Alte und neue Herausforderungen

Zu wenig Venture Capital

DAlbrecht Deißner, KfWer Branche fehlt ein Vorreiter, der mit einer Erfolgsstory den Markt in Schwung bringen kann. Ausnahmen bestätigen die Regel: „Die Finanzierungssituation für junge und innovative Medizintechnikunternehmen ist in Deutschland sehr ambivalent“, sagt SHS-Manager Ulmer-Weber. „Zwar herrschen insbesondere durch das Engagement des High-Tech Gründerfonds gute Bedingungen in der Anschubfinanzierung, in den Phasen danach wird es für die Unternehmen aber sehr schwierig, neues Kapital aufzunehmen.“ Ähnlich beurteilt Albrecht Deißner die Lage, Leiter der Abteilung Beteiligungsgeschäft der KfW: „Für die Start-up-Finanzierung stehen – auch insbesondere aufgrund des öffentlichen Finanzierungsangebotes – ausreichend Finanzierungsmittel zur Verfügung, zumal Business Angels, ausländische Venture Capitalisten und Corporate Ventures zunehmend die Attraktivität dieses Marktsegmentes in Deutschland (wieder-)entdecken. Allerdings macht sich bei Anschlussfinanzierungen mit höherem Finanzierungsbedarf das Fehlen größerer Venture Capital-Finanzierer bemerkbar“, erläutert der KfW-Experte.

Gesucht: Mehr Partnerschaften

Interesse hätten die Investoren allemal, ist sich Deißner sicher: „Aufgrund ihrer breiten industriellen und der profunden wissenschaftlichen Basis bleibt MedTech made in Germany insgesamt interessant für Investoren. Sie hat viele etablierte Geschäftsmodelle, was sie (derzeit noch) von Clean- und Biotech abhebt“, lobt der Investor. Trotzdem wünscht sich Müller von der mic AG mehr Engagement gerade von den etablierten Konzernen: „Vonseiten der Konzerne müsste mehr und verstärkt in den Aufbau und in den Zukauf von jungen Technologien investiert werden“, fordert er. Im Unterschied zur Biotechnologie, wo strategische Partnerschaften bereits im Forschungs- und Entwicklungsbereich eine große Rolle spielen, gehen junge Medizintechnikunternehmen eine derartige Kooperation oftmals erst nach erfolgter Produktentwicklung ein. Deißner von der KfW fügt jedoch hinzu: „Strategische Partnerschaften sind weniger darauf ausgerichtet, Finanzierungslücken zu schließen, sondern Marktpotenziale so zu heben, dass die Partner davon langfristig profitieren. Die erfolgreiche Markteinführung innovativer Technologien ist hierfür ein entscheidender Erfolgsfaktor.“

Eroberung internationaler Märkte

Holger Eickhoff, Scienion„Ziel solcher Kooperationen ist eine frühzeitige Internationalisierung“, erklärt Ulmer-Weber. „Der Partner vertreibt das Produkt in Märkten, die das Unternehmen aufgrund fehlender Ressourcen nicht oder noch nicht direkt adressieren kann.“ Entscheidend seien aus Sicht junger Unternehmen erfahrene Manager, die sowohl die richtigen Zielmärkte adressieren, als auch Nutzen und Risiken einer Kooperation, etwa im Rahmen der Vertragsgestaltung, richtig einschätzen können. Wie wichtig internationales Engagement für deutsche Medizintechnikunternehmen ist, weiß auch Holger Eickhoff, Gründer und CEO der Scienion AG. „Der deutsche Medizintechnikmarkt ist relativ flach. Zwar geht das Wachstum nicht zurück, doch große Sprünge nach oben sind in den nächsten Jahren nicht zu erwarten.“ Neben den USA ist Scienion vor allem in Süd-Korea und Singapur erfolgreich. „Wir wollen näher beim Kunden sein“, erläutert Eickhoff die internationale Ausrichtung seines Unternehmens, das künftig auch in China und Indien aktiv werden möchte. Mit der Produktion im Ausland und Geschäftsvertretungen vor Ort sei dies wesentlich einfacher zu bewerkstelligen. Mitunter bieten ausländische Märkte einen weiteren Vorteil: „Natürlich gibt es auch andernorts Regularien und Zertifizierungsprozesse, die zu beachten sind. Doch die eigentlichen Entscheidungsprozesse, auch bei größeren Projekten, sind im Ausland in der Regel viel kürzer“, sagt Eickhoff.

Fazit

Manfred Ulmer-Weber, SHSDeutschland ist mit seiner Medizintechnikindustrie auch im internationalen Vergleich gut aufgestellt. Trotz Fachkräftemangel profitiert die Branche noch immer von gut ausgebildeten Wissenschaftlern und Ingenieuren, dem hohen Standard in der klinischen Forschung, staatlichen Förderprogrammen sowie öffentlichen Forschungs- und Bildungseinrichtungen. „Resultat sind aktuelle Technologietrends wie intelligente Implantate und Messsysteme, welche Know-how aus den Bereichen Medizin, Biologie, Materialwissenschaften, Physik, Oberflächenchemie, Mikrosystemtechnik und IT verbinden“, sagt Ulmer-Weber. Als ebenso zukunftsträchtig gelten interventionelle Medizintechniken, Neuroengineering, Zell- und Gewebetechnik oder die Telemedizin. „Dazu gehören neue Gesamtkonzepte, etwa in den Bereichen Internet of Things und Wearable Technologies“, ergänzt mic-Vorstand Claus-Georg Müller. Konflikte mit Krankenkassen um Erstattungsmodalitäten müssen jedoch abgebaut werden. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels sowie der Ressourcenknappheit im deutschen Gesundheitswesen zeichnet sich in der Medizintechnik zudem ein Paradigmenwechsel von Produkt- zu System- und Prozesslösungen ab. „Um diese Herausforderung meistern zu können, wird es für Unternehmen sehr wichtig sein, Schnittstellen zu anderen Branchen, insbesondere der IT- und Kommunikationstechnologie, auszubauen und diese in innovative Geschäftsmodelle mit Leistungserbringern und Kostenträgern zu verpacken“, schließt Ulmer-Weber von SHS.