Der Markt für Distressed Assets hat deutlich an Fahrt aufgenommen

Die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland ist im vergangenen Jahr noch einmal um rund 7% und damit fast auf das Niveau von 2007 zurückgegangen. Weltweit haben sich die Insolvenz-Deals 2011 gegenüber dem Vorjahr halbiert und damit ebenfalls das niedrige Niveau von 2007 erreicht. Doch der Konjunkturmotor stottert: Die Verlangsamung der Weltwirtschaft sowie die Krise in der EWU haben ihre Spuren auch in der lange Zeit robusten deutschen Wirtschaft hinterlassen. Und der Ausblick für 2012 ist – trotz der zuletzt positiveren Zeichen aus der Europäischen Währungsunion – von starker Unsicherheit geprägt. Da die Krise längst noch nicht beigelegt ist, erwarten die führenden Wirtschaftsauguren für Deutschland zumindest eine Stagnation.

In den Work-out-Abteilungen deutscher Banken ist die Anzahl der Restrukturierungsfälle bereits sprunghaft angestiegen. Mit leichter zeitlicher Verzögerung wird sich dies auch auf die Anzahl der Defaults auswirken. Die Großinsolvenzen der letzten Monate – etwa von Manroland (www.manroland.com), Petroplus (www.petroplusholdings.com), Schlecker (www.schlecker.com), Sietas (www.sietas-werft.de) und Solon (www.solon.com) – sind ein erster Vorbote. Die Abschwächung der Konjunktur ist jedoch nicht die alleinige Ursache, da sich deutsche Unternehmen – nach Kosteneinsparmaßnahmen und Erhöhung der Cash-Positionen – generell gesprochen noch in einem recht guten gesundheitlichen Zustand befinden. Nach Untersuchungen von Morgan Stanley (www.morganstanley.com) befindet sich auch der Leverage europäischer Unternehmen auf dem niedrigsten Niveau seit Anfang der 1990er.

Ein weiterer Grund liegt in der deutlich restriktiveren Kreditvergabe von Banken: Auswertungen von Credit Suisse belegen, dass die europäischen Banken ihr Exposure im zweiten Halbjahr 2011 signifikant zurückgefahren haben und die Netto-Kreditvergabe seit etwa sechs Monaten negativ ausfällt. Vergleichbare Werte gab es zuletzt Mitte 2009! Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Standard & Poor’s (www.standardandpoors.com), die von einem Ende des „phony war of forbearance“ sprechen, bei dem Banken ihre Engagements mit notleidenden Unternehmen in den letzten zwei Jahren immer wieder still und leise verlängert haben. Dies wird durch eine aktuelle Umfrage der EZB bestätigt: Danach wurden die Standards bei der Kreditvergabe in den beiden letzten Quartalen des Jahres 2011 bereits deutlich angezogen. Und die befragten Banken rechnen damit, dass sich dieser Trend 2012 fortsetzen wird. Die Kreditinstitute stehen unter hohem Druck, Eigenkapital einzuwerben oder aber das Volumen ihrer Kreditbücher abzubauen, um die neuen Regularien zu erreichen. Die anstehende Refinanzierungswelle wird also doch nicht so einfach über uns hinwegtropfen, wie viele noch vor neun Monaten vermutet haben.

Doch was bedeutet all dies für den Markt für Distressed Assets? Zunächst hat sich die Qualität der Restrukturierungs- und Insolvenzfälle wieder verbessert. Der Anteil derjenigen Unternehmen, die über interessante und operativ profitable Geschäftsmodelle verfügen und im Wesentlichen aufgrund anstehender Kreditrückzahlungen in Schieflage geraten sind, steigt. Gleichzeitig kehren immer mehr Investoren aktiv an den Markt zurück. Die Erholung an den Aktienmärkten sowie die gesunkene Volatilität hat die Verunsicherung und Zurückhaltung der Käufer beendet. Schließlich ist erkennbar, dass sich auch die Bewertungserwartungen von Verkäufern und Käufern – anders als im zweiten Halbjahr 2012 – wieder aufeinander zubewegen.

Der Markt für Distressed Assets ist bereits wieder angesprungen und bietet gerade im aktuellen Umfeld eine Vielzahl attraktiver Targets!

Zum Autor
Dr. Thomas Sittel ist Director im Münchener Büro von goetzpartners Corporate Finance (www.goetzpartners.com) und verantwortet den Geschäftsbereich Distressed M&A. Er verfügt über umfangreiche Erfahrung bei der Strukturierung und Umsetzung von M&A-Transaktionen, insbesondere für Unternehmen in Krisen- und Insolvenzsituationen. Schwerpunktmäßig ist er in den Branchen Automotive, Maschinen- und Anlagenbau sowie Konsumgüter tätig.