„Finanzinvestoren treiben die Preise in Osteuropa nicht“

VC-Magazin: Wie groß ist derzeit das Interesse an osteuropäischen Unternehmen?

Bethge: Osteuropa ist keine einheitliche Region, aber generell ist die Nachfrage nach osteuropäischen Unternehmen weiterhin hoch. Es gab die letzten zehn bis 15 Jahre einen Run auf Osteuropa. Es findet nun zwar eine Abkühlung statt, aber wir bewegen uns immer noch auf einem recht hohen Niveau. Interessant ist, dass wir auch einen gegengerichteten Trend beobachten: In Osteuropa sind die Unternehmen mittlerweile gut aufgestellt und verfügen über erstaunliche Mittel, mit denen sie auch in Westeuropa einkaufen. Die Nachfrage steigt.

 

VC-Magazin: Wenn man zwischen den Staaten Osteuropas differenziert – welche Länder stehen im Fokus?

Bethge: Ein reifes, auch aufgrund der Größe interessantes Land ist Polen. 2006 war dort ein Rekordjahr in Bezug auf M&A – im Vorjahresvergleich stieg die Anzahl der Deals um 24%. Das Volumen aller Transaktionen hat sich sogar um 38% erhöht. Aber der Run auf polnische Unternehmen aus dem Ausland heraus hat sich abgemildert, weil sich durch den Reifegrad eine Konsolidierungswelle abzeichnet. Die Zahl rein polnischer M&A-Transaktionen stieg von 53% im Jahr 2005 auf 62% im Jahr 2006. Die Nachfrage in Polen ist sehr stark ausgeprägt im Bereich Energie und insbesondere Energieverteilung, sprich Netze. Das wird sowohl vom Westen mit Interesse verfolgt als auch von den Energiegiganten in Russland. Aber gerade hier haben die Polen aus historischen Gründen viele Ressentiments. Daher sehe ich für russische Unternehmen nur geringe Chancen, zum Zuge zu kommen.

 

 

Der polnische M&A-Markt

               Volumen                   Anzahl der Deals

2005      7,9 Mrd. USD                       321

2006    10,9 Mrd. USD                       398

 

Quelle: PCF Poland Corporate Finance

 

 

VC-Magazin: Wenn M&A-Transaktionen in Polen zunehmen, dürfte Private Equity ebenfalls profitieren, oder?

Bethge: Richtig, auch das ist ein Ausdruck des Reifestadiums, in dem Polen sich befindet: Es stehen Private Equity-Investoren mit erheblichem Kapital bereit, um polnische Transaktionen zu finanzieren. Unserer Einschätzung nach warten etwa 3 Mrd. USD auf Investitionen. Wie in Deutschland kommt der größte Teil des Kapitals aus dem Ausland, aber es gibt auch kleinere polnische Private Equity-Häuser, die von lokalen Banken ins Leben gerufen wurden.

 

VC-Magazin: Gibt es denn Gegenbeispiele zu Polen, sprich Länder, an denen der Aufschwung vorbei geht?

Bethge: Eine ganz andere Situation haben wir in Rumänien, wo wir einen auslaufenden Gold Rush beobachten. Dort sind noch wilde Investoren am Werk, die mit einer Hit-and-Run-Mentalität zuschlagen und nach einem halben Jahr Haltezeit teuer verkaufen. Aber auch in Rumänien zeichnet sich die Entwicklung hin zu einer professionellen Ausrichtung deutlich ab. Es gibt eine Reihe rumänischer, extrem professionell arbeitender Berater, und selbst ausländische Investoren werden mit offenen Armen empfangen. Im Gegensatz zu Polen ist die sprachliche Gewandtheit in Rumänien höher. In Polen brauchte man anfangs immer einen Dolmetscher, in Rumänien sprechen viele sehr gut Englisch und in Siebenbürgen viele Deutsch.

 

VC-Magazin: Welche Multiples sind bei M&A-Transaktionen in Polen oder Rumänien üblich?

Bethge: Nicht allein die Multiples sind entscheidend. Ein Multiple von sechs oder sieben auf einem konstanten Niveau ist nicht so viel, wenn Sie Umsatzsteigerungen von 30 bis 40% zugrunde legen. Noch wilder als in Rumänien sieht es diesbezüglich in der Ukraine aus, wo der internationale M&A-Markt noch ganz am Anfang steht.

 

VC-Magazin: Wer will stärker investieren und treibt die Preise – Strategen oder Finanzinvestoren?

Bethge: Die Finanzinvestoren schauen schon genau hin, die treiben die Preise in Osteuropa eigentlich nicht. Wie ich das eben für Rumänien aufgezeigt habe, sind die Bewertungen oftmals stark spekulativ. Die seriösen Fonds machen da nicht mit und steigen aus. Primär sind es dann die Strategen, die investieren. Finanzinvestoren finden Sie noch nicht in Staaten wie Rumänien und der Ukraine.

