VC Magazin: Das alles beherrschende Thema des Jahres 2011 war die europäische Schuldenkrise. Wie hat sich die Krise auf die Schweizer Wirtschaft und insbesondere auf die Start-up-Landschaft ausgewirkt? Wenger: Die Schweiz kann sich Europa nicht entziehen: Wir sind ein wichtiger Wirtschaftsstandort, weltweit Finanzplatz Nummer 7, für Deutschland der zweitwichtigste Wirtschaftspartner, Deutschland ist für uns der wichtigste. Wir sind ein kleines Land und von unseren intensiven wirtschaftlichen Beziehungen zu Europa abhängig. Besonders die Währungsdifferenz zum Euro hat unsere Exportwirtschaft geschwächt, sie kann im Moment nicht mehr kompetitiv arbeiten. Das führt zu einem unglaublichen Druck auf unsere Realwirtschaft. Und der lastet auch auf jungen Unternehmen. 2012 und 2013 werden sehr anspruchsvolle Jahre für die Schweiz werden. VC Magazin: Wie beurteilen Sie die Finanzierungssituation junger Schweizer Unternehmen derzeit? Wenger: Vor dem Hintergrund der Krise herrscht auf dem Venture Capital-Markt derzeit keine euphorische Stimmung, es ist ruhig geworden. Richtig gute Deals werden aber nach wie vor finanziert, wir haben 2012 auch mehrere Folgefinanzierungen gesehen. Sehr aktiv sind derzeit Business Angels und Family Offices, institutionelle Venture Capital-Firmen sind dagegen zumindest in der deutschen Schweiz im vergangenen Jahr nicht groß in Erscheinung getreten. Umso wichtiger ist es, mehr qualifiziertes institutionelles Kapital anzuziehen. Wir haben einfach zu wenig Venture Capital in der Schweiz. VC Magazin: Wie beurteilen Sie die Situation im internationalen Vergleich? Wenger: Im Moment schauen wir – wie die gesamte europäische Branche auch – nach Berlin: Von der deutschen Hauptstadt geht derzeit eine enorme Sogwirkung auf Gründer gerade im Bereich Internet und Mobile aus – und die Finanzierer folgen ihnen. Die Stadt gilt als hip, die Mieten und Lebenshaltungskosten sind niedrig. Zürich kann da im Moment nicht mithalten, obwohl hier große multinationale Firmen wie Microsoft oder IBM ansässig sind. Wir müssen uns anstrengen, um mit Berlin mithalten zu können. VC Magazin: Stellvertretend für die gesamte Branche haben Sie bereits im vergangenen Jahr öffentlich einen staatlichen Seed-Fonds für die Schweiz nach Vorbild des deutschen High-Tech Gründerfonds gefordert. Welche Schritte hat die Branche in der Zwischenzeit in dieser Richtung unternommen?
Wenger: Unter der Schirmherrschaft der Kommission für Technologie und Innovation (KTI) ist eine Arbeitsgruppe aus Experten vom KTI und der Industrie zusammengetreten, die sich intensiv mit dieser Frage befasst. Im Moment ist es nicht absehbar, zu welchem Ergebnis die Gruppe kommen wird und ob ein staatlicher Seed-Fonds tatsächlich eine Chance hat. Für die Schweiz wäre es ein sehr wichtiger Schritt, ein staatliches Koinvestmentvehikel einzurichten, der Start-up-Szene würde das äußerst guttun. Es handelt sich dabei aber in einem liberalen Land wie der Schweiz um ein sehr schwieriges Thema. VC Magazin: Anfang 2011 haben Sie außerdem eine Sensibilisierungskampagne angekündigt, um die Öffentlichkeit für das Thema Frühphasenfinanzierung und Entrepreneurship zu gewinnen. Welche Maßnahmen haben Sie in diesem Zusammenhang umgesetzt? Wenger: Die Themen Unternehmensgründung und Start-up-Förderung werden in der Öffentlichkeit bereits viel stärker wahrgenommen als noch vor zehn Jahren. Allerdings erachten die Medien – Fachmedien ausgenommen – den Themenkomplex noch nicht als interessant genug, um es regelmäßig aufzugreifen. Das wollen wir durch den gezielten Dialog mit den großen heimischen Verlagen ändern, den wir seit letztem Jahr verstärkt führen. Im Laufe der kommenden zwei Jahre ist außerdem ein White Paper zur Aufklärung in der Öffentlichkeit geplant. Gleichzeitig sind wir an verschiedenen anderen Fronten tätig: Unter der Schirmherrschaft der SECA haben Experten aus sieben Zürcher Anwaltskanzleien eine Musterdokumentation für Finanzierungsrunden verfasst. Das Dokument steht auf der SECA-Website zum Download bereit und soll dazu beitragen, den Markt zu professionalisieren und Strukturen zu schaffen. Wir führen außerdem regelmäßig Private Equity-Seminare für Anwälte durch, um Beteiligungsthemen einem breiteren juristischen Publikum näherzubringen. Außerdem gibt es verschiedene Initiativen zur Aus- und Weiterbildung von Business Angels. VC Magazin: Was sind für die SECA die wichtigsten Themen auf der Agenda 2012 im Frühphasenbereich? Wenger: Die angesprochene Initiative zur Gründung eines staatlichen Koinvestmentfonds steht ganz oben auf unserer Agenda. Ein weiteres Hauptthema ist nach wie vor die Verbesserung der Rahmenbedingungen. Das schweizerische Aktienrecht ist für junge Unternehmen sehr umständlich, die Strukturen sind schwerfällig und unflexibel. Die SECA fordert außerdem schon seit Langem, Artikel 725 des Obligationenrechts zu revidieren. 2011 war jedoch ein Wahljahr in der Schweiz – da passiert naturgemäß nur wenig. Stärken hat die Schweiz im Arbeitsrecht: Es ist ausgewogener und flexibler als in Nachbarländern und eine gelungene Lösung aus arbeitgeber- und arbeitnehmerfreundlichen Regelungen. Das Gespräch führte Susanne Gläser.
Zum Gesprächspartner
Dr. Christian Wenger ist Vorstandsmitglied des Branchenverbandes Swiss Private Equity & Corporate Finance Association (SECA) (www.seca.ch). Er ist außerdem Chairman der Finanzierungsplattform CTI Invest und Partner bei Wenger & Vieli AG Rechtsanwälte (www.wengervieli.ch), Zürich.
Foto bitte bei Andreas Potthoff besorgen (liegt im Archiv)