„Diagnostika werden sich stark entwickeln“

VC-Magazin: Welche Segmente der Life Sciences sind aus Ihrer Sicht für Venture Capital-Gesellschaften derzeit besonders interessant?

Rothe: Zum Beispiel Diagnostika, die an ein Medikament gekoppelt sind, werden sich stark entwickeln. Weiterhin groß ist das Interesse auch an Nischenprodukten oder „orphan indications“. Es geht immer um Themen, die man mit einem überschaubaren Budget entwickeln kann, aber wo nach erfolgreichen klinischen Studien immer noch ein riesiges Potenzial ist.

Hodits: Ebenfalls spannend sind „devices“ und „disrup­tive technologies“, die neue Märkte erschließen. Ein schönes Beispiel aus unserem Portfolio ist Jenavalve, ein Hersteller minimalinvasiver Herzklappen. Ärzte müssen nicht mehr den Brustkorb öffnen, und sie können damit Operationen an Patienten durchführen, die mit den gängigen Methoden nicht behandelt werden können.

 

VC-Magazin: Der Venture Capital-Bereich leidet unter einer anhaltenden Finanzierungslücke, besonders stark betroffen ist die Biotechbranche. Woran liegt es, dass viele Finanzinvestoren diesen Sektor seit Jahren meiden?

Rothe: Die institutionellen Investoren vor allem in Deutschland haben sich leider faktisch komplett zurückgezogen. Selbst in überschaubaren Randbereichen muss man viel Geld und Zeit für Entwicklungen aufwenden, die dann erst später attraktive Renditen erzielen. Letztendlich haben sich aber zu viele Investoren in der ersten Welle Ende der 90er Jahre die Finger verbrannt und denken bis heute, die ganze Industrie sei nicht in Ordnung. Dabei waren das nur die Kinderkrankheiten.

Hodits: Der hiesige Markt ist auch auf der Exitseite wenig attraktiv. In Deutschland fehlt eine breite Aktionärsbasis, während in der Schweiz private Anleger mit Biotechunternehmen wie Serono und Actelion gute Erfahrungen gemacht haben und offen für Aktieninvestments sind.

 

VC-Magazin: Welche weiteren europäischen Standorte bieten sich für Biotechbörsengänge an?

Hodits: Die London Stock Exchange liegt klar vorne. Um dort mitspielen zu können, sollte der Börsenkandidat aber eine kritische Größe überschritten haben – also über 200 Mio. GBP liegen. Wirklich interessant ist außerdem Dänemark, wo es eine starke lokale Investorenbasis gibt. In Kopenhagen haben wir sehr gute Erfahrungen gesammelt und können uns gut vorstellen, noch mehr zu machen. Auf den Plätzen folgen die Vierländerbörse Euronext, Frankfurt und Stockholm.

Rothe: Lange Zeit hieß es, Europa sei zu zersplittert und die USA mit der Nasdaq seien das Beste für Biotech. Mittlerweile wird es zunehmend als Vorteil empfunden, dass es hier eine Vielzahl an Börsen gibt. Wenn in den USA die Nasdaq zu ist, geht gar nichts mehr. Hier in Europa haben wir in den letzten Jahren eine Vielzahl von Börsengängen gemacht und sind dabei immer an Börsenplätze gegangen, die gerade offen waren.

 

VC-Magazin: Wie groß ist der Schaden, den die Rückschläge bei GPC Biotech und Paion für die deutsche Biotechnologiebranche angerichtet haben?

Hodits: Die beiden Firmen haben einem fast toten Markt noch einmal einen deutlichen Schlag versetzt. Das war wahrscheinlich das Letzte, was die Branche gebraucht hat.

Rothe: Solche Flops fördern die Ansicht, dass man von Biotech die Finger lassen sollte.

 

VC-Magazin: Was hat sich im Finanzierungsprozess von Biotechunternehmen über die letzten Jahre geändert?

Hodits: Alle Beteiligten sind sehr fokussiert darauf, die Firmen von Punkt A nach Punkt B zu finanzieren – und das mit so wenig Kapital wie möglich. Das ist der größte Unterschied zur Blase von 2000.

