VC Magazin: In einer Studie rechnet PricewaterhouseCoopers damit, dass der deutsche Online-Games-Markt bis 2016 auf knapp 980 Mio. EUR anwächst, das Mobile-Segment im gleichen Zeitraum auf 60 Mio. EUR. Ist angesichts solcher Prognosen das viel zitierte Mobile First-Kredo noch zu halten?
Lesser: Dieses Kredo kennen wir so nicht. Es handelt sich hier um zwei verschiedene Märkte, die auch eigene Regeln kennen. Mobile ist dank der Distributionsplattformen kein lokaler, sondern ein weltweiter Markt. Online-Browser-Games hingegen sind territorial sehr spezifisch und fordern entsprechend viel lokale Aufmerksamkeit. Mobile hat im Moment in puncto Wachstum klar die Nase vorn; Online hingegen befindet sich in der Konsolidierung. Beides zu verbinden ist letztlich die Kunst – besonders für die Player, die die letzten Jahre Online unterwegs waren.
Reul: Ohne die genaue Ausgangslage für diese Schätzung zu kennen, so erscheint es mir insofern schlüssig, als dass Deutschland nach Asien ein ausgeprägt starker Online-Games-Markt ist. Einige der größten Online-Games-Anbieter der Welt sitzen in Hamburg oder Berlin. Reine Mobile-Games-Entwickler in Deutschland gibt es hingegen weniger, aber zum Glück dennoch einige sehr gute. Meiner Einschätzung nach geht der Trend dahin, Spieletitel auf einer möglichst großen Anzahl von Plattformen anzubieten und dabei Cross-Plattform-Funktionalitäten (Browser, Smartphone, Tablet) zu bieten, die etwa den nahtlosen Wechsel während einer Spielsession von einem Device zum nächsten ermöglicht.
VC Magazin: Angesichts des kontinuierlich wachsenden Umsatzes der Spielebranche: Wie groß ist der Wirtschaftsfaktor Games in Deutschland?
Lesser: Games als Wirtschaftsfaktor nimmt in Deutschland an Bedeutung zu. Der starke Wandlungsprozess vom Absatzmarkt hin zu einem Markt, der mehr hat von der Wertschöpfung, ist seit mindestens fünf Jahren in vollem Gange. Wir sind nicht nur sehr viel stärker im Publishing – besonders online – sondern auch sehr viel breiter in der Entwicklung aufgestellt. Von Crytek, die Crysis entwickelt haben, bis Andreas Illgner, dem Macher von Tiny Wings, gibt es inzwischen eine bunte Entwicklergemeinde. Allein im G.A.M.E.-Verband sind über 100 Mitglieder organisiert.
Reul: Die Games-Branche in Deutschland schafft eindeutig neue Arbeitsplätze. Dies trifft zum einen auf die Spieleentwickler an sich zu, die händeringend neue qualifizierte Mitarbeiter suchen, zum anderen gibt es eine ganze „Wertschöpfungskette Games“. Denn neben Entwicklern, wirkt sich das Umsatzwachstum der Branche auch positiv auf IT-Dienstleister, Service-Agenturen, Zahlungsdienstleister sowie weitere Zulieferer aus. Hamburg veröffentlicht als einziges Bundesland jährlich eine Arbeitsmarktbefragung der Games-Branche. Von 2009 bis 2012 wurden demnach allein in Hamburg über 1800 neue Arbeitsplätze in der Branche und bei zugehörigen Dienstleistern geschaffen.
VC Magazin: Der flächendeckende Ausbau des LTE-Netzes kommt in Deutschland nur langsam in Tritt. Inwieweit stellt das eine Herausforderung für die Mobile Games-Branche da?
Reul: Eine flächendeckende Verfügbarkeit eines schnellen mobilen Internets ermöglicht zukünftig sicherlich neue Innovationen in der Spielebranche. Schaut man gen Osten nach Südkorea oder Japan, stellt man fest, dass Mobile Games viel stärker als in Europa auf Multiplayer-Funktionen setzen. Dies ist beim aktuellen Netzzustand in Deutschland noch nicht realisierbar, da zu viele Spieler außerhalb der Metropolen Services nicht adäquat nutzen können. Unabhängig davon würde mir als erster Schritt bereits eine vernünftige Internetanbindung im Zug zwischen Hamburg und Berlin genügen.
Lesser: Mobile Games, die Online-Modi oder Online-Features verwenden, benutzen in der Regel asynchrone Mehrspieler-Modi. Eine schnelle und stetige Internetverbindung ist hier keine Voraussetzung und darf es unseres Erachtens auch nicht sein, wenn man eine große Zielgruppe erreichen will. Egal wie flächendeckend die Datennetze ausgebaut sind, es wird immer Spieler geben, die aus irgendwelchen Gründen ein „schlechtes Netz“ haben. Diese Spieler dürfen nicht bestraft werden. Multiplayer-Spiele, die auf reaktionsschnelle Internetverbindungen setzen, sind daher im Mobile Games-Markt kaum vorhanden und auch nicht beliebt, da sie den User einschränken. Dennoch wäre ein flächendeckendes LTE wünschenswert, um komplexere (größere) Applikationen zu distribuieren.