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Corporate Venture Capital in Deutschland ist erwachsen geworden. Die globale Wirtschafts-entwicklung in den vergangenen beiden Jahren macht sich zwar bemerkbar, hat aber keinen grundsätzlichen Rückzug strategischer Investoren ausgelöst. Stattdessen hat sich die Szene weiter professionalisiert. Zu wichtig ist für Unternehmen jeder Größenordnung der Zugang zu frischen Ideen und technologischen Innovationen.
In den Anfängen war Corporate Venturing bekanntlich ein eher zyklisches Unterfangen: Liefen die Geschäfte gut, investierten etablierte Unternehmen in aussichtsreiche Jungunternehmen; kam aber eine Krise, zog man sich schnell zurück. Heute suchen Unternehmen unabhängig von Konjunkturzyklen die Zusammenarbeit mit den innovationsstärksten Start-ups, um sich im dynamischen globalen Wettbewerb behaupten und differenzieren zu können. So hat sich die Corporate Venture Capital-Szene im Zuge der dramatischen Abkühlung des Risikokapitalmarkts seit 2022 als robust erwiesen: Zwar ist die Zahl der strategischen Investoren gegenüber dem Rekordjahr 2021 deutlich zurückgegangen – dennoch lag ihr Anteil am weltweit eingesammelten Risikokapital laut CB Insights zuletzt bei 22%. In Europa sitzen Corporates laut dem Analysedienst Dealroom derzeit bei gut einem Viertel aller Start-up-Finanzierungen mit am Tisch. Für Deutschland weist der startupdetector report 2023/24 für das Jahr 2023 insgesamt 408 aktive Unternehmen aus (2022: 457; 2021: 652), die sich bei 576 Transaktionen (2022: 577; 2021: 844) in der Innovationslandschaft engagiert haben, allen eigenen Herausforderungen zum Trotz. So kamen laut CB Insights im vergangenen Jahr in den USA 55,1 Mrd. USD und in Europa 10,7 Mrd. USD durch Corporate Venture Funding zusammen. In Deutschland lag der Wert 2023 demzufolge bei 1,3 Mrd. USD.
Corporate Venture Capitalists können Start-ups mehr bieten als Kapital
Das klassische Instrument, um die Innovationskraft von Start-ups für den Mutterkonzern zu erschließen, ist die Direktinvestition über das eigene Corporate Venture Capital-Vehikel. Dr. Dieter Kraft, Geschäftsführer der Trumpf Venture II GmbH, skizziert den Markt aus dieser Perspektive: „Während sich die Markterholung in Deutschland verzögert und das Exit-Fenster noch nahezu geschlossen ist, sind wir alle zum Sparen gezwungen: Corporate Venture Capitalists allokieren aktuell vorsichtig, das Neugeschäft pausiert; Priorität hat meist die Zusammenarbeit mit den Portfoliounternehmen.“ Gleichzeitig biete die schwierige Situation eine Chance: „Dank der Nischenexpertise unserer Kernorganisation können wir Start-ups aktuell mit Know-how und Assets besser zu Wachstum verhelfen, als es vermutlich das reine Finanzkapital der Venture Capitalists vermag. Außerdem unterstützen wir – teils auch in Form von Darlehen – aufgrund unseres strategischen Interesses oft noch dort, wo sich traditionelle Finanzinvestoren zurückziehen müssen.“ Seit ihrer Gründung im Jahr 2016 hat die eigenständige Corporate Venture Capital-Einheit der Trumpf-Gruppe mehr als 20 Mal als Minderheitsgesellschafter investiert, in diesem Jahr erst einmal: Gemeinsam mit LBBW Venture Capital, Futury Capital und EquityPitcher Ventures hat Trumpf Venture eine Series A-Runde über 10,4 Mio. USD für den industriellen 3-D-Spezialisten Threedy aufgelegt. „Gute Ideen allein reichen für Start-ups heute nicht mehr aus – Investoren lassen sich nur mit glaubwürdigen Businessplänen und der kurzfristigen Aussicht auf Profitabilität überzeugen. Die Risikobereitschaft ist gering, die Finanzierungsvolumina und Ticketgrößen sind geschrumpft, die Bewertungen sowieso. Lead-Investoren sind kaum noch zu finden“, sagt Kraft. Dennoch steht für ihn fest: „Die Zeit der Closed Innovation in Konzernen ist endgültig vorbei. Wer Innovationsführer werden oder bleiben will, muss Corporate Venturing betreiben. Nur Open Innovation kann echte Wachstumsfelder für den Mutterkonzern erschließen – Start-ups sind schneller und erfolgreicher, wenn es um große Innovationssprünge geht.“
Im Syndikat fällt die Frühphasenfinanzierung leichter
