VC Magazin: In der Wirtschafts- und Finanzkrise sparen viele Firmenkunden bei Anzeigen und Investitionen in neuartige Technologien. Wie schlagen sich Ihre Portfoliounternehmen derzeit?
Klüppel: Ich kann von Fällen berichten, wo selbst Aufträge in der Höhe 6.000 EUR über den Vorstand wandern – und das bei Unternehmen mit mehreren 100 Mio. EUR Umsatz. Das gilt in ähnlichem Maßstab auch für die Software-Industrie, allerdings haben hier viele Start-ups starke Verkaufsargumente. Gerade in einer Krise ist es ein guter Gesprächseinstieg, wenn bis zu 70% Einsparungen möglich sind. Eines unserer Portfoliounternehmen wird wahrscheinlich im vierten Quartal das mit Abstand beste Ergebnis seiner Firmengeschichte einfahren.
Götz: Ähnlich erleben wir das auch. Viele Kunden prüfen extrem lange, haben andere Entscheidungszyklen als vor der Krise, und plötzlich sitzen wichtigere Entscheider mit am Tisch. Dabei geht es um Beträge, die vorher aus der Portokasse bezahlt wurden! Ende 2008 war für unsere Portfolio-Unternehmen intern die Unsicherheit das größte Problem: Wie schwer wird die Situation wirklich? Jetzt herrscht eine gewisse Sicherheit, und sie können sich durch Einsparungen und gezielte Maßnahmen neu ausrichten und neue Chancen wahrnehmen.
Klüppel: Auch bei uns haben faktisch alle Start-ups Kosteneinschnitte vorgenommen und ihre Organisation verschlankt bzw. dieses Jahr nicht so stark ausgebaut wie geplant. Das war uns wichtig, um die Reichweite des Cashbestandes zu verlängern.
VC Magazin: Bei Gründungen steht meist die Produktentwicklung im Vordergrund. Wie lässt sich die Burnrate reduzieren?
Götz: Große Konzerne können schnell Marketing- oder Personalkosten einsparen. Start-ups sind aber nicht so aufgebläht. Und wenn ein Start-up forschungs- und entwicklungslastig ist, bestehen auch kaum Chancen. Ansonsten muss man das Unternehmen deutlicher ausrichten: den Fokus klarer ziehen, den vollen Einsatz aller Beteiligten einfordern, den Markteintritt schneller suchen.
Klüppel: In Zeiten wie diesen geht es darum, genau zu identifizieren, wo der Kundenbedarf am größten ist, mit welchen Produkten der größte Vorteil entwickelt wird und wo der schnellste Abschluss möglich ist. Um die Fixkosten zu senken, bieten sich auch Dienstleister an – um beispielsweise eine grafische Benutzeroberfläche zu gestalten, muss man kein eigenes Personal einstellen.
VC Magazin: In welchem Rahmen bewegen sich derzeit die Bewertungsvorstellungen von Gründern in den Bereichen Software und Medien?
Klüppel: Je professioneller das Team ist und je vielversprechender der Businessplan ausschaut, desto höher sind auch die Vorstellungen. Allerdings diskutiert man in diesen Fällen auch weniger emotional, und die Gründer sind eher zu Kompromissen bereit. Grundsätzlich sollten Bewertungsvorstellungen immer ambitioniert sein, aber mittlerweile sind auch die Daumenregeln der Branche bekannt: Ein Multiple von 5 bis 10 muss erreichbar sein. Es kommt aber oft eher auf ein partnerschaftliches Verhältnis als auf eine kurzfristige Bewertungsoptimierung an.
Götz: Wir leben derzeit sicherlich in einem Käufermarkt, aber bei Deals mit einer spannenden Idee besteht immer noch Wettbewerb auf der Investorenseite. Gute Projekte erhalten eine gute Bewertung, und schlechte Projekte finden heutzutage keinen Investor mehr.
