch mit den Berliner Technologieparks und den vielen forschungsnahen Unternehmen der Hauptstadt. Alle sind hochspezialisiert, das Technologie- und Gründungszentrum FUBIC beispielsweise entsteht in direkter Nachbarschaft zur FU und ist damit integraler Bestandteil eines insgesamt rund 50.000 Quadratmeter großen Innovationsparks. Das IFAF Berlin, das Institut für angewandte Forschung oder das Einstein Centre Digital Future sind weitere Beispiele.
KMU steigern Digitalisierungsgrad durch Start-ups
Kooperationen dort und anderswo fördern ein innovativeres Denken und die Integration risikoreicherer Ansätze in die Geschäftsstrategie von KMUs. Wichtig ist dabei auch die richtige Balance von Distanz und Nähe: denn frische Ideen können nur jenseits der etablierten Strukturen reifen. Gleichzeitig ist ein permanenter Austausch nötig, damit das Wissen transformiert wird. Und zwar nicht nur jenes über Produkte, Dienstleistungen und Geschäfts-ideen, sondern vor allem auch zu neuem Denken, neuer Arbeitskultur, Arbeitsweisen und Abläufen, die Organisationen benötigen, um innovativ und zukunftsfähig zu sein. So entstehen effizientere Lösungen, die für alle attraktiv sind – für Start-ups, ansässige KMUs, strategische Investoren und VC-Gesellschaften.
Damit beide Gruppen voneinander profitieren können, müssen sie die Arbeitsrealitäten der jeweils anderen verstehen. Und dann ergibt sich aus einer Kooperation schnell eine Win-Win-Situation. Eine Erhebung von startupdetector aus dem Jahr 2023 legt offen, dass im zweiten Quartal 2023 die meisten Start-ups in Berlin, Bayern und Nordrhein-Westfalen gegründet wurden. Insgesamt wurden im zweiten Quartal 2023 in Deutschland 692 Startups neu gegründet, davon 147 allein in Berlin.
Mittelständische Unternehmen können in der „Start-up-Hauptstadt“ Berlin durch Start-ups besonders ihren Digitalisierungsgrad steigern. Denn: 41,2 Prozent aller Berliner Start-ups sind laut dem Deutschen Start-up Monitor in der Softwareentwicklung aktiv. Junge Start-up-Unternehmen sind dagegen zu Beginn oft noch nicht rentabel. Sie gewinnen durch die Kooperation mit gut vernetzten, kleinen Mittelständlern Kunden und Partner und erreichen einen deutlich schnelleren Marktzugang. Ein Blick auf die Unternehmensverteilung im Großraum Berlin verdeutlicht: Das Asset der Region liegt in der Anzahl und Vielfalt der kleinen und mittleren Unternehmen. Das unterscheidet Berlin von anderen Wirtschaftsregionen etwa in Bayern und Baden-Württemberg.
In den vergangenen Jahren mit ihren multiplen Krisen hat diese Diversität sicher auch dazu beigetragen, dass die Berliner Wirtschaft besser durch diese Krisen gekommen ist als andere Regionen. Doch gerade mit Blick auf die Vernetzung von Startups und Mittelstand birgt die Kleinteiligkeit der Berliner Wirtschaft auch Herausforderungen. Beide Seiten finden häufig nicht zueinander. Dabei steckt gerade in dieser Symbiose enormes Wachstums- und Innovations-potential. Doch wo es Probleme gibt, gibt es auch jene, die sie lösen wollen: Akteure aus Wirtschaft und Wissenschaft engagieren sich in der Vernetzung von Startups und KMU.
Auch die IHK Berlin ist hier aktiv: In thematischen Fachformaten bringen wir gezielt Startups und KMU zusammen, unser Pitch-Format „Mittelstand trifft Start-ups“ eröffnet konkrete Geschäftsbeziehungen. Davon profitieren beide Seiten – und vor allem der Wirtschafts-standort Berlin.
Über den Autor:
Sebastian Stietzel ist Präsident der Industrie- und Handelskammer zu Berlin.