VC Magazin: Mitte der 70er Jahre publizierten Sie die Hypothese, dass humane Papillomviren die Entstehung von Gebärmutterhalskrebs fördern. War Ihnen damals die Tragweite Ihrer Entdeckung bewusst?
zur Hausen: Im Grunde genommen war mir klar, dass dieser Zusammenhang eine ganze Reihe von Implikationen von der Diagnostik über die Prävention hoffentlich bis hin zur Therapie haben würde. Zunächst mussten wir jedoch den Nachweis erbringen, dass Papillomviren tatsächlich Gebärmutterhalskrebs auslösen.
VC Magazin: Zwei bereits zugelassene Impfstoffe basieren auf Ihrer Forschung. Haben Sie je mit dem Gedanken gespielt, Ihre Erkenntnisse selbst zu kommerzialisieren?
zur Hausen: Mit dem Gedanken habe ich in der Tat gespielt. Schon 1984 hatte ich Kontakt mit der deutschen Industrie aufgenommen, um sie zur Herstellung eines Impfstoffs zu stimulieren. Eine Firma in Marburg zeigte zunächst großes Interesse. Nachdem eine Marktanalyse keine Nachfrage für diesen Impfstoff prophezeite, wurde dieses Projekt jedoch eingestellt. Später, als wir in intensive Verhandlungen mit amerikanischen Firmen eintraten und in diesem Zusammenhang auch einen Rechtsstreit austragen mussten, habe ich als damaliger Stiftungsvorstand des Hauses auf Rat der Juristen davon Abstand genommen, selbst an den Patenten beteiligt zu werden.
VC Magazin: Bereuen Sie das heute?
zur Hausen: Eigentlich nicht. Im Gegenteil: Das gibt mir ein relativ großes Maß an Freiheit, mich etwa zu den Preisen der Impfstoffe zu äußern.
VC Magazin: Heißt das, der Impfstoff als Ergebnis Ihrer Grundlagenforschung verursacht bei Ihnen ambivalente Gefühle?
zur Hausen: Der Impfstoff selbst natürlich nicht. Ich freue mich außerordentlich darüber, dass heute Impfstoffe zur Verfügung stehen, die gegen die Vorstufen des Gebärmutterhalskrebses schützen. Wahrscheinlich schützen diese Impfungen auch gegen einen Teil der Mund-Rachenhöhlen-Krebse und der Analkrebse. Diesen Erfolg sehe ich ohne jede Ambivalenz. Ein Problem ist jedoch, dass etwa 83% der Gebärmutterhalskrebse in den Entwicklungsländern stattfinden. Obwohl Anstrengungen unternommen werden, für solche Länder verbilligte Angebote vorzulegen, sind diese Impfstoffe im Verhältnis zur lokalen Kaufkraft weitgehend unerschwinglich. Für das Programm der Global Alliance for Vaccines and Immunization fehlen noch rund vier Mrd. Euro. Ich hoffe, dass sich geeignete Sponsoren finden, die diese Lücke füllen.
VC Magazin: Ist der Zusammenhang zwischen dem HP-Virus und den von Ihnen genannten Krebsarten einmalig, oder werden auch andere Krebserkrankungen durch Viren begünstigt?
zur Hausen: Schon heute wird eine Fülle von Infektionen mit Krebs in Verbindung gebracht. Es gibt noch einen weiteren Impfstoff, der gegen eine spezifische Krebsart schützt, nämlich die Hepatitis B-Schutzimpfung. Sie wurde primär entwickelt, um die Symptome dieser Infektion zu vermeiden. Heute wissen wir, dass diese Schutzimpfung auch vor einer bestimmten Form des Leberkrebses schützt, die vor allem in Asien und Afrika auftritt. Darüber hinaus besteht zumindest die Vermutung, dass noch weitere Krebsarten mit Infektionen in Verbindung stehen. Abgesehen von Viren sind es auch Bakterien und Parasiten, die bestimmte Krebsarten wie Magenkrebs oder Blasenkrebs auslösen können. In diesem Bereich besteht daher noch ein deutliches Forschungspotenzial, das später hoffentlich auch sinnvoll in die Klinik übersetzt werden kann.
VC Magazin: Der BioRegio-Wettbewerb hat zur Entstehung einer lebhaften Biotechnologiebranche in Deutschland beigetragen. Die rund 400 Biotechnologieunternehmen hierzulande verzeichnen jedoch seit Jahren stagnierende Umsätze. Welche Fehler wurden gemacht?
zur Hausen: Viele junge Leute haben sich auf der Basis fehlender Erfahrungen mit der Gründung von Firmen befasst. Außerdem wurde die Geschwindigkeit überschätzt, mit der Ergebnisse aus der Grundlagenforschung in die Klinik übertragen werden können. Eine vergleichsweise kleine Zahl von Firmen ist dennoch ganz gut über die Runden gekommen.
VC Magazin: Was müsste passieren, damit die deutsche Biotechnologie gegenüber den USA, Großbritannien oder auch der Schweiz aufschließt?
zur Hausen: Die Bundesregierung und die Regierungen der Länder sollten weiterhin Anreize dafür setzen, dass Ausgründungen aus den Forschungsinstituten erfolgen. Diese sollten jedoch eine sorgfältige Prüfung der Möglichkeiten voraussetzen und nicht mit allzu übertriebenen Erwartungen verbunden sein: Auf absehbare Zeit werden wir in der Biotechnologie nicht an die Vereinigten Staaten herankommen.
