VC Magazin: Was treibt Sie an, sich für das bedingungslose Grundeinkommen einzusetzen?
Werner: Es ist die Beschäftigung mit der Frage, in was für einer Gesellschaft wir eigentlich leben wollen. Daraus folgt beispielsweise die Erkenntnis, dass es ein grundlegendes Problem in unserer Gesellschaft ist, dass wir meinen, wir würden arbeiten und dafür bezahlt werden. In Wirklichkeit ist es umgekehrt. Wenn ein Mensch in dieser Gesellschaft leben will, braucht er erst einmal ein Einkommen. Einkommen ist die Voraussetzung zur Arbeit, ob für einen Staatsanwalt, Richter, Lehrer oder die Bundeskanzlerin. Denn Arbeit bedeutet, etwas für andere zu leisten. Wer arbeitet, hat die Bedürfnisse seiner Mitmenschen im Blick, und das ist nur möglich, wenn für die eigenen Bedürfnisse gesorgt ist. Wenn ich am Ende eines Einstellungsgesprächs eine Gehaltsvereinbarung getroffen habe, dann nicht, weil der- oder diejenige eine bestimmte Leistung erreicht hatte, sondern damit er oder sie es sich leisten konnte, bei uns anzufangen. Es ist wie im Weingärtner-Beispiel aus Matthäus 20, Neues Testament: Jeder Arbeiter erhält einen Dinar – unabhängig davon, wie lange er gearbeitet hat –, damit er den Tag leben und morgen wieder arbeiten kann. Ähnliche Gedanken zum Grundeinkommen findet man z.B. auch bei Erich Fromm, Thomas Paine, Ralf Dahrendorf oder Martin Luther King.
VC Magazin: Was sind für Sie die Eckpfeiler des bedingungslosen Grundeinkommens?
Werner: Artikel 1 unserer Verfassung heißt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Also müssen wir Verhältnisse schaffen, damit die Würde des Menschen nicht angetastet werden kann. Dazu gehört ein Einkommen in einer Höhe, von dem Sie menschenwürdig leben können – gegenwärtig sehe ich 1.000 EUR als eine realistische Größe. Denn die Würde des Menschen beinhaltet das Recht, Nein zu fragwürdigen Arbeitsofferten sagen zu können, und dies kann nur der, dessen Existenz gesichert ist.
VC Magazin: Wie wollen Sie das alles finanzieren?
Werner: Wir können das Grundeinkommen realisieren, indem wir alle Steuern abschaffen und die Mehrwertsteuer auf 50% erhöhen. Denn unsere Staatsquote in Deutschland liegt bei knapp 50%; die Hälfte der Güter und Dienstleistungen wird privat, die andere Hälfte von der Gemeinschaft verfügt. Hinter meiner Forderung nach konsumbasierten Steuern steht die Erkenntnis, dass alle Steuern, Gebühren, Abgaben, also die gesamte Staatsquote, sowieso in den Preisen verkalkuliert werden. Der Staat wird von denen getragen, die konsumieren. Und die Idee der Konsumsteuer sagt: „Besteuere nicht die Blüte des Apfels, sondern besteuere den Apfel bitte erst, wenn er reif ist und konsumiert werden kann.“ Das heißt, wir verlegen den Moment der Besteuerung an das Ende der Wertschöpfungskette. Damit deformieren und verzerren wir unsere gesamte Wertschöpfung nicht mehr, indem wir schon frühzeitig mit einkommensbasierten Steuern zugreifen. Steuern, die anfallen, bevor ein Produkt fertig und verkauft ist, treiben sozusagen fiskalischen Knospenfrevel. Mit der Mehrwertsteuer besteuern wir die Leistung erst beim Übergang in den Konsum, und das würde dazu führen, dass die ganzen Verzerrungen unseres Steuersystems verschwinden würden. Im Moment gilt aber noch ein 400 Jahre altes Sozialverständnis: Jeder arbeitet für sich selbst und lebt von seiner Ernte, sprich seinem Einkommen, und gibt davon dann seinen Zehnten ab an die Herrschaft. Aber niemand in unserer Gesellschaft lebt von seiner eigenen Ernte.
VC Magazin: Welchen Wert hat Geld noch, wenn wir das bedingungslose Grundeinkommen haben?