 

VC-Magazin: Können Sie noch Auswirkungen von 40 Jahren Sozialismus feststellen? Mit welchen Kulturunterschieden werden Sie konfrontiert, wenn grenzüberschreitend verhandelt wird?

Bethge: Viele Dinge haben sich angeglichen, in Polen herrscht in der gehobenen, vom Management geführten Industrie die gleiche Professionalität wie in Deutschland vor. Wir haben z. B. vor kurzem eine Transaktion abgeschlossen, bei der eine polnische Firma einen deutschen Mitbewerber übernommen hat. Beide waren im Bereich Lachsverarbeitung in Deutschland mit einem Umsatz von rund 150 Mio. Euro gleich stark. In den Verhandlungen mit dem polnischen Unternehmer hat man gemerkt, dass es im Mittelstand noch sehr hemdsärmelig zugeht. So waren ihm etwa die deutschen Anwälte zu teuer und auch bei der Due Diligence mit einem internationalen Wirtschaftsprüfer wurden Grenzen eingezogen. Die Prüfung war nicht so umfänglich, wie wir das von westeuropäischen Konzernen kennen. Auf der anderen Seite war der Unternehmer auch bereit, einen guten Preis zu zahlen. In einer internationalen Auktion hat er die Finanzinvestoren aus dem Feld geschlagen. Als strategischer Investor kann er natürlich auch erhebliche Synergien heben, er ist jetzt europäischer Marktführer.

 

VC-Magazin: Sind in Polen Auktionsprozesse mittlerweile Standard?

Bethge: Natürlich, die Globalisierung hält auch hier Einzug. Mit Sicherheit gilt für Polen, die Tschechische Republik, Ungarn und für Teile Russlands, dass die Prozesse wie in Westeuropa ablaufen. Auch Slowenien ist ganz professionell aufgestellt – das Land ist trotz seiner geringen Größe ein interessanter Markt. Wir erwarten dort in diesem Jahr einen sehr schönen Deal: Die slowenische Telekom soll privatisiert werden. Die Auktion wird wohl bei rund 3 Mrd. Euro enden. Das wäre für dieses kleine Land der mit Abstand bisher größte Deal.

 

VC-Magazin: In Deutschland und im UK existieren gewisse Ressentiments gegenüber Private Equity. Gilt das auch für Osteuropa?

Bethge: Die Aufgeschlossenheit ist da, in Polen alle Mal, und Russland professionalisiert sich auch. Dort entwickeln sich langsam lokale Private Equity-Geber. Die Oligarchen haben dieses Spielfeld entdeckt, und daher fließen erhebliche Summen in diese Fonds. Diese Aversion, hohe Bewertungen oder hoher Leverage, existiert in Osteuropa noch nicht.

 

VC-Magazin: Sie sind seit 1979 bei Angermann International. Wenn Sie, losgelöst von Osteuropa, auf den M&A-Markt und seine Zyklen schauen: Wo befinden wir uns derzeit, und wo geht die Reise hin?

Bethge: Ich habe in dieser Zeit natürlich einige Hochs und Tiefs erlebt, zuletzt das Platzen der Internetblase um 2000. Wir befinden uns momentan in Gipfelnähe, denn die Zinsentwicklung wird speziell im vierten Quartal noch einen Schub bekommen. Das wird Folgen haben, vor allem für den Finanzierungsmix von Private Equity. Die fundamentalen Daten der Unternehmen sind aber solide, insofern wird keine Blase platzen. Ein Soft Landing ist das realistischste Szenario. Aber insgesamt wird 2007 wohl ein gutes Jahr werden, das – wenn nicht alles schief läuft – das gute 2006er Ergebnis nochmals toppt.

 

VC-Magazin: Unternehmensverkäufe sollte man also bald umsetzen?

Bethge: Unbedingt! Es ist fast schon zu spät, man braucht eine Vorlaufzeit von rund sechs Monaten. Jetzt ist allerhöchste Eisenbahn, noch sind in Deutschland und in Westeuropa die Preise gut. In den USA bröckeln sie dagegen schon. Spätestens in einem Jahr gönne ich mir eine schöne Flasche Rotwein, wenn ich Preise wie heute erziele.

 

VC-Magazin: Herr Dr. Bethge, besten Dank für das informative Gespräch!                                                      

 

andreas.uhde(at)vc-magazin.de

 

Zum Gesprächspartner

Dr. Hans Bethge ist geschäftsführender Partner der Angermann M&A International GmbH, wo er seit 1979 tätig ist. Die Gesellschaft mit Hauptsitz in Hamburg ist Mitglied des Netzwerks M&A International Inc. und hat in ihrer über 50-jährigen Geschichte mehr als 2.000 M&A-Transaktionen begleitet.