Die Verflechtung mit dem traditionellen Risikokapitalsektor steigt derweil stetig: Immer häufiger investieren Corporate Venture Capitalists indirekt in Start-ups, indem sie Venture Capital-Fonds finanzieren. „Zu unseren Investoren gehören zahlreiche mittelständische Unternehmen, Familienunternehmen und Konzerne. Wir bieten ihnen Zugang zu einem breiten Spektrum innovativer Startups und Technologien, Einblicke in den Dealflow und Kontakte in unser internationales Netzwerk“, erklärt Dr. Tanja Emmerling, Partner beim High-Tech Gründerfonds (HTGF) und Leiterin der Berliner Dependance, die Attraktivität dieser Spielart. Seit seinem Bestehen hat der Frühphaseninvestor über 750 Hightech-Unternehmen finanziert, mehr als 2.000 Finanzierungsrunden begleitet und über 180 Beteiligungen erfolgreich verkauft oder an die Börse gebracht. Seine Fondsvolumina und den Anteil privater Investoren konnte er deshalb über die Jahre steigern, während allgemein die Zahl der Fundings in Deutschland vor allem in der Frühphase laut startupdetector report 2023/2024 zuletzt stetig abgenommen hat. Insgesamt 45 private Investoren weist der 2022 mit fast 500 Mio. EUR gestartete HTGF IV neben dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und KfW Capital aus. Die Mehrheit davon sind marktführende Mittelständler wie Dräger oder Hettich, doch auch Großkonzerne wie SAP und DHL gehören dazu. „Deren Investmentfokus, Zielmatrix, organisatorische Aufstellung und Spielregeln der Zusammenarbeit mit der Muttergesellschaft variieren teilweise erheblich – einen Corporate Venture Capital-Standard gibt es nicht“, berichtet Emmerling. „Allen gemeinsam ist der Transformationsdruck, der zu erheblichem Innovationshunger führt. Als einzelner Player kann man da schnell überfordert sein.“ Bemerkenswert sei die erhebliche Professionalisierung der Szene. „Bei unseren Fondsinvestoren treffen wir heute durchweg auf erfahrene Professionals mit umfassendem Investment-Know-how. Das ist überaus wichtig: Corporate Venture Capitalists werden zwar aus strategischer Sicht aufgestellt, um aber – auch gegenüber Gründerinnen und Gründern – erfolgreich zu sein, muss nach den Regeln des Venture Capital-Markts gespielt werden“,
so Emmerling.
Corporate Venturing kann auch in der Rolle des Kunden gelingen
Der Premiumautomobilhersteller Audi nutzt das Venture Client-Modell, um externe Innovationen zu erschließen und ihre Integration in die komplexe Konzernwelt voranzutreiben: Statt eine Beteiligung anzustreben, wird das Unternehmen Kunde von Start-ups. So kann es zukunftsweisende Produkte und Lösungen testen – schnell, risikoarm und kosteneffizient. Umgekehrt profitieren die jungen Tech-Pioniere von ersten Umsätzen bei Weiterentwicklung und Anwendung ihrer Innovationen unter Marktbedingungen. „Unsere Fähigkeit, neue Technologien schnell und wertschöpfend zu nutzen, entscheidet über Marktführerschaft oder Stagnation. Die Zusammenarbeit mit Start-ups ist deshalb für uns essenziell: Entwicklung, Produktion und Vertrieb greifen über eigene Innovationsbereiche Ideen aus dem Markt direkt auf“, erzählt Richard Bochmann, Venture Manager der A4nXT GmbH, die Ende 2020 als 100%ige Audi-Tochter gegründet wurde. „Wir optimieren diesen Prozess: Passend zu einer bestimmten Herausforderung scoutet A4nXT Start-ups aller Branchen weltweit und vernetzt die aussichtsreichsten mit den Fachbereichen, um Pilotprojekte anzustoßen. Inhaltlich geht es häufig um die stärkere Differenzierung vom Wettbewerbdurch innovative Produkte und Services, aber auch um die effektive Nutzung von Ressourcen und ein optimiertes Kundenerlebnis sowie Prozessoptimierung in allen Unternehmensbereichen.“ Ist ein Pilot erfolgreich, wird die Überführung in den Serienprozess gestartet und das Venture Client-Modell zur langfristigen Geschäftsbeziehung ausgebaut. „Auch hierbei unterstützt A4nXT das Start-up aktiv bei der Integration in die Systeme und Prozesse der Audi AG“, erzählt Bochmann. Jüngstes Beispiel: Jüngstes Beispiel einer solchen durch die A4nXT initiierten Kooperation ist die Zusammenarbeit Audis mit dem Start-up Tolltickets, wodurch dem Kunden für europäische Autobahnen eine automatische Mautabwicklung angeboten wird.
