Bewährtes Verfahren
Anfangs erfolgt eine Bestandsaufnahme. Weitere Analysen zur Wirksamkeit und Breite der Schutzrechte und die Verletzung von Rechten Dritter („freedom-to-operate“) stellen jedoch einen gewichtigeren Teil der üblicherweise erarbeiteten Entscheidungsgrundlage dar. Nun existierten bereits weitere Möglichkeiten. Das können mehrdimensionalen Portfolio- oder Scorecard-Bewertungen sein. Überdies wird versucht, Schutzrechte über kosten-, kapitalwert- oder markpreisorientierte Verfahren monetär zu bewerten. Davon werden die kapitalwertorientierten allgemein favorisiert. Trotz großer Unwägbarkeiten finden derartige Ansätze Anklang, da damit der Bedarf nach einer quantifizierbaren und damit als belastbar empfundenen Entscheidungsgrundlage scheinbar erfüllt wird.
Entscheidung durch Vergleich
Es soll nun ein anderer bzw. zusätzlicher Weg beschrieben werden, der aussagekräftigere Ergebnisse liefert. Als kurzer Einstieg soll hierzu ein Beispiel aus dem Alltag dienen: aus dem Datenblatt eines Autos lässt sich eine Kaufentscheidung nur schwer treffen. Was erheblich mehr hilft, sind Vergleichstests gleichartiger Autos, die das Zusammenspiel der einzelnen Faktoren und damit die Fahrpraxis widerspiegeln. Aus diesem Grund werden für Kaufentscheidungen gerne Testberichte bemüht. Warum nicht also auch für die IP Due Dilligence eine derartig bewährte Entscheidungsgrundlage verwenden?
Erweiterter Blickwinkel
Dafür werden Patentdaten-Erhebungen und ausgereifte -Analysen, Interpretationen und Tools zur strategischen Unternehmensbewertung integriert. Es werden aber dafür nicht nur das Schutzrechts- und das Produktportfolio, sondern auch die Umwelt betrachtet. Dadurch lassen sich die globale Umwelt, die Branchenumwelt, -trends, -chancen und –risiken sowie die relative Position des Unternehmens bestimmen. Zunächst werden dynamische Abfragen in weltweiten Patentdatenbanken durchgeführt. Nach statistischen Analysen und ggf. Gewichtung muss eine inhaltliche Interpretation erfolgen, wozu allerdings nur auf den gewerblichen Rechtschutz spezialisierte Anwälte in der Lage und befugt sind. Die Arbeitsergebnisse können dann mit aus der Unternehmensbewertung entlehnten Techniken ausgewertet und übersichtlich dargestellt werden.
Direktes oder relatives Benchmarking
Damit bei der Analyse der Branchenumwelt kein Apfel-/Birnen-Vergleich erfolgt, gibt es zwei Möglichkeiten: entweder gleichartige Firmen vergleichen oder eine oder mehrere branchennahe Firmen ermitteln. Diese Vorgehensweise erlaubt ein direktes oder relatives Benchmarking, wie es mittlerweile in vielen anderen Bereichen ein fundamentales Entscheidungs-Tool geworden ist. Ein Beispiel: es steht eine Firma auf dem Prüfstand, die aus Abwasser Wärme gewinnt. Die Technologie ist relativ jung, und es finden sich deshalb keine einschlägigen Schutzrechte, die entweder in den Händen von bekannten Playern sind oder gegen eigene Schutzrechtsanmeldung zitiert wurden. Es wird bei derartigen Recherchen ja immer nur auf den beanspruchten Gegenstand und zuvor bekannt gewordene Informationen abgestellt. Damit erhielte normalerweise das Portfolio eine gute und die f-t-o-Analyse eine uneingeschränkte Empfehlung.
Weltweiter Abgleich
Nun wird allerdings zusätzlich im Wege der Due Dilligence weltweit nach Firmen recherchiert, die zwar andere Patentschwerpunkte gesetzt oder spätere Anmeldungen eingereicht haben mögen, aber auf demselben Gebiet tätig sind. Dabei werden in China ein Institut und eine Firma ermittelt, die sich mit der Reinigung von Wärmetauschern im Abwasserstrom beschäftigen und chinesische Anmeldungen in kürzer werdenden Abständen eingereicht haben. Dieser Trend und die in China geringeren Herstellungskosten und ggf. Subventionen machen die Ernsthaftigkeit dieser Situation und ein zukünftiges Risiko deutlich. Es kann aus vergleichbaren Szenarien, z.B. aus der Solarbranche, rückgeschlossen werden, dass es Maßnahmen bedarf, um dieses Risiko zu minimieren. Das könnte eine Kooperation oder eine Abgrenzung sein.
Eigene Märkte absichern
Zum letzteren kann versucht werden, in unmittelbar oder mittelbar technologisch benachbarten Gebieten tätige institutionelle oder gewerbliche Partner oder Technologie-Geber zu finden. Auf diese Weisen können damit eigene Märkte weiter abgesichert und – im Sinne von „Open Innovation“ – Produkte verbessert und/oder weiter differenziert werden. Ferner sind auch Skalierungsmöglichkeiten besser abzuschätzen. Es werden außerdem ggf. relativierte Benchmarks für die Akquise ermittelt, wenn nicht aus der gleichen, dann aus einer vergleichbaren Branche, um zum aktuellen oder wählbaren Zeitpunkt in der Vergangenheit – wie in anderen Konstellationen im Patentrecht üblich – Innovations- und Patentstandards zu ermitteln.
Fazit
Das Beispiel ist nur eine von vielen denkbaren Konstellationen und soll die Möglichkeiten einer derartigen erweiterten IP Due Dilligence veranschaulichen. Eine Unternehmens-Akquise bzw. Investment hat eine große wirtschaftliche Bedeutung, und der Schutz der Schutzrechte hat einen erheblichen Anteil daran. Daher sollten neue Ansätze, die vom Aufwand vertretbar sind und eine erheblich belastbarere Entscheidungsgrundlage liefern, genutzt werden.
Axel Stellbrink