Generative AI reicht weit über den aktuellen Boom hinaus

Investmenttrend Künstliche Intelligenz

Tom Villinger (D11Z. Ventures), Martin Kaelble (informed), Björn Lang (TechVision Fonds), Ludwig Ensthaler (468 Capital) & Florian Schweitzer (b2venture)
Tom Villinger (D11Z. Ventures), Martin Kaelble (informed), Björn Lang (TechVision Fonds), Ludwig Ensthaler (468 Capital) & Florian Schweitzer (b2venture)

Bildnachweis: D11Z. Ventures, informed, TechVision Fonds, 468 Capital, b2venture.

Der Durchbruch von ChatGPT hat auf dem Venture Capital-Markt einen neuen Höhenflug ausgelöst. KI ist zum Must-have für Investoren geworden. Doch reicht der Trend über einen kurzen Hype hinaus? Besonders bei industriellen Anwendungen und der Hardware bis hin zur Energieversorgung sehen Experten auch für die Zukunft große Chancen.

„Das KI-Thema hat auf jeden Fall die Stimmung im Venture Capital-Bereich deutlich aufgehellt“, konstatiert Ludwig Ensthaler, Partner des Venture Capital-Hauses 468 Capital. „Hier stecken viele Möglichkeiten für Start-ups und Investoren, und das hat vor allem seit letztem Jahr viel Schwung in den Markt gebracht.“ Und das sogar entgegen dem allgemeinen Abwärtstrend, der in den vergangenen zwei Jahren den Markt belastet hat. Während die globalen Start-up-Finanzierungen zwischen 2021 und 2023 um 57% gesunken sind, stiegen nach den Zahlen des Startup-Verbands die Investitionen in den GenAI-Bereich um 363% auf 22,3 Mrd. EUR. Allein in Deutschland sind danach im vergangenen Jahr 341 Start-ups mit KI-Bezug gegründet worden – ein Anstieg um 67% gegenüber dem Vorjahr. Und das könnte erst der Anfang sein: Bloomberg prognostiziert dem globalen GenAI-Markt weiterhin ein jährliches Wachstum um 46% auf 1,3 Bio. US-Dollar im Jahr 2032.

KI wird als eigenes Thema verschwinden

Der rasante Boom erinnert ein wenig an den Dotcomhype um die Jahrtausendwende, bei dem alles, was mit dem Internet zu tun hatte, an der Börse senkrecht durch die Decke ging. Kurz darauf folgte der Crash, und die meisten Internet-Start-ups verschwanden von der Bildfläche. Florian Schweitzer, Gründer von b2venture, attestiert dem Markt nun eine KI-Blase. „Sie wird wahrscheinlich platzen. Viele der großen, hoch bewerteten ‚KI-Labs‘ werden untergehen und Milliarden abgeschrieben werden müssen“, befürchtet er. Welche Unternehmen sich dann nach dem Platzen der Blase durchsetzen werden, sei noch völlig unklar. Gewisse Parallelen zur Dotcomblase betont auch Björn Lang, Partner des TechVision Fonds (TVF). „Es gibt extrem viele KI-Trittbrettfahrer und Investoren, die zu viel Druck und zu wenig Sachkenntnis haben und blind ‚in KI‘ investieren“, beobachtet er. „Den wenigsten wird es gelingen, in das neue Nvidia oder das neue OpenAI zu investieren.“ Eine Konsolidierung auf dem Markt werde noch kommen, aber KI werde sehr schnell „in die absolute Breite des wirtschaftlichen und privaten Lebens vordringen“. Auf kurze Sicht rechnet er damit, dass KI alle Tätigkeiten, „die mit Sprache gut abbildbar sind“, ersetzen wird: Service, Bildung, Call Center, Vertrieb, Beratung und mehr. „In diesen Bereichen wird KI schnell einen sehr großen Impact haben – das bietet Investitionsmöglichkeiten.“ Auf wesentlich längerer Perspektive sieht er KI-Investitionen für Einsätze in der physischen Welt, Robotik für nicht repetitive Prozesse. Ganz weit hinten siedelt er den vollautonomen PKW-Verkehr an.

Enormer Bedarf im Mittelstand

Tom Villinger, CEO des Family Office D11Z. Ventures, erwartet ebenfalls, dass KI als eigenständiges Investmentthema in den kommenden Jahren wieder verschwinden wird. „KI wird dann integraler Bestandteil in allen Sektoren sein und keine Besonderheit mehr.“ Trotz des aktuellen Höhenflugs bei den Bewertungen zweifelt er, ob es sich „um einen echten Hype“ handelt. „Es befindet sich international weiterhin hohe Liquidität im Markt: Während der COVID-Phase wurden circa 650 Mrd. USD in Venture Capital- und Private Equity-Fonds investiert. Dieses überschüssige Kapital treibt die Bewertungen in die Höhe, da die Fonds um Investitionen konkurrieren.“ Mit seinem Family Office bevorzugt Villinger Start-ups, die spezielle Anwendungen entwickeln. Der enorme Bedarf der mittelständischen Unternehmen an KI-Lösungen stimmt ihn hoffnungsvoll. Um im internationalen Wettbewerb gegenüber China und den USA mithalten zu können, käme der Mittelstand nicht an innovativen KI-Lösungen vorbei, meint er. TVF-Manager Lang sieht neben der Softwareentwicklung zwei weitere Bereiche, die für die breite Durchdringung der KI essenziell seien: Hardware und Energie – riesige Mengen an superschnellen Hochleistungsrechnern, Immobilien für neue Rechenzentren, komplementäre Infrastruktur und elektrische Energie im großen Umfang.

