VC Magazin: In den USA haben wir eine Reihe guter IPOs im Bereich der Life Sciences gesehen. Blicken Sie nicht etwas neidisch in Richtung US-Markt?
Motschmann: Neid ist grundsätzlich kein guter Ratgeber, aber natürlich ist Ihre Beobachtung richtig. In den USA funktioniert das Zusammenspiel sehr gut zwischen Venture Capital-Firmen auf der einen Seite, die die Seed-Phase und die ersten Schritte junger innovativer Unternehmen begleiten, und auf der anderen Seite der Möglichkeit, vielversprechende Unternehmen dann an die Börse zu bringen. So entstehen aus kleinen Start-ups dann wirklich große erfolgreiche Unternehmen. Auf diese Weise entwickelten sich in den USA, weil Sie die Life Sciences-Branche ansprechen, Riesen wie Amgen, Celgene, Biogen oder Gilead, deren Börsenwert heute höher ist als der deutscher Bluechips wie Siemens, BASF oder BMW. Der IPO-Markt für junge Unternehmen funktioniert in den USA im Übrigen nicht nur für junge Unternehmen der Biotechnologie.
VC Magazin: In Deutschland waren IPOs in den letzten Jahren aufgrund fehlenden Investoreninteresses nicht möglich. Sehen Sie eine Veränderung?
Motschmann: Ich sehe die Bemühungen, einen „Markt 2.0“ ins Leben zu rufen, um mit einem solchen Börsensegment mehr Investorengelder in die entstehenden Innovationsindustrien zu lenken. Ich sehe auch die zunehmende Anzahl prominenter Politiker, die über alle Parteien hinweg die volkswirtschaftliche Bedeutung einer funktionierenden Start-up-Szene erkennen, die nun mal nicht wirklich funktioniert, solange Kapital und Investoren fehlen, um aus guten Ansätzen auch wachstumsstarke Unternehmen zu machen. Andererseits kann ein „Markt 2.0“ nicht wirklich funktionieren, solange auf privater und institutioneller Seite in Deutschland die Kultur fehlt, in einer frühen Phase in Hightech-Unternehmen zu investieren. Einen sehr interessanten Vorschlag machte kürzlich Holger Zinke von der Brain AG, an der wir auch beteiligt sind. Herr Zinke fordert, dass 1% des deutschen Anlagevermögens durch staatliche Anreize in den Markt für junge Wachstumsunternehmen gelenkt werden sollte. Das wären dann über 25 Mrd. EUR jährlich. Damit würden wir in kurzer Zeit in diesem Segment zu den USA aufschließen, denn exzellente Ideen für innovative Technologien und Geschäftsmodelle gibt es im Erfinderland Deutschland genug. Ich denke, Deutschland als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt kann es sich mittel- bis langfristig eigentlich nicht leisten, keinen funktionierenden Kapitalmarkt für junge Unternehmen zu haben, wenn wir auf Dauer unsere Spitzenposition behaupten wollen.
VC Magazin: Wie schätzen Sie das aktuelle Preisniveau für Life Sciences-Unternehmen in Deutschland im internationalen Vergleich ein?
Motschmann: Der funktionierende IPO-Markt in den USA sorgt natürlich dafür, dass die Preise für junge Unternehmen in der Biotechnologie in den USA stimmen. Es gelang Dutzenden derartiger Firmen in den USA in den vergangenen Jahren über Börsengänge Kapital von jeweils Hunderten von Millionen Dollar und mehr einzusammeln. Davon können wir in Deutschland nur träumen. Gleichzeitig ist der Markt für junge Unternehmen der Biotechnologie natürlich ein internationaler. Es verbietet uns niemand, ein deutsches Start-up in den USA an die Börse zu bringen, auch wenn dies mit zusätzlichen Kosten und Reibungsverlusten für die Funktionsweise des Unternehmens verbunden ist. Die Geschichte von Micromet Inc. ist ein solcher Fall. Dieses ursprünglich deutsche Unternehmen fand auf dem deutschen Kapitalmarkt kein Geld und hat sich deshalb in den USA finanziert. Die Kehrseite dieses Weges ist, dass langfristig die Wertschöpfung und die Schaffung von Arbeitsplätzen nicht in Deutschland stattfinden werden. In Deutschland und Europa sind aufgrund des Fehlens eines IPO-Marktes Trade Sales üblich. Junge innovative Unternehmen mit vielversprechenden Medikamenten werden von den großen Pharmafirmen erworben, die sich über diese Strategie Zukunft kaufen und sich teilweise die Kosten für eigene Entwicklungen sparen. Die Preise von Trade Sales wären in Deutschland sicherlich höher, wenn es aus Sicht der Pharmafirmen die Konkurrenz von IPOs auch in Deutschland und Europa gäbe.