Trügerische Statistik
Sowohl die Statistik des Bundesverbandes deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften (BVK) als auch das von FHP Private Equity Consultants erhobene VC-Panel weisen für das Jahr 2011 – wieder einmal – einen Rückgang des in deutsche Start-up-Unternehmen investierten Kapitals aus. So nahmen im abgelaufenen Jahr die 36 von uns regelmäßig befragten Venture Capital-Gesellschaften mit 445 Mio. EUR gut 10% weniger Kapital in die Hand als noch im Vorjahr. Im Vergleich zum Jahr 2008, dem noch besten Jahr innerhalb der letzten fünf Jahre, steht sogar ein Minus von 25%.Die Ausgangslage für kapitalsuchende Unternehmen hat sich dennoch nicht verschlechtert – ganz im Gegenteil. Folgende Trends sind von Bedeutung:
1. Ohne Öffentliche geht (fast) nichts
Fast jedes zweite Neuengagement eines VC-Investors wird heute unter der Mitwirkung eines (halb-)öffentlichen Investors wie der KfW (ERP-Startfonds) oder des High-Tech Gründerfonds abgeschlossen. Die „Öffentlichen“ haben sich zu einem festen Partner für private Venture Capital-Gesellschaften etabliert. Angesichts leerer Fonds und eines schleppenden Fundraisings wäre der Rückgang der Investitionen sonst noch stärker ausgefallen. Die Finanzierung der ganz frühen Unternehmensphase wäre ohne den High-Tech Gründerfonds wohl ganz zum Erliegen gekommen. Gründer sollten sich vorzeitig mit den Voraussetzungen, aber auch Grenzen dieser Programme auseinandersetzen und sie in ihren Businessplan einplanen.
2. Neue Investoren hat das Land
Öffentliche Investoren bieten attraktive Angebote für Koinvestoren an. In diesem „Fahrwasser“ haben sich zahlreiche Business Angel-Initiativen formiert. Einige Unternehmer, die selbst ihr einst venturefinanziertes Unternehmen erfolgreich verkaufen konnten, haben eigene Fonds aufgelegt. Auch wenn Privatinvestoren meist nicht die ganz großen Schecks schreiben, entwickelt sich dieser informelle Beteiligungsmarkt zunehmend zu einer Ergänzung, wenn nicht sogar zu einer Alternative zum klassischen Venture Capital-Markt.
3. Comeback der Corporates
Gut eine Dutzend industrienaher Wagniskapitalgesellschaften ist wieder am Markt aktiv. Vor allem Konzerne aus den Branchen Medien, Telekommunikation, Energieversorgung oder Biotech öffnen sich aufgrund teilweise disruptiver Veränderungen in ihren Stammmärkten innovativen Start-ups. Nach dem Jahr 2000 ist dies bereits der zweite Anlauf. Abzuwarten bleibt, ob der Atem der Corporates in der Rolle des Venture Capital-Investors diesmal lang genug ist.
4. Spezialisten setzen sich durch
In den letzten Jahren waren es vor allem auf einzelne Sektoren spezialisierte Venture Capital-Gesellschaften, die sich erfolgreich etabliert haben und neue Fonds auflegen konnten. Branchenkenntnisse sowie das dazugehörige Netzwerk waren dabei entscheidende Voraussetzungen, neben Kapital auch Beratung und proaktives Exit-Management in die Beteiligungen einzubringen. Einige der Beteiligungsgesellschaften konnten gerade im letzten Jahr Beteiligungen veräußern, deren Renditen nicht nur mit der internationalen Konkurrenz mithielten, sondern auch viele traditionelle Anlageklassen übertrafen. Unternehmer sollten sich an diese, zu ihrem Geschäftsmodell passenden Investoren halten.