Austausch zwischen allen Stakeholdern des Ökosystems essenziell
„Nachdem es vor einigen Jahren populär war, Teil eines Accelerators zu sein oder einen eigenen zu betreiben, setzen viele Unternehmen heute auf offene Innovationsplattformen, wie wir sie hier in Heilbronn anbieten“, berichtet Oliver Hanisch. Als CEO von Campus Founders leitet er seit 2019 den Hub für Start-ups und Co-Innovation auf dem Bildungscampus der Dieter Schwarz Stiftung. Das Ziel: Start-ups beim erfolgreichen Markteintritt zu begleiten und hierfür die Akteure des Start-up-Ökosystems zusammenzubringen. „Der frühe und kontinuierliche Austausch bietet allen Beteiligten eine steile Lernkurve, Möglichkeiten der Zusammenarbeit, Pilotprojekte und Kapital aus dem erweiterten Netzwerk und damit beschleunigte Innovationsprozesse – risikoarm und kosteneffizient“, erzählt Hanisch. Mit der Campus Founders Ventures GmbH investiert er selbst Seite an Seite mit Unternehmern, Business Angels und institutionellen Investoren. „Auch das Angel-Investment einer Unternehmerfamilie kann entfernt als Corporate Venture betrachtet werden“, so Hanisch. Aus seiner Sicht ist die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Startups zwingend. „Beispielsweise macht es die rasante Entwicklung im Bereich Künstliche Intelligenz derzeit für viele Unternehmen fast unmöglich, aus eigener Kraft Schritt zu halten. Die internen Abteilungen haben oft weder die Ressourcen noch die Expertise dafür. Auch ist es ihnen kaum möglich, die besten Köpfe für KI zu rekrutieren – dafür ist der Wettbewerb zu groß. Dennoch stehen sie vor der Herausforderung, das eigene Geschäftsmodell in immer kürzerer Zeit neu auszubalancieren. Umgekehrt brauchen auch KI-Start-ups die Erfahrung und Ressourcen der etablierten Unternehmen, um den Sprung in den Markt zu schaffen.“ Ein Beispiel für die Win-win-Situation, die durch Austausch und Partnerschaft entstehen kann, ist die erst 2020 gegründete Iuna AI mit Sitz in Heilbronn: Auch dank der frühen Unterstützung durch Campus Founders kommt ihre auf Deep Learning basierende Entwicklung heute bereits bei Audi zum Einsatz – ihre Bildverarbeitungssoftware und Kamerasysteme automatisieren die manuelle Inspektion und Qualitätssicherung in der Produktion.
Professionalität entscheidet über Zugang zu relevantem Dealflow
Mit dem Blick des Finanzinvestors betrachtet Christian Teichmann die Szene. „Die Übertreibungen von 2021 sind vom Markt, aber Qualität setzt sich weiter durch – gute Start-ups mit innovativen Produkten und klarer Differenzierung finden Finanzierungen, sie lassen sich auch weiter verkaufen“, sagt der CEO von Burda Principal Investments (BPI), der frei von strategischen Vorgaben der Konzernmutter Hubert Burda Media in wachstumsstarke Digitalunternehmen aus dem Technologie- und Medienbereich investiert. „Wir verfolgen eine Anreizstruktur wie ein institutioneller Investor. Unsere Aufgabe ist es, langfristiges Wachstum und Kapitalrenditen zu erzielen und damit die Zukunft des Konzerns zu sichern, wie andere Burda-Einheiten auch.“ Der 2015 gegründete Investmentarm hat seitdem gut 500 Mio. EUR unter anderem in ein Portfolio erfolgreicher Internetunternehmen in Europa, den USA und Asien investiert. Dazu gehören Marktplätze und Plattformen wie Etsy, Vinted oder Carsome. „Wer heute als Corporate Venture Capitalist erfolgreich sein will, braucht die Unterstützung seines Vorstands oder Eigentümers, muss langfristig am Markt aktiv sein und mit einem Fokus auf den ROI sein Interesse an einer erfolgreichen Skalierung der Start-ups unter Beweis stellen“, weiß Teichmann. „So aufgestellt, stehen die Chancen gut, von Gründern und Investoren als verlässlicher Partner wahrgenommen zu werden und Zugang zu relevanten Deals in interessanten Branchen wie KI, Cybersecurity oder Energy zu erhalten.“ So wie bei der Series B-Finanzierung von Aleph Alpha im November 2023: Mehr als 500 Mio. USD konnte der führende deutsche Entwickler von generativer KI von einem breiten Konsortium einsammeln, dem neben BPI auch Bosch Ventures, Unternehmen der Schwarz-Gruppe und SAP angehören. Teichmann: „Die Weltwirtschaft ist im Umbruch, aber das Innovationspotenzial in Deutschland groß, auch dank der vielen gründungsorientierten Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Bestenfalls frei von Fondsstrukturen und Haltefristen können deutsche Corporates den Start-ups wichtige Mehrwerte für Wachstum und Skalierung bieten. Die Bedeutung des Corporate Venture Capitals für die deutsche Finanzierungslandschaft wird daher weiter zunehmen.“