Steigender Bedarf an Hardware, Energie und Immobilien

So erwartet Nvidia-Chef Jen-Hsun Huang, dass in den kommenden vier bis sechs Jahren Computer im Wert von 2 Bio. USD durch schnelle Hochleistungsrechner ersetzt werden müssen. Der Immobiliendienstleister JLL sieht auch seine Branche als künftigen Profiteur. In der JLL 2023 Global Real Estate Technology Survey schreiben die Analysten: „Leistungsfähige Hardware, Kühlungsmöglichkeiten, verlässliche Energieversorgung, belastbare Hochgeschwindigkeits-netzwerke, Cloudinfrastruktur und ausreichend Speichermöglichkeiten benötigen viel Platz – und die Nachfrage nach entsprechenden Flächen wird angesichts der wachsenden Bedeutung von KI noch weiter zunehmen.“ Das intelligente Gebäude mit KI-kompatibler Infrastruktur werde zur Normalität werden. „Der Bedarf an Strom für KI-Anwendungen wird zumindest in der Breite noch weit unterschätzt“, ergänzt TVF-Manager Lang. Deshalb sieht er auch große Chancen für Investments in „Alles-rund-um-Energiequellen“, zu denen auch die Kernenergie gehöre – außer in Deutschland. Der allgemeine Durchbruch von GenAI-Anwendungen dürfte für die Energiewirtschaft wohl noch einige Herausforderungen bereithalten. So prognostiziert eine Studie an der Universität Amsterdam einen weltweiten Anstieg des KI-bezogenen Stromverbrauchs um jährlich 85 bis 134 Terawattstunden bis 2027 – eine Größenordnung, die sich mit dem Gesamtverbrauch von Ländern wie Schweden, Argentinien oder den Niederlanden vergleichen lässt.

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Foundational Models fordern Nerven

KI-Systeme zur Energieoptimierung in der Produktion wie auch für Gebäude sind bereits auf dem Vormarsch und dürften den Erwartungen zufolge gute Chancen für Investoren bieten. Der Bedarf scheint zweifelsfrei vorhanden. KI ermöglicht immer wieder neue Einsatzfelder. Das Start-up informed baut KI-Lösungen für Verlage und andere Firmen, die mit Content arbeiten. Dabei automatisiert informed zum Beispiel repetitive Aufgaben im redaktionellen Prozess oder hilft bei der Conversion-Optimierung für das Subscription-Geschäft. „Technisch ist die Entwicklung so rasant, dass es sehr schwer ist, seriöse Prognosen für fünf Jahre im tiefen Detail zu machen“, sagt Martin Kaelble, Co-Gründer des Informationsportals Informed. „Aber wie auch damals beim Hype rund um die Digitalisierung wird es sich bei KI in fünf Jahren nach einer Boomphase vermutlich alles sehr viel mehr sortiert haben.“ Vielleicht aber folgten bis dahin wieder ganz neue Entwicklungsstufen, mutmaßt b2venture-Chef Schweitzer. „Das Potenzial von KI ist atemberaubend.“ Als Investor schätzt er aktuell zumindest ein KI-Feld als besonders kritisch ein: „Für Wetten im Bereich Foundational Models braucht man Nerven wie Drahtseile, muss Industriepolitik mit Politikern machen wollen und können oder einen Partner haben, der bereit ist, ein paar Milliarden zu investieren, wie es Microsoft mit OpenAI macht.“ Einfacher seien Investitionen in KI-Tools und KI-Anwendungen auf den Ebenen darüber, „wo wir sehr vielversprechende Investments wie in Neptunes aus Polen getätigt haben“.

Ausblick

Eines steht zumindest fest: KI bestimmt zurzeit die Märkte wie kaum ein anderes Thema. Und einiges deutet darauf hin, dass der Trend bereits sehr heiß gelaufen ist. Doch über die aktuelle Welle hinaus dürfte er auch langfristig bedeutsam sein, schätzt Kaelble: „Die nächsten fünf Jahre werden nicht nur technologisch, sondern auch aus Investmentperspektive sehr entscheidend werden. Es formen sich jetzt die Strukturen eines der zentralen Backbones der Wirtschaft der Zukunft.“

Der Beitrag wurde von Rainer Kreuzer verfasst.