VC Magazin: Was sind – in aller Schlagwortkürze – die zentralen Herausforderungen, vor denen die Chemie-Industrie steht?
Mohr: Die Welt steht vor großen Herausforderungen und ein wesentliches Stichwort ist Ressourceneffizienz. Wir sind dazu aufgefordert, diesen Wandel zu unterstützen. Das führt uns dann sehr schnell zum Thema Open Innovation und Vernetzung, um diese Themen zu adressieren.
Hackmann: Für die chemische Industrie sind aus Sicht von Venture Capital komplett neue Denkansätze und nachhaltige Lösungen mit die wichtigsten Themen.
Jerschensky: Auch der asiatische Markt ist eine große Herausforderung – einerseits wegen attraktiver Marktchancen, andererseits wegen Fragen des geistigen Eigentums und einer Good Enough-Mentalität vieler Kunden, die zu neuen Anforderungen an geeignete Produkte und künftige Innovationen führen.
VC Magazin: In welchen Teilbereichen sehen Sie das größte Potenzial für Start-ups, ein für Sie interessantes Geschäftsmodell zu entwickeln?
Hackmann: Bei den globalen Trends gelten für Start-ups die gleichen Rahmenbedingungen wie für Großunternehmen. Wer sich auf neue Ideen im Bereich Cleantech konzentriert, etwa Wasser oder Windkraft, landet nahezu automatisch auf unserem Radarschirm. Dies sind gute Beispiele dafür, wie uns zunehmend nicht nur Chemikalien und Advanced Materials alleine, sondern auch ein tieferes Verständnis in deren Anwendung interessieren.
Mohr: Unsere Kunden in der Spezialchemie erwarten, dass wir ihnen ständig neue Ansätze bieten, um ihre Wettbewerbsfähigkeit am Markt zu erhöhen. Wir konzentrieren uns auf die weltweiten Megatrends Gesundheit, Ernährung, Ressourceneffizienz und Globalisierung – Beispiele hier sind Klimaschutz, Elektromobilität, Leichtbau und industrielle Biotechnologie. In diesen Bereichen sehen wir ein großes Potenzial für Sprunginnovationen und entsprechend auch Wachstums- und Kooperationsmöglichkeiten für innovative Start-ups.
Winkler: Wenn Sie einen Blick in das Portfolio des High-Tech Gründerfonds werfen, sehen Sie diese Trends auch abgebildet. Daneben gibt es aber auch Bereiche, wo das Thema Chemie auf den ersten Blick ziemlich fern scheint. Bei NonWoTecc, einem Medtech-Unternehmen aus unserem Portfolio, beruht die Innovation einer Gefäßprothese auf einer Materialeigenschaft, die in der Chemie entstanden ist. In diesem Sinne lautet mein konkreter Rat für Gründer aus der Universität: offen sein und interessante Nischen suchen. Denn manchmal lassen sich ganz triviale Ansätze sehr clever auf andere Felder übertragen.
Hackmann: Wichtig ist, dass eine wegweisende Technologie entsteht. Diese muss das Potenzial haben, überproportionales Wachstum anzuregen.
Jerschensky: Wir sehen eine Reihe von Möglichkeiten, unsere bestehenden Geschäftsbereiche mit neuen Technologien und kreativen Ansätzen zu verstärken. Und natürlich unsere Technologieplattformen „Biotechnologie“, „Nanotechnologie“ sowie „Printed Electronics“ weiter aus- bzw. aufzubauen.
VC Magazin: Wie verliefen in Ihren jeweiligen Häusern die Diskussionen, sich erneut bzw. erstmals am High-Tech Gründerfonds zu beteiligen?
Jerschensky: Wir haben uns hier schnell von der Geschäftsführung des High-Tech Gründerfonds von ihrem Konzept und der guten Vernetzung in die Gründerszene überzeugen lassen, sodass uns die Entscheidung für eine Beteiligung leichtgefallen ist. Dann unterstützen wir die grundsätzliche Idee hinter dem High-Tech Gründerfonds, Gründern Kapital bereitzustellen, das diese sonst nicht oder nur schwer erhalten würden. Wir sehen unser Engagement daher auch als gesellschaftliche Verantwortung.
Hackmann: Bei BASF streben wir stets nachhaltige Engagements an. Wir waren als Gründungsmitglied schon am ersten Fonds beteiligt und mit dem Verlauf sehr zufrieden. Daher stand es für uns außer Frage, uns auch am zweiten Fonds zu beteiligen.