Rothe: Das Kapital ist sicherlich knapp, aber die guten Firmen erhalten auch heute noch ausreichend Mittel. Was mir außerdem aufgefallen ist: Seit letztem Jahr sehen wir wieder wirklich neue Ideen, die uns nicht schon fünf Mal vorgelegt wurden. Auch die Businesspläne sind viel besser als vor ein paar Jahren. Der Finanzbedarf ist klug durchdacht, und die Meilensteine sind realistisch eingeschätzt.

 

VC-Magazin: Wie lassen sich Meilensteine vereinbaren, und welche sind sinnvoll?

Hodits: Das ist einfach: Alles, was extern verifiziert werden kann und wofür jemand bereit ist, Geld auf den Tisch zu legen. Für jeden erreichten Meilenstein, den wir finanzieren, muss es einen Käufer geben. Sie müssen ihrem Gegenüber erklären können, dass sie Risiko aus einem Produkt oder Unternehmen herausgenommen haben und es ein Upside-Potenzial gibt.

 

VC-Magazin: Und die Definition von Meilensteinen löst das Dilemma, dass die Produktentwicklung lange dauert, Fonds aber nur begrenzte Zeit existieren?

Rothe: Das ist kein Problem. Man investiert ja nicht von Anfang an, sondern steigt irgendwo ein und auch irgendwo wieder aus. Dieses „irgendwo“ ist in den letzten Jahren viel leichter geworden. Unsere Firma Idea hat vor kurzem einen großen Deal über die US-Rechte eines Produktes geschlossen, wo auch eine große Vorauszahlung geleistet wurde. Solche Mittel lassen sich möglicherweise auch in Rückflüsse an die Investoren umwandeln.

Hodits: Zu den kreativen Lösungen gehören auch Nachschlagszahlungen. Wir haben z. B. die Firma Adnexus für 430 Mio. USD an den Pharmakonzern BMS verkauft. Das war ein guter Wert, aber wir haben in den Produkten noch mehr Potenzial gesehen. Dieser Meinung war zwar auch der Käufer. Da noch Risiko in der Entwicklung steckt, haben wir einen Nachschlag vereinbart, wenn bestimmte Ziele erreicht sind. Dieser Weg bietet sich an, wenn etwa klinische Studien mit hohem Risiko umzusetzen sind.

 

VC-Magazin: Welche Rolle spielt die Frage des geistigen Eigentums, und wie lässt sich dieses sichern?

Rothe: In unserem Universum von fast 40 Firmen gibt es nur zwei oder drei, bei denen IP keine relevante Rolle spielt. Bei allen anderen garantiert es die „freedom to operate“ und hält idealerweise Wettbewerber fern. In unserer Due Diligence ist das geistige Eigentum immer eine conditio sine qua non.

 

VC-Magazin: In welchen Life Science-Feldern suchen Sie derzeit aktiv nach Investments – und von welchen Gebieten halten Sie sich fern?

Rothe: Ganz besonders interessieren wir uns für pharmazeutische Entwicklungen, Impfstoffe, Diagnostika und Medizintechnologie.

Hodits: Für uns ist alles interessant, wo wir mit beschränktem Finanzpotenzial extern verifizierbaren Wert generieren können. In der letzten Zeit waren das Investments in Anti-Infektiva und Ophtamologie. Dagegen sind Healthcare Services und Krankenhausmanagement kein Thema für unsere Funds. Auch in der Onkologie, sprich Krebsforschung, halten wir uns eher zurück. Da sind 862 Medikamente in klinischen Studien, und Sie können kaum Patienten rekrutieren.

Rothe: Ja, in dem Bereich sind wir auch sehr zurückhaltend. Ebenso dort, wo man Studien mit vier- oder fünfstelligen Patientenzahlen braucht – die ganzen Volkskrankheiten, Bluthochdruck, Osteoporose, Diabetes. Bei allen Sachen, die am Ende von den praktischen Ärzten verschrieben werden, ist das finanzielle Risiko für die notwendigen großen Studien vor der Zulassung für VCs wie uns nicht zu stemmen.

 

VC-Magazin: Frau Dr. Hodits, Herr Dr. Rothe, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.

Das Interview führte Torsten Paßmann.