Bildnachweis: rethink Ventures, Schenker Ventures, F-Log Ventures.
Während die Nachfrage nach Logistik und Mobilität stetig steigt, geht es für den Transportsektor um nicht weniger als die dreifache Transformation: Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Resilienz sind die neuen Leitlinien zukunftsfähiger Wertschöpfungsketten. Gleichzeitig vollzieht sich die Mobilitätswende, die auf die Abkehr von übermäßigem klimaschädlichem Individualverkehr zielt. Innovative Lösungen erhofft sich der gesamte Sektor von technologiegetriebenen Start-ups.
Laut Definition der Bundesvereinigung Logistik (BVL) übernimmt die vielfältige Branche die „ganzheitliche Planung, Steuerung, Koordination, Durchführung und Kontrolle aller unternehmensinternen und unternehmensübergreifenden Güter- und Informationsflüsse“. Was
theoretisch klingt, ist in der Praxis das Schmiermittel zwischen Wirtschaft, Handel und Endverbraucher. Logistik spielt als Schnittstellendisziplin (fast) überall eine Rolle; ohne sie ginge buchstäblich nichts. So hat sie sich – stetig wachsend, außer im Coronajahr 2020 – nach Automobilindustrie und Handel zur drittgrößten Branche in Deutschland entwickelt, mit 319 Mrd. EUR Jahresumsatz und über drei Millionen Beschäftigten (Stand 2022). Daneben sichert sie die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen, sorgt sie doch dafür, dass es sich weiterhin lohnt, in Deutschland zu produzieren und Erzeugnisse von hier aus in alle Welt zu exportieren. Beim jährlichen Logistikranking der Weltbank erzielt Deutschland seit Jahren Spitzenpositionen, wenn es auch zuletzt von Singapur und Finnland vom ersten auf den dritten Platz verwiesen wurde. Für eine leistungsfähige Aufstellung und hohe Infrastrukturqualität spricht auch der 21%-Anteil der deutschen Branche am 1.490 Mrd. EUR starken Logistikmarkt Europas (Stand 2022).
Kundenanforderungen treiben Marktentwicklung
Herausforderungen ergeben sich für die Logistiker daraus, dass die Branchen und Märkte ihrer Kunden stark im Umbruch sind. So verändern Digitalisierung und technische Neuerungen wie künstliche Intelligenz (KI), Robotik oder 3-D-Druck die Wirtschaft und ihre Prozesse rasant.
Trends wie Klimaschutz und Energiewende bewirken ein Umdenken. Neue Regulatorik wie das deutsche Lieferkettengesetz oder die Ausweitung des EU-Emissionshandelssystems auf den Seeverkehr zwingt zum Handeln. Einzelereignisse wie Pandemie, Blockade des Suezkanals und
Ukrainekrieg kommen noch hinzu. „Die Kunden verlangen die zügige Anpassung an ihr sich immer schneller veränderndes Umfeld. Sie erwarten heutzutage Visibilität und Transparenz für ihre Sendungen mit dem Ziel, vom Rohmaterial über Fertigung, Lagerhaltung, Distribution bis zur Retoure strategisch planen zu können, nachhaltige und resiliente Lieferketten zu schaffen und dabei die operative Reaktionsfähigkeit auf ihnen wichtige Faktoren zu behalten“, erklärt Patric Hoffmann, der für den Logistikdienstleister DB Schenker global die Themen Innovation
und Venturing und damit auch die neue Corporate Venture Capital (CVC)-Einheit Schenker Ventures leitet.
Branche verspricht sich innovative Lösungen vom Start-up-Ökosystem
In den rein physischen Material- und Güterströmen kann man die Zukunft bereits erleben – hier sind beispielsweise schon autonome Fahrzeuge, Cargobots und smarte KI-Anwendungen im Einsatz. Daneben geht es aber in der Logistik immer stärker auch um Informationsflüsse
und Datenmanagement. Hoffmann: „Im Zuge der Digitalisierung entstehen schier unbegrenzte Möglichkeiten: Da lassen sich beispielsweise mehr Transparenz schaffen, dezentrale Entscheidungsstrukturen einrichten, technische Assistenten zur Seite stellen und vieles mehr.“ Noch seien logistische Prozesse von Unternehmen zu Unternehmen und Standort zu Standort hochgradig individuell. Mehr Standardisierung sei nötig als Vorstufe zu mehr Digitalisierung. „Um die Zukunft der Logistik digital, transparent, klimafreundlich und kosteneffizient zu gestalten, setzen wir auf das Innovationspotenzial von Start-ups. Dafür verproben wir im Schenker Venture Studio frühphasige Ideen und digitale Geschäftsmodelle und entwickeln neue Ventures. Außerdem investieren wir über unseren Wagniskapitalarm Schenker Ventures mit Ticketgrößen zwischen 500.000 und 5 Mio. EUR.“ Mit Verweis auf Portfoliounternehmen wie Fernride (rüstet Elektrotrucks auf autonomes Fahren um), Volocopter (entwickelt unter anderem Lastendrohnen), Squake (berechnet CO2-Emissionen) und Liefergrün (bietet nachhaltige Versandlösungen) skizziert Hoffmann, was aus Investorensicht attraktiv ist: „Nachhaltige und innovative Logtech-Lösungen, die beispielsweise Transparenz bieten, Routen und Netzwerke optimieren oder alternative Antriebe einsetzen. Wichtig ist außerdem, dass die jungen Unternehmen neben dem Potenzial für beeindruckendes Wachstum auch den Weg zur Profitabilität aufzeigen können. Wir sind fest überzeugt, dass wir in Zukunft branchenprägende Geschäftsmodelle in der Logistik erleben werden, die im Start-up-Ökosystem ihren Ursprung hatten.“