Mohr: Zwei wesentliche Argumente haben uns bewogen, uns am High-Tech Gründerfonds zu beteiligen. Das ist einmal die wirtschaftspolitische Relevanz für den Standort – der High-Tech Gründerfonds ist der wichtigste Spieler, der die Start-up-Szene hierzulande unterstützt. Da wollen wir ebenfalls ein Signal setzen, dass der Chemiesektor auch für Start-ups eine spannende Industrie ist. Der zweite Punkt ist, dass uns das Engagement erlaubt, branchenübergreifend Trends zu sehen, mit Start-ups in Kontakt zu kommen und Synergien auszuloten.
VC Magazin: Im ersten High-Tech Gründerfonds hatte BASF noch eine Ausnahmestellung. Was denken Sie darüber, dass bei der zweiten Auflage mit Altana und Evonik zwei weitere Branchenvertreter an Bord sind?
Jerschensky: Die Chemie ist untereinander sehr vernetzt, und so sind wir häufig gleichzeitig Konkurrenten, Kunden und Lieferanten. Zudem arbeiten wir im Rahmen von Open Innovation sowieso zusammen. Bei uns herrscht eine viel partnerschaftlichere Kultur als in anderen Branchen.
Mohr: Mir erscheint der Chemiesektor im High-Tech Gründerfonds-Portfolio unterrepräsentiert. Ich habe die Hoffnung, dass das Engagement von drei Großunternehmen aus diesem Bereich Gründern signalisiert, dass sich hier ein Start-up lohnt.
Winzer: Im Vergleich zu anderen Technologiefeldern ist unser Dealflow aus der Chemie tatsächlich kleiner, bei den abgeschlossenen Deals sieht das dann anders aus. Aber wir würden gerne in diesem Sektor mehr machen und haben daher gemeinsam die Chemieoffensive ins Leben gerufen.
VC Magazin: Wie soll diese Offensive in der Praxis aussehen?
Winkler: Aktuell haben wir zwölf Unternehmen, die sich dezidiert der Chemie-Industrie zuordnen lassen, mit assoziierten Randgebieten sind das 26 Start-ups. Im Gesamtportfolio entspricht das einem Anteil von 3,6%, den wir deutlich erhöhen wollen. Mit der Chemieoffensive wollen wir noch präsenter in den Universitäten sein und das Netzwerk in der Chemie – beispielsweise mit Verbänden – ausbauen. Darüber hinaus haben wir ein Key Account-Konzept eingeführt: Ein Investmentmanager des High-Tech Gründerfonds ist speziell für einen Chemie-Investor zuständig und filtert Möglichkeiten für die Zusammenarbeit mit Start-ups. Dazu werden wir bei der nächsten High-Tech Partnering Conference ((www.high-tech-gruenderfonds.de > partnering-conference) die sogenannte Chemielounge ausbauen.
VC Magazin: Der High-Tech Gründerfonds spricht gerne von Start-ups als kleinen, innovativen Beibooten, die großen Tankern nützlich sind. Welchen konkreten Nutzen versprechen Sie sich aus Ihrem Engagement?
Mohr: Für Evonik als ein führendes Unternehmen der Spezialchemie sind Innovationen unverzichtbar. Diese entwickeln wir schon lange nicht mehr zu 100% intern, sondern intensiv mit strategischen Partnern. Das sind Kunden, Lieferanten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen, aber auch Start-ups. Die Beteiligung am High-Tech Gründerfonds ist für uns ein wesentliches Instrument, mit jungen Unternehmen in Kontakt zu kommen.
Hackmann: Wir wollen mit den Start-ups, die wir hier kennenlernen, Konzepte erarbeiten, von denen beide profitieren. Sie sind im Regelfall schnell, flexibel und habe neue Ideen. Wir gleichen dies dann innerhalb der BASF mit den Möglichkeiten eines Großunternehmens ab. Das schafft Synergien für beide Seiten.
Jerschensky: Auch wir sehen die Investition in den High-Tech Gründerfonds weniger als Finanzinvestment. Uns kommt es eher darauf an, dass wir in dem Team des High-Tech Gründerfonds einen Partner haben, der uns aktiv bei der Suche nach neuen Technologien und interessanten Geschäftsmodellen unterstützt. Da wir als Altana organisatorisch und kulturell stark auf innovative Lösungen hin ausgerichtet sind, können wir zudem ein Umfeld bieten, das es jungen Unternehmen ermöglicht, ihre Ideen konsequent weiterzuentwickeln. Ob dies in Form einer Kooperation oder Beteiligung oder beidem geschieht, hängt dabei vom Einzelfall ab.