VC Magazin: In welchen Internet-Segmenten können Investoren derzeit Geld verdienen?
Götz: Bei Social Networks steht die Frage nach dem Geschäftsmodell bis heute im Raum. Aus Investorensicht ist E-Commerce spannender, weil die Monetarisierung Teil des Konzeptes ist. Sehr viele Nischen – egal ob Lebensmittel, Reisen oder Schuhe – können funktionieren, wenn der jeweilige Ansatz stimmt. Wir setzen bei unseren Investments im E-Commerce-Umfeld aber eher auf die Technologie, z.B. bei Corporate World.
Klüppel: Im E-Commerce herrscht großes Gedränge. Jeder kleine Einzelhändler versucht sich mit einem Shop, dazu kommen viele hundert Start-ups. Die Margen sind so niedrig, dass neben zwei bis drei Marktführern nur extreme Nischenanbieter, die sich ganz tief eingraben, eine Chance haben werden. In unserem Portfolio ist das beispielsweise Mister Spex. Das Start-up verkauft Brillen und Kontaktlinsen.
VC Magazin: Smartphones und sogenannte App-Stores werden immer populärer. Mit welchen Applikationen können Gründer Geld verdienen?
Klüppel: Die weitere Penetration der Gesellschaft mit Smartphones verspricht hohes Potenzial, aber allein bei Apple gibt es schon mehr als 100.000 Applikationen. Das erschwert es ungemein, an den Endkunden zu kommen. Der direkte Verkauf stellt daher kaum eine Option dar, weil man in diesem Umfeld leicht untergeht und außerdem die Preise sinken. Der Trend geht in Richtung Werbefinanzierung.
Götz: Ich weiß nicht, wie es Ihnen da geht, Herr Klüppel, aber ich habe in dieser App-Umgebung noch kein Start-up gefunden, das für uns von Interesse war. Bei den meisten Firmen ist der Finanzbedarf auch deutlich unter der Schwelle, die für Venture Capital relevant ist.
Klüppel: Ich möchte jetzt nicht ausschließen, dass wir in einen App-Entwickler investieren. Wie im Internet lässt sich auch im mobilen Sektor mit Gaming, Flirten und E-Commerce Geld verdienen.
VC Magazin: Wie sehen Erfolg versprechende Geschäftsmodelle im Bereich Online-Gaming aus, auch im Rahmen von Communitys?
Klüppel: Hier besteht das gleiche Problem wie bei den Applikationen für das iPhone – es gibt Dutzende, vielleicht Hunderte von Akteuren, die die viralen Effekte bei Facebook ausnutzen wollen. Hier wird jede Handlung im Game sämtlichen Kontakten angezeigt, die dann selbst oftmals mitspielen. Hier hat sich Farmville als das am schnellsten wachsende Online-Game der Geschichte herausgestellt – inwieweit sich ein nachhaltiger wirtschaftlicher Erfolg einstellen wird, ist umstritten.
VC Magazin: Herr Götz, welche Optionen bieten sich Gaming-Gründern alternativ?
Götz: Wenn ich das wüsste, wäre ich kein Kapitalgeber mehr, sondern würde das selber umsetzen. Wir haben uns in der Vergangenheit viele Businesspläne angeschaut und uns intensiv mit dem Markt beschäftigt. Ein Muster, das am Ende nun wirklich erfolgreich sein wird, konnten wir nicht erkennen. Grundsätzlich sehen wir aber einen Trend in Richtung zum Serious Gaming, sprich Lerninhalte. Da geht es weniger um Entspannung, sondern vielmehr um Wissenstransfer. Dieser Markt wächst vielleicht nicht so dramatisch, ist aber besser einzuschätzen.
VC Magazin: Welche Chancen ergeben sich für Gründer durch offene Schnittstellen und Open Source?
