Bildnachweis: Norton Rose Fulbright.
Die Berücksichtigung von ESG-Faktoren hat in den letzten Jahren bei unternehmerischen Entscheidungen im Allgemeinen und bei M&A-Transaktionen im Besonderen erheblich an Bedeutung gewonnen. Diese Entwicklung wird maßgeblich durch den EU Green Deal vorangetrieben, der das ehrgeizige Ziel verfolgt, die Netto-Treibhausgasemissionen in der EU bis 2030 im Vergleich zu 1990 um mindestens 55% zu reduzieren. Dieses primär ökologische Ziel ist Teil eines breiteren Trends: ESG-Betrachtungen werden nicht länger als peripheres Thema angesehen, sondern sind zunehmend zentral für den strategischen Entscheidungsprozess in der Unternehmenswelt.
Die EU-Kommission hat es nicht bei der Verkündung politischer Ziele belassen, sondern treibt deren legislative Umsetzung auf breiter Front massiv voran, um die Transformation zu einer nachhaltigen Unternehmensführung zu gewährleisten. Zwei aktuelle Richtlinien,
die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), lenken diese Veränderung der Unternehmensführung maßgeblich. Es ist zu erwarten, dass sie die Art und Weise verändern werden, wie Unternehmen ihre Strategie definieren.
Gesetzliche Entwicklungen in der EU
Die CSRD regelt die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen in der EU völlig neu und unterwirft sie der Jahresabschlussprüfung. Die Richtlinie soll dadurch Transparenz gewährleisten und Unternehmen dazu bewegen, die Nachhaltigkeit ihres Handelns stärker in den Fokus zu nehmen sowie im Rahmen unternehmerischer Entscheidungen zu berücksichtigen. Die gegenwärtig in der Endabstimmung befindliche CSDDD wird den Fokus auf ESG-Kriterien noch weiter verstärken. Artikel 25 der Richtlinie schreibt demnach eine unmittelbare Verhaltenspflicht der Leitungsorgane vor, wonach Geschäftsführung, Vorstand beziehungsweise Aufsichtsrat stets die kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen (und mithin entsprechend dokumentieren) müssen. Der Druck auf die jeweilige Unternehmensleitung, die regulatorischen Vorgaben konzernweit zu implementieren und ESG-Aspekte direkt oder indirekt in den Vordergrund der Unternehmensstrategie zu stellen, wird nach alledem unmittelbar zunehmen.
Frühzeitige Anpassung der Unternehmensstrategie
Als Reaktion auf diesen Entwicklungsprozess passen daher viele in der EU tätige Unternehmen ihre Strategien proaktiv an. Ein entscheidender Schritt hierbei ist die Einrichtung spezieller Nachhaltigkeitsabteilungen. Diese Teams sind mit der Sammlung relevanter Daten beauftragt und bereiten sich auf Audits und Berichte vor, wie sie die CSRD für das Geschäftsjahr 2024 und darüber hinaus vorschreibt. Dieser Schritt geht über die bloße Einhaltung von Vorschriften hinaus. Vielmehr steht im Vordergrund, das Thema Nachhaltigkeit in den Kern der Unternehmensstrategie zu integrieren. Für die Umsetzung der CSRD führen Unternehmen zudem gründliche interne und externe Analysen durch. Dies umfasst die Definition und Bewertung ihrer Nachhaltigkeitsstrategien, die Identifikation von Stranded Assets, das Festlegen spezifischer Ziele, die Überprüfung des Fortschritts und die Untersuchung ihrer Resilienz gegenüber Klimarisiken. Ein wesentlicher Aspekt dieser Anpassung ist die gebotene Ausrichtung der Geschäftsmodelle auf das Ziel der EU-Taxonomie, Treibhausgasemissionen substanziell zu reduzieren und das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Solche tiefgreifenden Veränderungen in der Unternehmens-DNA erfordern die aktive Beteiligung auf höchster Führungsebene, was einen bedeutenden Wandel in der Funktionsweise und Strategie von Unternehmen voraussetzt.
