VC Magazin: Welche Geschäftsideen bzw. Technologien haben Sie zuletzt besonders beeindruckt?
Braun: Drei Dinge – aus unterschiedlichen Gründen: Aus unserem Portfolio das Web 2.0-Unternehmen Holidaycheck: Die Seite bietet ihren Usern einen klaren Nutzwert und hat es geschafft, diesen erfolgreich zu monetarisieren. Es ist damit meines Erachtens validiert, dass eine „Community“ nicht nur ein schönes Schlagwort ist, sondern auch wirtschaftlich erfolgreich sein kann. Die Firma hinter antikoerper-online.de – dort sind wir nicht investiert – hat einen Marktplatz für Antikörper-Rezeptoren etabliert. Sie beweist, dass auch B2B-Marktplätze erfolgreich sein können. Ebenfalls faszinierend finde ich das Geschnatter bei Twitter. Dass sich Leute zu jeder Zeit alles mitteilen wollen, ist aber auch ein bisschen erschreckend.
Schnell: Wir sind im letzten Jahr in China mit zwei Investments aktiv geworden. PowerU im Energiesparbereich, und Chemclin in der In-vitro-Diagnostik. Was ich dabei faszinierend finde: Beide Firmen haben einen geringen Umsatz von wenigen Mio. USD, sind aber profitabel und erfreuen uns jedes Quartal damit, dass sie ihre Planungen übertreffen. Bei der Auswahl haben wir sehr viel Sorgfalt auf die kaufmännische und juristische Prüfung zusammen mit externen Experten verwendet.
VC Magazin: Als vor wenigen Wochen die Aktienkurse unter Druck kamen, befürchteten die ersten Marktteilnehmer schon einen Shake-out wie im Jahr 2000. Welche Auswirkungen haben die öffentlichen Kapitalmärkte auf Ihr Geschäft?
Schnell: Auf der Exitseite brauchen wir einen gesunden Kapitalmarkt, denn entweder verkaufen wir über einen Börsengang oder an einen starken strategischen Interessenten. Über 80% unseres Portfolios veräußern wir über M&A-Transaktionen.
Braun: Wenn man den Private Equity-Markt in seine Segmente zerlegt, dann belastet eine mögliche Krise Venture Capital am wenigsten. Von einer Verknappung von Fremdkapital sind wir kaum betroffen, weil wir meist nur Eigenkapital investieren. Mittel- bis langfristig könnte es wegen schwierigerer Exitmöglichkeiten eventuell zu einem Rückgang der Unternehmertätigkeit kommen. In diesem Bereich ist Deutschland noch ein relativ labiler Markt, die Zyklizität ist somit relativ hoch.
VC Magazin: Versorgen Sie Ihre Muttergesellschaften über einen längeren Zeitraum mit gleichen Beträgen, oder wird mehr investiert, wenn der Konzern höhere Überschüsse erwirtschaftet?
Braun: Wir sind ein eigentümergeführtes Unternehmen, und Hubert Burda ist „Überzeugungstäter“. Er, der Vorstand und das gesamte Unternehmen wollen im digitalen Bereich etwas aufbauen. An den Budgets wird nichts verändert, unsere Investitionen sind opportunitätsgetrieben. Die Zahl guter Ideen und außergewöhnlicher Teams, die auf uns zukommen, ist viel ausschlaggebender für die Anzahl der getätigten Investitionen als kurzfristige Meinungsabschwünge.
Schnell: Bei Siemens sehen wir CVC als eine komplementäre und fokussierte Art, dem Konzern Innovationen zugänglich zu machen. Dafür steht uns ein gewisser Rahmen zur Verfügung, und der ist seit Jahren konstant. Siemens hat mit 5,7 Mrd. Euro ein großes Budget für Forschung und Entwicklung, davon ist unser VC-Budget nur ein kleiner Anteil. Daher haben wir bezüglich des Etats keine Probleme.
VC Magazin: Den Statistiken des BVK zufolge ist das Verhältnis zwischen den Investitionen abhängiger Fonds und den Venture Capital-Investitionen insgesamt über die letzten acht Jahre in etwa stabil geblieben. Die Investitionstätigkeit der abhängigen Fonds ging seit dem Jahr 2002 also in etwa so stark zurück wie die Investitionstätigkeit unabhängiger Venture Capital-Fonds. Damit scheint ein früher häufig behaupteter Vorteil von CVC – sprich das gleichmäßigere Investieren auch über schwache Börsenphasen hinweg – widerlegt. Deckt sich das mit Ihren Beobachtungen?
Schnell: Ich bevorzuge die Zahlen der NVCA. Ich verlasse mich gern auf die amerikanischen Statistiken, weil die Amerikaner uns nicht nur im VC-Geschäft einiges voraus haben, sondern auch in der Transparenz der Berichterstattung. Die Statistik zeigt die Zahl der Deals und des Volumens von CVC- im Vergleich zu VC-Gesellschaften. Wenn wir den Hype 2000 ausblenden, können wir mit 5 bis 10% Anteil der CVCs im Markt rechnen. Dieser verhält sich relativ stabil. Typisch ist auch, dass CVCs ihre Investments breiter streuen. Wir investieren kleinere Beträge und diversifizieren stärker als VCs.