Klüppel: Offene Schnittstellen sind heutzutage ein integraler Bestandteil. Die Filmdatenbank Moviepilot steht der ganzen Community zur Verfügung, und auch andere Webseiten können sie benutzen. Die gesamten Produkte, die darauf aufsetzen, sprich die Algorithmen für Empfehlungen, sind proprietär und werden nicht aus der Hand gegeben. Auch bei der 3D-Welt Twinity erstellen die User über offene Schnittstellen Content, sie bauen z.B. Straßenzüge ihrer Stadt nach. Die spätere Kommerzialisierung bleibt dann in der Hand der Gesellschaft.
Götz: So ähnlich handhaben wir das bei unserer Beteiligung Oxid eSales. Das Unternehmen hat ursprünglich Software für Online-Shops verkauft und ist dann in das Open Source-Lager gewechselt. Ergänzend zur kostenlosen Software erstellt die Community Inhalte, um proprietäre Angebote herum werden Dienstleistungen angeboten.
VC Magazin: In der letzten Legislaturperiode hat die damalige Regierungskoalition ein Private Equity-Gesetz auf den Weg bringen wollen. Welche Wünsche haben Sie an die neue Regierung?
Götz: Die alte Bundesregierung hat es vor allem geschafft, der gesamten Branche das Heuschrecken-Image überzustülpen – ohne zwischen Business Angels, Venture Capital und Private Equity zu differenzieren. Als Katalysator für Innovationen brauchen wir mehr Kapitalgeber für die frühe Phase. Wenn man sich mal die Nachbarländer wie Frankreich anschaut, dann sieht man das Potenzial, das sinnvolle Gesetze erschließen können. Auch ist eine zweite Runde des High-Tech Gründerfonds nicht allein seligmachend. Es muss einen Markt geben, der die anfinanzierten Unternehmen aufnehmen und weiterführen kann.
Klüppel: Dem kann ich mich nur anschließen. Schön wäre außerdem eine Imagekampagne, um Verständnis zu wecken für innovative Unternehmer und Finanziers, die den Unternehmensaufbau erst ermöglichen.
VC Magazin: Für das kommende Jahr plant das Business Angels Netzwerk Deutschland eine ganzjährige Themenoffensive. Wie stehen Sie dazu?
Götz: In diesem Lande, in dem es eine keine Investitionskultur in Venture Capital-Fonds gibt, sind Business Angels ein wichtiger Brückenkopf. Dieses Wirken, das bislang doch eher versteckt passiert, muss man öffentlich machen.
Klüppel: Eine solche Kampagne geht in die richtige Richtung und wird von unserer Seite auch unterstützt. Das Zusammenspiel zwischen Business Angel und Venture Capital-Investor ist wichtig.
VC Magazin: Welche neuen Medienangebote nutzen Sie?
Götz: Schon aus beruflichem Interesse probiere ich alles einmal aus. Der Spaßfaktor darf ja auch nicht zu kurz kommen. Bislang hat mich allerdings wenig so gefesselt, dass ich es längerfristig genutzt habe. Wirklich im Gebrauch sind bei mir Facebook mit seinen Möglichkeiten sowie verschiedene Lokalisierungsdienste.
Klüppel: Ich bekomme täglich Businesspläne zu neuen Games, Facebook-Applikationen und IPTV-Angeboten auf den Tisch, sodass ich wenig Zeit habe, so etwas auch privat auszuprobieren. Davon abgesehen nutze ich seit mehr als zwei Jahren mein iPhone, bin begeistert von Facebook und schaue in ein oder zwei virtuellen Welten vorbei.
VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Torsten Paßmann.
Zu den Gesprächspartnern
Mattias Götz arbeitet seit mittlerweile knapp zehn Jahren für LBBW Venture in Stuttgart. Dort leitet er das Investmentteam für den Bereich IT. Jochen Klüppel ist Partner bei der ebenfalls in Stuttgart ansässigen Grazia Equity, der er seit 2002 angehört. Sein Schwerpunkt liegt in den Bereichen Medien, Internet and Software.