In den Jahren 2001 bis 2009 waren Großkonzerne in Deutschland die wichtigste Deal-Quelle für mittelgroße Buyouts. Bei nahezu jedem zweiten Private Equity-Deal stand auf der Verkäuferseite ein Dax- oder MDax-Unternehmen oder aber ein großer Familienkonzern. Alleine die Dax 30 Unternehmen hatten sich in diesem Zeitraum von insgesamt rund 800 Beteiligungen getrennt. Meist handelte es sich dabei um in Deutschland ansässige Firmen. Die umfassendsten Veränderungen in ihren Beteiligungsportfolios nahmen Industriekonglomerate wie Siemens, RWE oder Eon sowie die Chemieriesen BASF und Bayer vor. Die Folge: Heute stößt man in den Portfolios der deutschen Großindustrie kaum noch auf Beteiligungen, die offensichtlich nicht zum strategischen Kerngeschäft zählen. In den letzten zwei Jahren schien daher die “Deal-Quelle Großkonzern“ weitgehend auszutrocknen.
Allerdings mehren sich die Anzeichen, dass die Divestment-Aktivität bei deutschen Großkonzernen in diesem Jahr wieder an Fahrt gewinnen wird. So gab beispielsweise im Januar 2012 der Bosch-Konzern den Verkauf seiner Basis-Bremsensparte mit einem Umsatzvolumen von über 800 Mio. EUR an den Finanzinvestor KPS bekannt. Dieser Fonds investiert primär in Restrukturierungen, Sanierungen und andere Sondersituationen.Offenbar wächst derzeit gerade bei börsennotierten Aktiengesellschaften das Interesse, sich von unterdurchschnittlich rentablen Geschäften zu trennen, die die Rendite und das Wachstumsprofil des Unternehmens verwässern. Gleichzeitig sollen die freigesetzten Mittel genutzt werden, den finanziellen Spielraum für Wachstumsinvestitionen zu verbessern. So verkündete ThyssenKrupp unlängst ein umfassendes Desinvestitionsprogramm, das unter anderem den Verkauf der Edelstahlsparte mit einem Umsatzvolumen von über 6 Mrd. EUR vorsieht. Insgesamt will sich der Konzern von Geschäftsbereichen im Wert von 10 Mrd. EUR und mit weltweit 35.000 Beschäftigten trennen.
Zentrale Treiber für die vielerorts erwarteten Portfoliobereinigungen sind die in vielen Branchen zu beobachtenden kürzeren Produkt- und Unternehmenszyklen, die zunehmende Volatilität bei den Ergebnismargen sowie die kürzeren Amtsperioden der jeweiligen Managementteams. Im Ergebnis führt dies dazu, dass Aktivitäten, die noch gestern ohne jeglichen Zweifel zum Kerngeschäft zählten, bereits heute auf den Prüfstand gelangen.
Auch die in den Führungsetagen manches DAX-Konzerns zunehmende Bereitschaft für größere Akquisitionen lässt erwarten, dass die Konzerne auch den Finanzinvestoren weiterhin Business Units zum Verkauf anbieten werden. Schließlich fallen bei Großübernahmen in der Regel im Nachgang Divestments an, um Überlappungen zu vermeiden, Kartellauflagen zu erfüllen oder die Verschuldung zu begrenzen. Zudem ist damit zu rechnen, dass sich viele Großkonzerne von ihren Servicebereichen trennen werden. Neben IT- und Standortdienstleistungen kommen hierfür auch Call-Center, Lagerhaltungs- und Speditionsaktivitäten in Betracht.
Während sich zuletzt bei zahlreichen Verkaufsprozessen strategische Käufer mit relativ hohen Preisen durchsetzen konnten, sind für die nächste Exit-Welle Finanzinvestoren mit einem umfassenden Track Record bei Carve-outs und Restrukturierungen sowie einem klaren Fokus auf unterdurchschnittlich profitable Geschäftsbereiche gut positioniert.
Zum Autor
Dr. Michael R. Drill ist Vorstandsvorsitzender der Lincoln International AG (www.lincolninternational.de), einer auf M&A-Beratung spezialisierten Investmentbank mit weltweit etwa 260 Mitarbeitern. Im deutschsprachigen Raum hat Lincoln International mit etwa 45 Mitarbeitern im Jahr 2011 über 20 M&A-Deals erfolgreich abgeschlossen.