Schlechte Stimmung trotz guter Zahlen

Life Sciences

Klaus Ott (BIO Deutschland) & Gabriele Klingner (BioM)
Klaus Ott (BIO Deutschland) & Gabriele Klingner (BioM)

Bildnachweis: BIO Deutschland, BioM, VentureCapital Magazin, Pexels.

Mit der Coronapandemie haben Start-ups in der Life Sciences-Branche einen berauschenden Höhenflug erlebt. Jetzt herrscht Katerstimmung; miese Geschäftsaussichten, hohe Energiekosten und drohender Personalabbau werden beklagt. Doch die Investitionen sind gestiegen – und ebenso die Zahl der Unternehmen und Beschäftigten.

Der Branchenverband BIO Deutschland zeigt sich alarmiert über die getrübte Stimmung in den Unternehmen. „Rund 29% gaben an, ihre aktuelle Geschäftslage sei schlecht“, heißt es in der Auswertung der Trendumfrage für die Biotech-Industrie 2024. Es sei schwer, qualifiziertes Personal zu finden, aber dennoch hätten 14,5% der befragten Unternehmen vor, Personal abzubauen – dreimal so viele wie ein Jahr zuvor.

10% mehr Ausgaben in Forschung und Entwicklung

Doch die Finanzierungen sind längst nicht so mies wie die Stimmung. „Trotz angespannter globaler Finanzierungslage ist es der deutschen Biotechnologie-Industrie gelungen, mit rund 1,08 Mrd. EUR etwas mehr Kapital einzusammeln als im Jahr davor“, berichtet der Verband. Positive Daten liefert auch der German Biotechnology Report 2024 von EY: „Während die Anzahl der Unternehmen um 3% auf 996 leicht anstieg, wuchs die Belegschaft um starke 10% und überschritt die Marke von 60.000 Personen.“ Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung seien im vergangenen Jahr um 10% auf 4,4 Mrd. EUR geklettert. Doch die Umsätze sind 2023 um 51% auf 12,7 Mrd. EUR eingebrochen – „hauptsächlich aufgrund der gesunkenen Nachfrage nach COVID-19-Impfstoffen“, bemerkt Klaus Ott, Leiter des Marktsegments Life Sciences und Gesundheitswesen bei EY. Im Vergleich zu 2019 stellt dies dennoch einen Zuwachs um 24% dar.

Großes Wachstumspotenzial in der medizinischen Anwendung

In der Branche hofft man laut BIO Deutschland bereits auf eine Trendumkehr auch bei der Stimmung. Gabriele Klingner, Sprecherin der bayerischen BioM Biotech Cluster Development GmbH, sieht aktuell besonders in den Bereichen Biotechnologie, personalisierte Medizin und künstliche Intelligenz großes Wachstumspotenzial. „Die Entwicklung von personalisierten Immuntherapien, Gentherapien, mRNATechnologien und Zelltherapien hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht und wird die medizinische Versorgung sicherlich weiterhin nachhaltig verändern.“ Gewisse Hürden beklagt sie bei den regulatorischen und bürokratischen Anforderungen bei der Zulassung von neuen Therapien und der Durchführung klinischer Studien in Deutschland. „Die regulatorischen Prozesse könnten noch agiler und innovationsfreundlicher gestaltet werden“, wünscht Klingner.

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Frühphasenfinanzierung in der Krise

Trotz steigender Investitionen und guter Geschäftszahlen bleibt ein Segment der Branche im Keller: die Frühphasenfinanzierung von Start-ups. So wurde laut EY im vergangenen Jahr in der Frühphase der Gründungen die geringste Kapitalsumme der vergangenen sechs Jahren eingesammelt. „Insgesamt gab es 18 Investitionsrunden in der Frühphase; das durchschnittliche Transaktionsvolumen schrumpfte auf 11 Mio. EUR und lag damit deutlich unter dem Sechsjahresdurchschnitt von 21 Mio. EUR“, bilanziert Ott. Und zum zweiten Mal in Folge habe es in der deutschen Biotech-Branche keinen Börsengang gegeben. Die letzten zehn IPOs seien allesamt an der NASDAQ erfolgt. „Dieser Trend ist besorgniserregend, da Börsengänge ein unverzichtbarer Bestandteil eines funktionierenden Finanzierungszyklus sind“, konstatiert Ott. BIO Deutschland sieht als einen Grund für die schwierige Finanzierungssituation die Restriktionen, die für viele institutionelle Investoren gelten. Diese dürften nur sehr begrenzt in risikobehaftete Assetklassen investieren. Die gemeinsame WIN-Initiative aus Bundesregierung, KfW, Finanzwirtschaft und Akteuren aus dem Start-up-Ökosystem will nun die Innovationsfinanzierung in Deutschland stärken. Die teilnehmenden Unternehmen haben angekündigt, bis 2030 rund 12 Mrd. EUR in die weitere Stärkung des deutschen Venture Capital-Ökosystems zu investieren.

Food-Innovation – Ein neuer Trend für Investoren

In diesem Jahr erzielte die Branche bereits beachtliche Erfolge. So konnte das bayerische Start-up Tubulis im März bei einer Series BFinanzierungsrunde 128 Mio. EUR einsammeln. CatalYm schloss im Juli eine Finanzierung von 150 Mio. EUR ab. Bis Ende September wurden nach den aktuellen Zahlen von EY in diesem Jahr bereits 809 Mio. EUR Venture Capital in die Biotechnologiebranche investiert. Hinzu kommen 813 Mio. EUR durch Kapitalerhöhungen an der Börse. Damit wurde das gesamte Finanzierungsvolumen aus dem vergangenen Jahr bereits innerhalb von nur neun Monaten um über 50% getoppt. Nicht nur die vielversprechende Biotechnologiebranche lockt wieder mehr Investoren an, auch neuartige Nahrungsmittel beflügeln zunehmend die Hoffnungen. So hat das Berliner Start-up Formo erst im September bei seiner großen Series B-Runde 53 Mio. EUR eingesammelt. Seine veganen Käseersatzprodukte werden bereits bei REWE gehandelt. Infinite Roots in Hamburg erhielt im Januar 54 Mio. EUR und hat Lebensmittelprodukte auf Pilzbasis entwickelt. Während 2021 die Investitionen in Food-Innovation-Start-ups nur bescheidene 42 Mio. EUR erreicht hatten, kletterten sie nach der Statistik von EY in diesem Jahr bereits auf 149 Mio. EUR. Life Sciences und Biotechnologie bieten offenbar große Chancen für zahlreiche Einsatzfelder. Mit der Weiterentwicklung von KI-Anwendungen dürften die Erfolge künftig noch zulegen.