VC Magazin: Mit dem High-Tech Gründerfonds ist noch eine dritte Partei direkt in dieses Miteinander eingebunden. Welche Vorteile sehen Sie in der Zusammenarbeit mit den Konzernen?
Winzer: Über den monetären Nutzen der Fondsinvestments hinaus ist für uns viel mehr wert, dass wir über BASF, Altana und Evonik die Märkte besser verstehen können. Wir haben hier extrem großes Know-how in Märkten der Spezialchemie, das wir selbst nicht vorhalten können – beispielsweise Enzyme. Sofern wir das Einverständnis der Unternehmer haben, können wir schon im Rahmen der Due Diligence die Kontakte anzapfen, was die Auswahl erleichtert und zu einer besseren Investmententscheidung führt.
VC Magazin: In welcher Form bringen Sie sich über den Kapitaleinsatz hinaus im High-Tech Gründerfonds II ein? Wie können die Start-ups von Ihrem Engagement profitieren?
Mohr: Unsere Stärken bei Evonik beinhalten ein ausgewogenes Spektrum an Geschäftsaktivitäten und Endmärkten, die enge Zusammenarbeit mit den Kunden und eine marktorientierte Forschung und Entwicklung. Unser Ziel ist es, für Evonik interessante Start-ups aus dem Portfolio des High-Tech Gründerfonds in Kontakt mit den entsprechenden Geschäftseinheiten bei Evonik zu bringen, um hier frühzeitig Synergien und Möglichkeiten einer Kooperation evaluieren zu können. Dadurch wollen wir deren erfolgreiches Wachstum nicht nur finanziell, sondern auch mit technischem Know-how und strategischen Erkenntnissen unterstützen. Davon profitieren die Start-ups genauso wie wir.
Hackmann: Auf der ersten Stufe geht es erst einmal um Kooperationen. Aber wenn wir dann investiert haben, können wir die Start-ups noch besser unterstützen. Dazu gehören zum Beispiel Forschung & Entwicklung, aber auch REACH – die Registrierung von Chemikalien. Das ist für Start-ups oft eine große Herausforderung. Bei Fragen des geistigen Eigentums oder des Marketings bzw. Vertriebs können wir ebenfalls unsere Unterstützung anbieten.
Jerschensky: Auf der Ebene des Fonds engagieren wir uns, wie alle Industriepartner, im Investitionskomitee, das Start-ups über das kritische Hinterfragen des Geschäftsmodells wertvolle Impulse liefern kann. Ansonsten stehen für uns Entwicklungs- und Vertriebskooperationen im Vordergrund. So tauschen wir uns bereits intensiv mit einem Portfoliounternehmen des High-Tech Gründerfonds, das in anderen Märkten als wir aktiv ist, über eine gemeinsame Basistechnologie aus.
VC Magazin: Was wird passieren, wenn sich der High-Tech Gründerfonds von einem spannenden Start-up trennen möchte und mindestens zwei der Fondsinvestoren dieses übernehmen möchten?
Mohr: Als Investoren in den High-Tech Gründerfonds haben wir eine gewisse Vorteilsposition, weil wir die Unternehmen frühzeitig kennenlernen und auch vielleicht schon Kooperationen bestehen. Dadurch können wir den möglichen Mehrwert sehr gut beurteilen und die Preisfindung realistisch einschätzen.
Winzer: Es gibt aber keinen Automatismus, dass Portfoliounternehmen bevorzugt an unsere Investoren gehen. Die Gründer entscheiden immer selbst, ob sie den Kontakt zu unseren Fondsinvestoren suchen. Es ist vielleicht vergleichbar mit dem Dating von zwei Menschen: Man geht lange miteinander aus, aber mit wem man vor den Traualtar geht, ist eine völlig andere Entscheidung.
VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Torsten Paßmann.
Zu den Gesprächspartnern
Bernhard Mohr leitet die Anfang 2012 geschaffene Corporate Venture Capital-Einheit von Evonik (www.evonik.de), Dr. Claus Hackmann ist Investmentmanager bei BASF Venture Capital (www.basf-vc.de) und Dr. Andreas Jerschensky leitet bei der Altana AG (www.altana.de) die Abteilung Corporate Development/M&A. Alle drei Konzerne sind Investoren in die zweite Auflage des High-Tech Gründerfonds (www.high-tech-gruenderfonds.de). Dort gehören Marco Winzer und Ron Winkler zum Team für Life Sciences, Material Sciences und regenerative Energie.