Braun: Ich weiß nicht, ob ich es mit diesen Daten belegen würde, aber ich glaube, dass wir von einer ähnlichen Zyklizität betroffen sind wie VC-Fonds allgemein. Bei Venture Capital gibt es immer eine Angebots- und eine Nachfrageseite, und in unserem Bereich ist diese relativ stark abhängig von der Anzahl an Unternehmern und Ideen. Ein Beispiel: Wenn ich die Anzahl der bei uns 2002 eingereichten Businesspläne als Grundlage nehme, dann hat sich das für 2007 verfünf- oder versechsfacht. Damit liegen wir momentan aber auch im langjährigen Vergleich bei einer sehr hohen Aktivitätsrate.
VC Magazin: Wie groß ist die Zahl der bei SVC eingereichten Businesspläne?
Schnell: Ihre Zahl hat eher abgenommen, aber die Qualität hat zugelegt. Von 1999 bis 2000 wurden uns viele „Garagenpläne“ vorgelegt, während die Ausarbeitungen jetzt fundierter sind. Im Schnitt sehen wir 1.000 bis 1.500 Businesspläne pro Jahr. Viele kommen unaufgefordert und decken sich nicht mit unserem Investmentfokus. Unter dem Strich gehen wir ungefähr zehn bis 20 Neuinvestitionen pro Jahr ein.
VC Magazin: Erreichen Sie viele Businesspläne aus dem Konzern?
Schnell: In dieser Stufe unterscheiden wir das nicht. SVC speist sich aus drei Quellen: erstens Kaltakquise durch Kapitalsuchende, zweitens die zielgerichtete Suche im Markt nach einer bestimmten Lösung und drittens Tipps von Kollegen. Die Qualität ist natürlich ungleich höher, wenn uns die Kollegen aus den Technologie- oder Marketingabteilungen auf etwas aufmerksam machen. Sie selektieren vielfach bereits vor. Fast die Hälfte der von uns letztlich finanzierten Ideen kommt aus dem Netzwerk des Siemens-Konzerns.
VC Magazin: Ist der Austausch mit dem Konzern institutionalisiert?
Schnell: Nein, aber wir investieren mindestens genauso viel Zeit in das interne wie in das externe Netzwerk. Und das interne ist nicht weniger kompliziert: Siemens ist in über 190 Ländern vertreten, wir haben 475.000 Mitarbeiter, darunter 50.000 Entwickler. Es gibt das Technology Advisory Board, in dem die Chief Technology Officers der Bereiche halbjährlich mit uns über Trends sprechen. Im Haus organisieren wir „Circle Events“, wo wir in kleiner Runde mit internen und externen Experten zu einem bestimmten Thema diskutieren.
VC Magazin: Wie schaut das bei Burda aus?
Braun: Wenn ich gewichten soll, wäre unser wichtigster Faktor das bestehende Netzwerk der Beteiligungen. Aus dem Portfolio mit 26 Firmen und dessen Umfeld kommt sehr viel Input. An zweiter Stelle rangieren Anfragen von extern, also Referenzen von anderen Investoren und Angels sowie Direktansprachen durch Entrepreneure. Die deutsche CVC-Landschaft im Medienbereich ist mit drei bis fünf Teilnehmern ja nicht sonderlich groß, daher landet man fast automatisch bei uns. An dritter Stelle kommen Hinweise unserer Kollegen aus dem Magazin-, dem Direktmarketing- oder dem Druck-Umfeld. Von unserer Schwester Burda Digital Systems erhalten wir vor allem Hinweise auf technologiegetriebene Themen.
VC Magazin: Herr Dr. Schnell, wie nehmen Sie einem Unternehmer die Angst, in einem Konzern wie Siemens unterzugehen?
Schnell: Stellen Sie sich die Situation eines kleinen Unternehmens vor, das ein Produkt oder einen Service entwickelt hat. Das Entwickeln ist noch ein überschaubarer Prozess, aber die Vermarktung fordert enorme Ressourcen. Sie müssen skalieren und international agieren. Das kann ein kleines Unternehmen meist nicht stemmen, weil es oft noch einmal so viele Ressourcen wie die Entwicklung des Produkts erfordert. Da können wir helfen, weil wir zu allen interessanten Kunden der Branche Kontakte haben. Wenn die kleinen Unternehmen selbstbewusst sind, kennen sie genau ihre Wettbewerbssituation, haben ihr geistiges Eigentum geschützt und gehen mit Siemens eine Geschäftsbeziehung ein, wie mit jedem anderen auch.
VC Magazin: Herr Dr. Braun, Herr Dr. Schnell, vielen Dank für das Gespräch.
andreas.uhde(at)vc-magazin.de
Zu den Gesprächspartnern
Dr. Christoph Braun ist Geschäftsführer bei der Burda Digital Ventures GmbH, einem Tochterunternehmen von Hubert Burda Media. Das Portfolio verteilt sich auf fünf Bereiche Media, Platforms, Commerce, Entertainment und Mobile. Dr. Ralf Schnell leitet die Siemens Venture Capital GmbH, die Corporate Venture-Organisation des Siemens-Konzerns. Im Fokus stehen technologische Wachstumssegmente im Gebiet der Energie und Umwelttechnik, der Automatisierung und Steuerung, der industriellen und öffentlichen Infrastrukturthemen sowie der Medizintechnik.