Werner: Der Hauptirrtum in unserer Gesellschaft ist, zu meinen, das Geld wäre der Wert. Aber Geld hat ja keinen Wert, deswegen heißt es auch Schein, Geldschein. Das Problem ist, dass wir einen Geldstau, einen virtuellen Liquiditäts-See vor uns herschieben, bei dem wir so tun, als ob er real wäre. Wert haben nur Güter und Dienstleistungen. Das offenbart auch die Finanzblase, bei der mit betrügerischen Manipulationen durch Banken Illusionswerte generiert wurden, die die Menschen als reale Werte betrachteten. Wenn dann alle Menschen ihre geldmäßigen Möglichkeiten realisieren wollen, bricht alles zusammen. Was ich aber noch faszinierender finde: Die Finanzkrise selbst ist auch eine Illusion. In Wirklichkeit war sie ein Kreditbetrug. Aus diesem Kreditbetrug hat man dann eine Finanzkrise gemacht, und plötzlich waren die Täter Opfer. Wenn Sie ein Metzger wären und dem frischen Hackfleisch von heute 20% faules Hackfleisch von letzter Woche dazugäben, würden Sie geradewegs ins Gefängnis kommen. Wenn Sie das aber mit Geld, mit verbrieften Dingen bewerkstelligen, wird es anschließend zur Krise erklärt und Sie sind dann kein Täter mehr, sondern Opfer.
VC Magazin: Kommen wir zu Private Equity. Ist es für Sie eine sinnvolle Finanzierungsoption?
Werner: Private Equity-Häuser hatten immer wieder bei mir angeklopft. Ich selbst bin im Aufsichtsrat von Unternehmen, bei denen Private Equity-Leute Miteigentümer sind. In meinem Buch „Einkommen für alle“ habe ich im Kapitel „Denken wie Onkel Dagobert“ über die Auswirkungen von Investoren auf ein Unternehmen geschrieben. Private Equity-Häuser machen letzten Endes nichts, sie bringen nichts ein. Ein Investor fragt: „Wo finde ich etwas in der Welt, das an Wert gewinnt, weil ich es hübscher verpacke?“ Private Equity kann immer nur das entfesseln, was an Möglichkeiten schon im Unternehmen liegt. Wenn es wirklich Leute sind, die etwas gut machen, werden sie selbst Unternehmer. Mir hat kürzlich eine Frau gesagt: „Ich bin Hartz IV-Empfängerin. Bei einer leeren PVC-Flasche auf der Straße fragen viele, wer denn da seinen Müll weggeworfen habe. Ich hingegen sehe da 25 Cent.“ Und während viele in einem Unternehmen eher eine Wegwerfflasche sehen, sagen Investoren: „Nein, da liegt Geld, deswegen werde ich mich schleunigst bücken und das aufheben und mich nicht drüber aufregen, warum da einer seinen Müll liegen lässt.“
VC Magazin: Zum Schluss: Welche Leitgedanken haben Sie stark geprägt?
Werner: Mit 17 Jahren hatte ich einen Rudertrainer, der uns BB als Leitspruch mitgegeben hat. BB heißt: „Beharrlich im Bemühen. Bescheiden in der Erfolgserwartung.“ Die meisten Vorhaben scheitern daran, dass man ungeduldig im Bemühen und anspruchsvoll in der Erfolgserwartung ist. Ein weiterer Leitspruch war: „Jeder Tag ist ein Beginn von vorne“, das ist das Schumpeter’sche Prinzip. Wer sein Geschäftsmodell nicht jeden Tag neu überprüft und hervorbringt, dessen Sache wird schnell alt und marode. Der dritte wichtige Spruch für mich ist: „Wer will, findet Wege, und wer nicht will, findet Gründe.“
VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch.
Georg von Stein
redaktion (at) vc-magazin.de
Zum Gesprächspartner
Prof. Götz Werner ist Gründer und Aufsichtsrat der dm-drogerie markt GmbH, die 1973 in Karlsruhe den ersten dm-Markt eröffnete. Heute betreibt das Unternehmen 2.400 Geschäfte in elf europäischen Ländern und beschäftigt 36.000 Mitarbeiter. Werner gilt als der prominenteste Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle Menschen.