VC Magazin: Die Definitionen von personalisierter Medizin gehen mitunter weit auseinander. Wie definieren Sie den Begriff und wo positioniert sich Amgen?
Rieht: Personalisierte Medizin heißt für Amgen, gezielte, wirksame und auf den einzelnen Patienten zugeschnittene Therapeutika zu entwickeln. Zudem bedeutet es, dafür geeignete Biomarker zu identifizieren und Testverfahren zu etablieren, die schnell und zuverlässig aufzeigen, welche Therapie bestimmten Patienten einen besonders hohen Nutzen verspricht. Das erfordert die Anwendung moderner Methoden der Molekulargenetik, Zell- und Molekularbiologie. Amgen forscht auf allen diesen Bereichen und entwickelt gezielte, innovative Therapien in Kombination mit Biomarkertests, immuntherapeutischen Ansätzen sowie beispielsweise auch Behandlungen mit onkolytischen Viren.
VC Magazin: Kritiker der personalisierten Medizin sehen neben der Gefahr einer Diskriminierung bestimmter Patientengruppen enorme Zusatzkosten für das Gesundheitssystem. Was entgegnen Sie solchen Stimmen?
Rieht: Ich persönlich sehe personalisierte Medizin als dreifache Chance, sozusagen ein „Triple Win“. Patienten werden unnötige Nebenwirkungen erspart, Ärzte verfügen über gezieltere Therapeutika und das System spart insgesamt Kosten. Personalisierte Medizin ändert sicherlich die Kostenstruktur im Gesundheitswesen. Zum Beispiel werden Ausgaben für Voruntersuchungen auf prädiktive Biomarker steigen. Gleichzeitig kommt es in der Folge jedoch seltener zu therapeutischen Fehlversuchen. Deshalb bedeutet personalisierte Medizin nicht automatisch eine teurere, sondern vielmehr eine effektivere Medizin. Ich hoffe sehr, dass dies von den Kassen im Rahmen der Erstattungsbeträge für neue Medikamente angemessen berücksichtigt wird. Das Gesundheitssystem muss sich zudem rechtzeitig darum kümmern, dass notwendige, versorgungsrelevante Voruntersuchungen qualitätsgesichert durchgeführt und adäquat erstattet werden können. Das ist in meinen Augen besonders wichtig.
VC Magazin: Biomarker stehen besonders im Fokus der Forschung und Entwicklung von Amgen. Was genau sind Biomarker und welchen Beitrag können sie im Hinblick auf personalisierte Therapien leisten?
Rieht: Biomarker sind messbare biologische Merkmale, die zeigen können, ob bestimmte Prozesse im Körper normal oder krankhaft ablaufen. Es kann sich dabei um Zellen, Gene, Genprodukte oder bestimmte Moleküle wie Enzyme oder Hormone handeln. Prädiktive Biomarker informieren Ärzte über die wahrscheinliche Wirksamkeit einer Therapie. Prognostische Biomarker geben Auskunft über das Erkrankungsrisiko eines Patienten. Insbesondere prädiktive Biomarker spielen bei der Therapieentscheidung und -steuerung im Rahmen personalisierter Behandlungskonzepte eine große Rolle.
VC Magazin: KRAS ist ein Beispiel für einen prädiktiven Biomarker, der von Amgen-Forschern identifiziert wurde. Wozu dient dieser Biomarker genau und was unterscheidet ihn von anderen Biomarkern?
Rieht: Das KRAS-Gen codiert ein kleines Protein, das an einer Signalübertragung im Körper beteiligt ist. Durch Aktivierung anderer Proteine trägt es indirekt dazu bei, dass sich Tumorzellen teilen und Blutgefäße ausbilden. Das wiederum ist essenziell für Wachstum und Überleben eines Tumors. Mutationen im KRAS-Gen wurden in der Vergangenheit sowohl mit der Entstehung als auch der Progression von Tumoren in Zusammenhang gebracht. Im Falle von metastasierten kolorektalen Tumoren konnte Amgen in mehreren Studien erstmals belegen, dass eine Therapie mit dem Amgen-Antikörper dann nicht wirken kann, wenn ein mutiertes KRAS-Gen vorliegt. Aus diesem Grund wird der Biomarker KRAS als prädiktiv bezeichnet.
VC Magazin: Sie haben den Antikörper bei metastastiertem Kolorektalkarzinom angesprochen. In den USA hat Amgen einem Fachpublikum kürzlich neue Phase-III-Studien-Daten dazu vorgestellt. Was können Sie der Öffentlichkeit darüber berichten?
Rieht: In einer aktuellen Biomarkeranalyse dieser sogenannten PRIME-Studie wurden neben weiteren Mutationen des KRAS-Gens auch Mutationen im eng verwandten NRAS-Gen untersucht. Wir konnten zeigen, dass Patienten ohne Mutationen – man spricht dabei vom KRAS/NRAS-„Wildtyp“ – bei einer Verabreichung des angesprochenen Antikörpers zusätzlich zur Chemotherapie ein deutlich längeres medianes Gesamtüberleben erreichten als Patienten, denen der Antikörper nicht verabreicht wurde. Patienten mit NRAS-Mutationen oder mit KRAS-Mutationen, die über bisher getestete Mutationen hinausgingen, profitieren nicht von der Kombination aus Antikörper und Chemotherapie. In Zukunft wird man daher auf KRAS und NRAS testen müssen. So kann man noch genauer bestimmen, welchem Patienten eine Antikörpertherapie nutzt und welchem nicht.
VC Magazin: An welchen weiteren Biomarker-Therapeutikum-Kombinationen arbeiten Sie derzeit?
Rieht: Ein weiteres Beispiel bei Amgen ist ein vollhumaner Antikörper, der den sogenannten MET-Signalweg hemmen soll. In einer Phase-II-Studie bei Magenkarzinomen wurde untersucht, ob eine Behandlung mit diesem Antikörper plus Chemotherapie für Patienten mit einer hohen Expression des MET-Rezeptors besonders wirksam ist. Dieser Biomarker wird derzeit in der Phase-III-Studie zur Selektion der Patienten eingesetzt.
VC Magazin: Wagen Sie eine Prognose – wie wird personalisierte Medizin bei Amgen in zehn Jahren aussehen?
Rieht: Die personalisierte Medizin hat das Potenzial, die medizinische Therapie und insbesondere die Krebsbehandlung grundlegend zu verändern. Durch Umsetzung unserer Erkenntnisse aus Genetik und Krankheitsbiologie werden wir in der Lage sein, neue, sichere und wirksame Behandlungen zu identifizieren, in gezielten Studien zu prüfen und den richtigen Patienten anzubieten. So können wir große Fortschritte erreichen, gerade bei schweren Erkrankungen.
VC Magazin: Vielen Dank für das Interview.
Dr. Achim Rieth ist Director Medical Development Therapeutic in den Bereichen Hämatologie und Onkologie der deutschen Amgen GmbH. Die Konzernmutter Amgen Inc. ist mit 18.000 Mitarbeitern das größte Biotechnologieunternehmen weltweit.
Martin Bellof