Der Blick richtet sich wieder auf die Zukunft
„Die letzten drei Jahre waren die wohl mühsamsten in der europäischen Venture Capital-Szene“, sagt Rolf Mathies, Managing Partner bei Earlybird, „dieses Jahr ist das erste, in dem man wieder in Ruhe arbeiten kann.“ Nach den von schwierigen Anschlußfinanzierungen, Totalabschreibungen und einer harten Konsolidierung der Investoren-Szene geprägten Vorjahren beginnt man bei Earlybird, den Blick wieder in die Zukunft zu richten und nach neuen Investitionsmöglichkeiten Ausschau zu halten. „Nur die IPO-Märkte funktionieren in Europa, speziell in Deutschland, aufgrund der unverändert hohen Risikoscheu der Investoren noch nicht“, nennt Mathies das verbleibende Problem der Branche.
Zufriedenstellende Bilanz
Earlybird hat mit den bis 2001 aufgelegten drei Fonds rund 300 Mio. US-$ unter Verwaltung. Zehn Investment Professionals betreuen die knapp 30 Portfolio-Unternehmen aus den Branchen Informations- und Kommunikationsindustrie sowie Biotechnologie und Medizintechnik. Mit der Bilanz der ersten beiden Fonds ist Earlybird durchaus zufrieden. Im April dieses Jahres wurde die Beteiligung an der element 5 AG, einem führenden Anbieter von elektronischer Software-Distribution an Digital River, den börsennotierten Marktführer in den USA verkauft. Digital River bezahlte 120 Mio. US-$ in bar; die VC-Investoren Earlybird, 3i und IKB Private Equity konnten ihr Investment damit verfünffachen. „Die übrigen Investments sind größtenteils profitabel und wachsen mit 30 bis 40 % pro Jahr, so daß wir auf den Exit warten können“, gibt sich Mathies gelassen und zuversichtlich. Insbesondere für die Biotech-Investments ist aber das Wiedererwachen des IPO-Marktes unverzichtbar, um attraktive Renditen zu erzielen. „Biotechnologie-Unternehmen brauchen auch bei Erreichen der Börsenreife noch Geld. Das wissen die strategischen Käufer und zahlen keine attraktiven Preise, wenn sie als Abnehmer nicht in Konkurrenz zur Börse stehen.“
Anpassung des Investmentansatzes
Im dritten, mit 225 Mio. US-$ größten Fonds verfügt Earlybird noch über Liquidität für neue Investments. „Die Erfahrungen der letzten Jahre haben allerdings zu einer Anpassung unserer Investmentstrategie geführt“, so Mathies. So hat man festgestellt, daß auch bei erfolgreichen Seed-Investments die Zeit bis zum Exit mit fünf bis sieben Jahren länger ist, als Ende der neunziger Jahre erwartet wurde. Daher sind echte Gründungsfinanzierungen bei Earlybird nur noch eine Ausnahme, der Einstieg erfolgt idealerweise nach der ersten von Business Angels getragenen Finanzierung. Zweitens ist Voraussetzung, daß das junge Unternehmen für seine Produkte Marktchancen sowohl in Europa als auch in den USA hat. „Damit schafft man sich die Option eines Exits über die Nasdaq“, erläutert Mathies „nur Unternehmen, die mit ihren Produkten auf dem amerikanischen Markt präsent sind, haben an der amerikanischen Börse eine Chance.“ Durch dieses Kriterium fällt mit der Enterprise Software eine in den Boom-Jahren sehr beliebte Branche für VC-Investoren praktisch aus. „Die europäischen Softwareanbieter scheitern regelmäßig beim Markteintritt in den USA.“
Günstige Ausgangslage für Investoren in Europa
Chancen für VC-Investments sieht Earlybird vor allem in Europa. „Das Verhältnis zwischen anlagesuchendem Kapital und dem Innovationspotential, das den Investmentmöglichkeiten zugrunde liegt, ist in Europa und besonders in Deutschland wesentlich günstiger als in den USA“, so Mathies. Zwar liegen die Vereinigten Staaten in den Statistiken bezüglich der Innovationskapazität und der Forschungsausgaben regelmäßig etwas vor den Europäern. Da aber die Kommerzialisierung der Innovationen und speziell die VC-Branche in den USA wesentlich weiter entwickelt ist, ergibt sich in Europa ein wesentlich günstigeres Verhältnis beispielsweise von angemeldeten Patenten zu VC-Investoren. „Es liegt sowohl am reiferen VC-Sektor in den USA als auch an der höheren Bereitschaft der Amerikaner, aus einer Idee ein Unternehmen zu machen“, sagt Mathies. „Es gibt in Europa nicht so viele Unternehmer, und es gibt noch weniger Geld.“ Das Ergebnis sind unter anderem erheblich niedrigere Bewertungen bei europäischen VC-Finanzierungen. So lag die durchschnittliche Bewertung eines VC-Investments in Europa im zweiten Halbjahr 2003 bei 5,6 Mio. US-$, in den USA dagegen bei 11,3 Mio. US-$.
Diszipliniertes Vorgehen ist Voraussetzung
Damit aus dem vorhandenen Chancenpotential auch tatsächlich erfolgreiche Investments werden, will sich Earlybird strikt an die selbstgesetzten, strengen Investmentregeln halten. Außer daß ausschließlich in Unternehmen mit weltweiten Marktchancen und kompetentem Management investiert wird, achtet man vor allem darauf, daß ein erstklassiges, potentes Konsortium zusammengestellt werden kann, hochwertige Berater und Finanzierungspartner aus dem Banksektor zur Verfügung stehen. Auch wenn die Zeiten für Investments günstig sind, ist ein Fundraising vorläufig nicht geplant. „Das ist derzeit noch zu mühsam und bindet zu viele Ressourcen“, sagt Mathies. Amerikanische Investoren setzen in Europa unverändert auf Investments in Restrukturierungen, und auch die eigentlich mit langfristiger Perspektive investierenden europäischen Pensionsfonds halten sich von VC-Investments fern und investieren lieber in Buy-outs. Der Zyklus lebt.
Ralf Thielemann
Investmentkriterien von Earlybird
– Informations- und Kommunikationstechnik, Healthcare
– Frühphasen- und Wachstumsfinanzierungen
– Minderheitsbeteiligung
– Durchschnittliches Anfangsinvestment 3 bis 5 Mio. US-$/Euro
– Durchschnittliches Gesamtinvestment 8 bis 12 Mio. US-$/Euro
– Exit in drei bis sieben Jahren