VC-Magazin: Web 2.0 war eines der großen Venture Capital-Themen im Jahr 2007. Nennenswerte Umsätze im Verhältnis zur Bewertung der jungen Unternehmen erzielen Plattformen wie YouTube und StudiVZ jedoch nicht. Erleben wir gerade eine zweite Internetblase?
Überla: In einigen Bereichen gibt es sowohl auf der Einstiegs- als auch auf der Exitseite tatsächlich wieder blasenartige Bewertungen. Hier ist zu unterscheiden zwischen Unternehmen, die sich nur anhand von User- und Trafficzahlen bewerten, und solchen, die reelle Umsätze erzielen.
Ulmer: Von der Situation in den Jahren 1999/2000, wo der ganze Technologiebereich überbewertet war, sind wir weit entfernt. Wenn es einem Unternehmen wie YouTube eines Tages gelingt, die erheblichen Nutzerzahlen in Form von Werbeerlösen zu materialisieren, kann das den von Google bezahlten Preis durchaus rechtfertigen.
VC-Magazin: Worauf achten Sie, wenn Sie Geschäftsmodelle aus dem Internetsektor bewerten?
Ulmer: Die in der Frühphase relevanten Investitionskriterien haben sich nicht geändert: Alleinstellungsmerkmale, Skalierbarkeit, natürlich das Team, die Frage nach dem Markt, ein plausibles Geschäftsmodell. Was zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorhanden sein muss, sind Umsätze und ein etabliertes Geschäftsmodell.
VC-Magazin: Internetinhalte wandern aufs Mobiltelefon: Auf E-Mails, mobile Routenplaner und Spiele wird immer häufiger unterwegs zugegriffen. Wie geht es weiter mit der Konvergenz zwischen stationärem Internet und mobilen Technologien?
Überla: 1999/2000 wurde WAP von vielen Seiten gepusht und die Idee vorangetrieben, eigene mobile Varianten zu produzieren. Heute ist abzusehen, dass es nur ein Internet geben wird, auf das über zwei unterschiedliche Methoden zugegriffen wird. Dabei wird sicherlich nicht jeder Inhalt über beide Kanäle gleich häufig abgefragt: E-Mail, Kalender und ortsbasierte Dienste dürften im mobilen Bereich besonders gefragt werden.
Ulmer: Es wird langfristig keine zwei verschiedenen Internets geben, aber verschiedene Inhalte für unterschiedliche Zugangskanäle. Wir erleben derzeit die erste Stufe, wo Nokia beispielsweise Routenplaner für den High End-Bereich anbietet. Solche Technologien werden nach und nach in den Massenmarkt wandern. Auch Videos werden zunehmend die Handys erreichen. Man braucht aber einen langen Atem: Wir sind in eine deutsche Firma investiert, die eine tolle Plattform für Multi-User-Games über das Handy entwickelt hat. Diese Applikation ist nach langem Warten erst jetzt zaghaft gefragt – die Innovation kam schlicht zu früh.
VC-Magazin: Welche Rolle spielen die Netzbetreiber als Innovationstreiber?
Ulmer: Die Carrier haben, speziell in Deutschland, viel für die Lizenzen ausgegeben. Heute verdienen sie mit SMS richtig Geld, die hierzu notwendige Infrastruktur ist noch intakt. Sicher alles Gründe, die auch dafür sorgen, dass ein zum Teil substituierendes Produkt wie die E-Mail-Funktion noch nicht zu einem massenmarktfähigen Preis angeboten wird.
Überla: Einerseits wollen die Netzbetreiber Datentransfer verkaufen, damit die Leute über ihr Handy im Internet surfen. Andererseits wollen sie verhindern, dass hierdurch SMS und Sprache substituiert werden, womit sie viel mehr verdienen. Einige Start-ups versuchen nun, das zu umgehen, was der Operator eigentlich möchte – sind aber gleichzeitig auf ihn angewiesen. Das ist das Spannungsfeld, in dem sich beispielsweise unser Portfoliounternehmen Truphone bewegt. So oder so ein gefährliches Terrain: Wer mit dem Operator zusammenarbeitet, wird von den langwierigen Entscheidungsprozessen ausgebremst, wer ohne sie agieren will, sieht sich einer gewaltigen Marktmacht gegenüber. Dennoch halte ich Geschäftsideen aus dem Mobilfunkbereich für sehr spannend, besonders wenn sie gemeinsam mit einem Internetdienstleister auf den Markt gebracht werden.
VC-Magazin: Wie interessant ist die Zusammenarbeit mit Venture Capital-Einheiten wie T-Venture oder anderen Netzbetreibern in diesem Kontext?
Ulmer: Sie ist nicht die Lösung des Problems, weil der Weg in die Unternehmen trotzdem noch sehr weit ist. Anders sieht es bei Unternehmen wie Intel aus, die ihre Venture Capital-Aktivitäten als erste Stufe zum M&A sehen und mehrere tausend Investments tätigen. In Europa drückt sich das Selbstverständnis größerer Konzerne zum Thema Innovation leider häufig in der Anzahl der Ingenieure aus – ganz anders als in den USA, wo viele führende Technologieunternehmen selbst einen VC-Hintergrund haben.
VC-Magazin: Wie ist Ihre Vision von Internet und Mobilfunk in Deutschland im Jahr 2020?