Arbeitskräftemangel und Kostendruck behindern Transformation
Laut Deutschem Startup Monitor 2023 verfolgten zuletzt 5% der dort erfassten Start-ups Marktchancen in den Bereichen Logistik und Mobilität (nach 5,7% im Vorjahr). „Logistik ist keine einfache Branche“, stellt Tanja Rosendahl fest, Geschäftsführerin des 2021 gelaunchten
unabhängigen Venture Capital-Fonds F-Log Ventures. „Der Markt ist zersplittert und konservativ, die Margen sind häufig gering. Zwar haben die Branchenriesen Investitionsdruck,
den vielen kleinen Playern aber fehlen häufig Geld und Knowhow.“ Darüber hinaus notiert die
BVL, dass sich die Unternehmen bei der Transformation hin zu einer digitalen, nachhaltigen und resilienten Lieferkette konstant mit Herausforderungen wie dem Mangel an Arbeits-
und Fachkräften sowie hohem Kostendruck konfrontiert sehen. Die 2015 gegründete Berliner Digitalspedition sennder hat sich dennoch zum Unicorn entwickelt. „Zahlungsbereitschaft
seitens der Kunden besteht, wenn ein Start-up bestenfalls ein echtes Problem löst und eine signifikante Kostenreduzierung erzielen kann“, so Rosendahl, die mit ihrem Team nicht nur Seed- und Series A-Finanzierungen bietet, sondern auch Logistikexpertise aus dem eigenen Branchennetzwerk sowie über den Zugang zum Ankerinvestor Fiege. Ein Erfolgsbeispiel aus ihrem Portfolio ist die Firma Natif, ein Deeptech im Bereich der intelligenten Dokumentenprozessautomation: Dank innovativer KI und einer selbst entwickelten Software können Dokumente schnell und genau analysiert sowie relevante Daten extrahiert werden. Rosendahl: „Die Komplexität administrativer Prozesse ist kein klassisches Logistikthema, aber trotzdem ein gutes Beispiel dafür, wie die Digitalisierung das Handling von heute noch papierhaften Frachtbriefen und Lieferscheinen einschließlich handschriftlicher Ergänzungen verbessern kann.“ Nicht zuletzt ergebe sich auch mit Blick auf den Arbeits- und Fachkräftemangel die Notwendigkeit, logistische Prozesse zu optimieren, bestenfalls zu automatisieren. „Zahlreiche solche Herausforderungen sind bisher nicht ausreichend adressiert. Hier bieten sich gute Marktchancen für Startups!“, so Rosendahl.
Auch Mobilität breites Feld für disruptive Start-ups
Stark im Wandel ist derweil die Mobilität an sich, wobei alternative Antriebe und Digitalisierung die Entwicklung besonders prägen: So erzielen Elektrofahrzeuge immer höhere Reichweiten bei kürzeren Ladezeiten (Elektrifizierung), Fahrzeuge werden zunehmend autonom und mit der Infrastruktur vernetzt (Connected Mobility), Sharing-Modelle stärker genutzt (Shared Mobility). „Jeder dieser Trends ist größer als alles, was in den letzten 70 Jahren insgesamt passiert ist. Und alles passiert gleichzeitig!“, bestätigt Matthias Schanze, Co-Gründer und General Partner der Münchner Risikokapitalgesellschaft rethink Ventures. Auf die zunehmende Dekarbonisierung des Personen- und Güterverkehrs zielend hat sie gerade ihren ersten Fonds, Rethink Mobility I, über 50 Mio. EUR aufgelegt. Die ersten acht Investments sind bereits getätigt. Die thematischen Schwerpunkte liegen dabei auf Mobilität (komfortable, sichere und neue Mobilitätsangebote), Logistik (digitale, automatisierte und nachhaltige Prozesse), neuen Fahrzeugtechnologien und -konzepten (softwarebasiert, autonom betrieben, neue Antriebsstränge) und Energie (Ökosystem für emissionsfreien Verkehr). „Tesla, Airbnb, Enpal und auch sennder beweisen, dass disruptive Innovationen nicht in großen Konzernen entstehen, sondern in gut durchfinanzierten Startups mit außergewöhnlichen Unternehmern. Logistik und Mobilität bieten inhaltlich hierfür ein breites Feld“, ist Schanze überzeugt. „Allerdings findet die Weiterentwicklung der Mobilität im öffentlichen Raum statt – da brauchen Start-ups nicht nur Geld, sondern Zugang zu Industrie, Städten und Nutzern. Neue Lösungen müssen den Menschen in den Mittelpunkt stellen, ihm einen Mehrwert bringen und ihn überzeugen – etwa, indem sie nicht nur sauberer und effizienter, sondern auch bequemer, sicherer oder kostengünstiger sind.“ Etablierten Unternehmen der Logistik und Mobilität rät er, ihre physische Expertise frühzeitig mit dem digitalen Know-how aussichtsreicher Jungunternehmen zu verknüpfen: „Wer in der Start-up-Szene blind ist, ist im Innovationsbereich blind – das kann sich bei gegebenem Wettbewerbsdruck der Industrie heute kein Unternehmen mehr leisten.“