VC Magazin: Sie haben die Verzahnung des DKFZ mit den Universitätskliniken vorangetrieben, um Wissenschaft und Praxis stärker zu verzahnen. In welchen Bereichen lässt die Arbeit des DKFZ in den nächsten Jahren Fortschritte bei der Krebsbekämpfung erwarten?
zur Hausen: In fast allen Bereichen, die hier bearbeitet werden: Sei es in der Strahlentherapie oder in der praktischen Arbeit. Beispielhaft möchte ich die Immunologie, die Prävention und die Epidemiologie nennen.
VC Magazin: Viele exzellente Wissenschaftler verlassen Deutschland aufgrund vermeintlich besserer Bedingungen für akademische Forschung in den USA. Bis auf dreieinhalb Jahre am Anfang Ihrer beruflichen Laufbahn sind Sie Ihrem Heimatland treu geblieben. Warum?
zur Hausen: Ich halte es für wichtig, eine Zeit lang ins Ausland zu gehen. Allein schon, um andere Ideen und einen anderen Wind zu schnuppern. Ich würde daher jedem jungen Menschen empfehlen, der die Gelegenheit hat, Auslandserfahrung zu sammeln. Obwohl ich ursprünglich mit einem Einwanderervisum in die Staaten gegangen bin, kam ich zurück, weil sich hier für mich die Möglichkeit bot, eine größere Gruppe am Institut für Virologie der Universität Würzburg aufzubauen. Ich habe nie eine bewusste Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Land getroffen, sondern die Möglichkeiten genutzt, die sich mir geboten haben.
VC Magazin: Gibt es für pharmazeutisch forschende Biotechnologieunternehmen ausreichende Finanzierungsmöglichkeiten in Deutschland?
zur Hausen: Ich glaube, dass derartige Unternehmen derzeit relativ große Schwierigkeiten haben, Kapital zu erhalten. Die Risikobereitschaft der Investoren nimmt in der gegenwärtigen Krise sichtbar ab. Wenn die Regierung hier gegensteuert, ist das sicher sinnvoll. Es ist aber auch für mich schwer vorhersehbar, wie sich die wirtschaftliche Situation im Laufe des kommenden Jahres entwickeln wird.
VC Magazin: Derzeit gastiert die Ausstellung „Körperwelten“ in Heidelberg. Waren Sie dort?
zur Hausen: Nein, ich stehe dem auch etwas distanziert gegenüber.
VC Magazin: Dietmar Hopp gehört zu den größten Investoren in deutsche Biotechnologiefirmen. Bittet er Sie gelegentlich um Rat?
zur Hausen: Er hat mich nicht um Rat gebeten, aber er hat ein enges Beratergremium, von denen einige mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum in enger Verbindung stehen. Ich finde es sehr gut, dass er in signifikantem Umfang auch in die Krebsforschung investiert. Wir brauchen in Deutschland Sponsoren, die bereit sind, für solche Belange auch einzuspringen.
VC Magazin: Welche Qualitäten sollte ein Investor generell mitbringen, der die Finanzierung eines jungen Unternehmens im Bereich Krebsforschung in Erwägung zieht?
zur Hausen: Er sollte sich eine profunde Kenntnis von der Lage in diesem Bereich zulegen, was nicht ganz einfach ist. Er sollte auch zuverlässige und gute Berater haben, die ihm fachkundig zur Seite stehen.
VC Magazin: Sie sind u. a. mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden, sind Botschafter der Bergstraße und haben 2008 den Nobelpreis erhalten. Welche Ihrer zahlreichen Auszeichnungen hat Sie am stärksten bewegt?
zur Hausen: Sicherlich war das der Nobelpreis. Das Besondere an diesem Preis ist, dass die Preisträger unter ganz strikten Qualitätskriterien und mit einer langen Vorbereitungszeit ausgewählt werden. Der Nobelpreis genießt daher auch das höchste Ansehen unter den Wissenschaftspreisen.
VC Magazin: Kam diese Ehre für Sie unerwartet?
zur Hausen: Ja, das war eine große Überraschung! In den Jahren zuvor hatte ich zwar immer mal wieder gehört, dass ich für den Nobelpreis vorgeschlagen wurde; im Jahr 2007 verdichteten sich die Gerüchte, so dass ich mir durchaus Chancen ausgerechnet hatte. 2008 hatte ich aber nicht mehr daran geglaubt.
VC Magazin: Vielen Dank für das Interview!
Zum Gesprächspartner
Prof. Harald zur Hausen war von 1983 bis 2003 Vorsitzender des Stiftungsvorstands des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg, wo er noch heute tätig ist. Bevor er sich dem Auf- und Ausbau des DKFZ widmete, bekleidete er den Lehrstuhl für Virologie und Hygiene der Universität Freiburg. Für seine Erfolge in der Krebsforschung erhielt er 2008 den Nobelpreis für Medizin.