ESG als Treiber für M&A-Transaktionen
ESG hat sich daher in jüngerer Zeit zu einem starken Treiber für M&A-Transaktionen entwickelt. M&A wird mithin zum Mittel der Wahl, um die neue Nachhaltigkeitsstrategie kurzfristig und nach außen sichtbar umzusetzen. Dabei handelt es sich um einen Trend, der sich heuer noch beschleunigen dürfte. Für Geschäftsleitungen bedeutet dies, dass sie proaktiv ESG-fokussierte M&A-Strategien entwickeln und zielgerichtet umsetzen sollten, um in einem sich schnell verändernden Geschäftsumfeld die Nase vorn zu haben. Auf der Verkäuferseite konzentrieren sich Unternehmen darauf, ihre ESG-Risikoprofile zu reduzieren. Dies beinhaltet beispielsweise den rechtzeitigen Verkauf potenzieller Stranded Assets, um den aktuellen Markt zu nutzen, bevor der Einfluss von CSRD (und CSDDD) auf allen Ebenen spürbar wird. Auf der Käuferseite hingegen verschiebt sich das Ziel hin zu einer schnellen Etablierung und Ausweitung nachhaltiger Geschäftsmodelle. Dies umfasst nicht nur die Verbesserung des eigenen Nachhaltigkeits-fußabdrucks, sondern auch die Stärkung der Governance-Strukturen und den strategischen Rückzug aus Märkten, die möglicherweise nicht den kommenden CSDDD-Anforderungen entsprechen.
Gesonderte ESG-Prüfungen in der Due Diligence
Neben der strategischen Bedeutung wirken sich ESG-Kriterien zunehmend auch auf die Art und Weise der Umsetzung von M&ATransaktionen aus. Mit Finanzierungsinstrumenten wie Green Bonds und ESG-verknüpften Darlehen beeinflusst das Thema Nachhaltigkeit unmittelbar die Unternehmensfinanzierung beziehungsweise die Akquisitionsfinanzierung. Aus Sicht des Risikomanagements ist die Einhaltung von ESG-Vorgaben zudem zu einem essenziellen und kritischen Bestandteil der Due Diligence geworden. So sind gesonderte, spezifische Prüfungen von ESG-Kriterien im Rahmen der Due Diligence mittlerweile gängige Praxis und werden regelmäßig zur Bewertung potenzieller Chancen und Risiken herangezogen. Die Bedeutung wird durch den anhaltenden Trend des europäischen Gesetzgebers verstärkt, die Höhe etwaiger Geldbußen bei Verstößen gegen die gesetzlichen Vorgaben am weltweiten Konzernumsatz auszurichten. Die Non-Compliance von gesetzlich zwingend vorgeschriebenen ESG-Vorgaben kann somit zu erheblichen finanziellen Schäden führen und einen dauerhaften Reputationsverlust nach sich ziehen. Ein weiterer Fokus im Rahmen der Due Diligence liegt dabei auf dem Thema Greenwashing – also der Praxis, irreführende beziehungsweise falsche Behauptungen über die Nachhaltigkeit der Produkte oder Dienstleistungen eines Unternehmens aufzustellen. Eine detaillierte Analyse der ESG-Praktiken der Zielgesellschaft ist für die Käuferseite daher ebenfalls essenziell, um sich keine Greenwashing-Vorwürfe gegen die Zielgesellschaft einzukaufen. Wie bei anderen im Rahmen der Due Diligence identifizierten Risiken auch ist es entscheidend, diese im Kaufvertrag entsprechend zu allokieren und zu adressieren (als Garantie, Freistellung, Covenant et cetera).
Ausblick
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass ESG-Kriterien bereits jetzt zunehmend die Landschaft von M&A-Transaktionen in Europa prägen. In Zukunft wird sich dieser Trend aufgrund von zahlreichen Regulierungsvorhaben der EU noch weiter verstärken. Die wachsende Bedeutung von ESG erfordert von den Unternehmen mehr, als lediglich „compliant“ zu sein – vielmehr sollten ESG-Kriterien proaktiv und zielgerichtet in die künftige Unternehmensstrategie integriert werden. Die Geschäftsleitungen sind daher angehalten, sich frühzeitig mit allen Facetten von ESG auseinanderzusetzen.
Über den Autor:
Dr. Maximilian Findeisen ist Rechtsanwalt im Bereich Corporate/M&A und Partner bei Norton Rose Fulbright in Düsseldorf. Er berät Mandanten bei komplexen Transaktionen, meist mit internationalen Bezügen.