5. Favoritenwechsel
Die klassischen Venture Capital-Sektoren Software und Biotech weichen zunehmend Branchen, die in Deutschland führend sind. Bereits 2011 wurde in Medizintechnik- und Cleantech-Unternehmen schon fast das meiste Kapital investiert. Nur Biotech-Unternehmen erhielten mehr Kapital – jedoch fast ausnahmslos im Zuge von Nachfinanzierungen. Geht es nach der Anzahl neuer Beteiligungen, dürfen sich Internetunternehmer die besten Chancen auf eine Finanzierung ausrechnen. Web 2.0 & Co. stand gerade in den letzten Monaten ganz oben auf der Wunschliste vieler Investoren.
6. Billiger geht es nicht
Die durchschnittlichen Unternehmensbewertungen von Start-ups zum Zeitpunkt des Einstiegs eines Wagniskapitalinvestors haben ihren Boden erreicht: Life Sciences-Unternehmen wurden zuletzt mit rund 7 Mio. EUR bewertet, ITK-Unternehmen brachten es auf einen Durchschnittswert von 4 Mio. EUR. Bis zum Exit planen Venture Capital-Gesellschaften einen Kapitalbedarf von rund 7 Mio. EUR für ITK-Unternehmen und 14 Mio. EUR für Life Sciences-Unternehmen ein. Für Investoren bestehen somit erstklassige „Einkaufspreise“, die wiederum Grundlage für eine nachhaltige Entwicklung der Anlageklasse Venture Capital sind. Aber: Pro Finanzierungsrunde nimmt ein Investor durchschnittlich nur noch gut eine Dreiviertelmillion in die Hand; nur bei Erfolg folgt weiteres Kapital. Um den gesamten Kapitalbedarf sicherzustellen, sollten Unternehmensgründer nach Möglichkeit also mehrere Investoren gewinnen – und ihre Meilensteine erfüllen.
7. Bayern oder Berlin?
Bayern war schon immer und ist (noch) das Bundesland mit den meisten Venture Capital-Investitionen. Doch nicht zuletzt durch die Wiederentdeckung der Internet- und Medienbranche wird der Abstand zu Nordrhein-Westfalen und Berlin enger. Im ersten Quartal des Jahres gelang es den Hauptstädtern schon, am Freistaat vorbeizuziehen.
8. Aktive Ausländer
Dass in Deutschland spannende Unternehmen gegründet werden, aber gleichzeitig wenig Wachstumskapital zur Verfügung steht, hat sich auch im Ausland herumgesprochen. Zahlreiche ausländische Wagniskapitalgesellschaften wie beispielsweise Gimv (Belgien), VNT (Finnland) oder WHEB (England) haben sich mit eigenen Büros in Deutschland niedergelassen und bringen viel Kapital mit. Auch kann die Herausforderung Internationalisierung mit solchen Investoren nur leichter fallen.
Fazit:
Die Bedingungen für eine nachhaltige Anfangsfinanzierung waren in Deutschland vermutlich nie besser als heute. Die Suche nach Startkapital erfordert von Unternehmern jedoch harte Arbeit und Kreativität zugleich. Das seit Jahren schrumpfende Angebot von institutionellem Venture Capital wird zunehmend durch öffentliches Kapital, aber auch durch „Smart Money“ von neuen Investorengruppen ergänzt. Viele Business Angel-Fonds, Corporate Venture Capitalisten und ausländische Wagniskapitalgesellschaften investieren dabei im Verborgenen und haben ihre ganz speziellen Investitionskriterien. Gründer müssen sich darauf einstellen und den Zugang zu den zu ihnen passenden Investoren oftmals erst finden. Der nächste (große) Schritt kann dann aber oft nur mit einer klassischen Venture Capital-Gesellschaft folgen. Finanzmarkt- und Staatenkrise haben gezeigt, dass Venture Capital nicht risikoreicher sein muss als so manche Staatsanleihe. Bleibt zu hoffen, dass diese Erkenntnis in der Auflegung neuer Fonds mündet.
Zum Autor
Götz Hoyer ist Managing Partner bei FHP Private Equity Consultants (www.fhpe.de). Die Gesellschaft berät institutionelle Investoren in den alternativen Anlageklassen Private Equity und Infrastruktur.