Überla: Der Zugangsweg dürfte so transparent werden wie bei der Stromversorgung. Egal, wo man sich aufhält, gibt es ihn überall – ohne zu wissen, wer ihn bereitstellt und wie er erzeugt wird.
Ulmer: In unserer Vision gehen wir davon aus, dass vier Screens zu bedienen sein werden: Fernseher, PC oder Laptop, das Handy in allen Varianten und der Screen im Auto. Anspannungen wird es in der Wertschöpfungskette geben: Schon während meiner Zeit bei O2 haben wir uns die Frage gestellt, ob wir nur Transporteur für Bits und Bytes sind oder eigentlich mehr. Vodafone oder Nokia versuchen, neben dem langfristigen Infrastrukturgeschäft das kurzfristige Consumer-Geschäft mit ihren Dienstleistungen zu erschließen. Ob diese Strategie dem starken Druck von Google, Yahoo und anderen Stand halten wird, ist noch nicht absehbar. Der Endkunde wird aber auf jeden Fall profitieren.
VC-Magazin: Die T-Systems-Tochter Multimedia Solutions fand in einer Umfrage unter deutschen Online-Shops im Herbst 2007 heraus, welche Web 2.0-Anwendungen für die Zukunft geplant sind: Meistgenannt wurden die Produktbewertung (57%), die Erweiterung um ein Forum oder der Aufbau einer Community (je 43%). 24% können sich die Integration eines Weblogs vorstellen. Besteht aus Ihrer Sicht Bedarf für so viel Interaktivität, oder ist der Markt mittlerweile gesättigt?
Überla: Aus unserer Sicht gab es über die letzten Jahre einige fundamentale Veränderungen: Als Verkäufer können Sie aufgrund der Reduktion der Transaktions- und Kommunikationskosten der Nutzer untereinander über Werbung nicht mehr so viel Einfluss nehmen. Seit längerem bestehende Portale sind Dooyoo und Ciao.com, die Einkaufsberatung wird aber auch in anderen Communitys zunehmend Niederschlag finden.
Ulmer: Bereits heute ist rund jeder zehnte Deutsche in einer Community organisiert, also etwa acht Millionen Menschen. Nach uns vorliegenden Zahlen dürfte diese Zahl über die nächsten fünf Jahre jährlich um 20% wachsen. Damit ist das natürlich ein Markt, der für uns sehr interessant ist.
VC-Magazin: Welche Geschäftsideen aus den Bereichen Internet oder Mobilfunk haben Sie zuletzt besonders beeindruckt?
Überla: Extrem spannend finde ich Proximic, die ein besseres kontextuelles Matching machen als Google AdSense. Google erzielt ca. 40 bis 45% des Umsatzes nicht mit der Suche, sondern mit dem Platzieren von Werbung auf anderen Websites. Eine Technologie, die das x% besser macht, hat natürlich ein gewaltiges Wertpotenzial.
Ulmer: Die Aufbereitung und Suche der immensen Datenflut im Internet ist auch aus meiner Sicht ein sehr spannendes Feld – und es ist bei weitem nicht so, dass Google in diesem Segment für immer und ewig der einzige dominierende Spieler sein muss. Längerfristig sehen wir erste Aktivitäten in Mobile Peer-to-Peer, die sehr aussichtsreich erscheinen, allerdings noch einige Jahre bis zum Durchbruch brauchen werden.
VC-Magazin: Die Kapitalmärkte waren zuletzt sehr volatil, insbesondere Technologietitel kamen seit dem Jahreswechsel unter die Räder. Sehen Sie diese Entwicklung mit Sorge oder begünstigt sie Ihre Verhandlungsposition für neue Investments?
Überla: Auf der Einstiegsseite ist der Einfluss im Frühphasenbereich nicht so groß. Die Bewertungen basieren hier eher auf Erfahrungen als auf Multiples. Beim Verkauf von Beteiligungen ist die Börsenstimmung hingegen sehr relevant. In Summe ist die Lage nicht mehr so positiv wie vor einigen Monaten, aber der Internetsektor ist immer noch hochattraktiv.
Ulmer: Beim Einstieg geht es doch auch darum, die Teams zu motivieren. Wenn Sie Gründer bis zum Letzten auspressen, bringt Ihnen das auf Dauer nichts. Kurzfristige Schwankungen an Kapitalmärkten beunruhigen mich nicht. Wir haben aber fünf bis sechs Jahre hinter uns, in denen es nur aufwärts ging. Dieser Zyklus wird irgendwann auch mal wieder in die andere Richtung drehen.
Das Interview führte Andreas Uhde.
Zu den Gesprächspartnern
Jörg Überla ist General Partner der Beteiligungsgesellschaft Wellington Partners und dort auf die Bereiche Software, digitale Medien und Services spezialisiert. Mit einem kumulierten Fondsvolumen von über einer halben Mrd. Euro gehört der Risikokapitalgeber zu den führenden Technologieinvestoren im deutschsprachigen Raum. Dr. Dietrich Ulmer ist Managing Partner der smac partners GmbH, die aus der früheren Siemens Acceleration in Communications hervorgegangen ist. Smac partners hat sich auf Frühphaseninvestments und Secondary-Transaktionen in der Informationsund Kommunikationsbranche spezialisiert.